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Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt: Land unterstützt Aussteiger aus rechtem Milieu

Von Alexander Schierholz 05.08.2014, 10:31
Teilnehmer einer NPD-Veranstaltung
Teilnehmer einer NPD-Veranstaltung dpa/archiv Lizenz

Magdeburg - Lange hatte Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) es angekündigt, immer wieder wurde es verschoben. Seit Dienstag aber hat auch Sachsen-Anhalt ein Aussteigerprogramm für Neonazis. Angesiedelt ist die Beratungsstelle namens „Extra“ beim Verfassungsschutz - was prompt Kritiker auf den Plan ruft. Ähnliche Initiativen gibt es sowohl in anderen Ländern, etwa in Nordrhein-Westfalen oder Sachsen, als auch bundesweit.

Neue Wohnung, neue Identität

Die Mitarbeiter sollen an einer Hotline Anrufe von Rechtsextremisten entgegennehmen, die sich aus der Szene lösen wollen und dabei Hilfe brauchen. Die kann im Einzelfall ganz unterschiedlich aussehen. Gerade in kleineren Orten, in denen die Szene überschaubar ist, werde es um einen Ortswechsel und einen neuen Job gehen, sagt Jochen Hollmann, Chef des Verfassungsschutzes. Daneben solle das Team auch den Kontakt zu anderen Beratungsstellen wie etwa der Schuldnerberatung vermitteln. „Wenn es nötig ist, haben wir auch die Möglichkeit, jemanden zu schützen und ihm gegebenenfalls eine neue Identität zu geben.“ Hollmann betont, das habe viel mit Vertrauen zu tun, gerade beim allerersten Kontakt.

Genau da setzen die Kritiker an. So spricht Pascal Begrich, Geschäftsführer bei Miteinander, von einem „Fehlstart“: Er bezweifelt, dass Aussteigewillige Vertrauen fassen könnten, „wenn ein solches Angebot an das Innenministerium - und damit an die Zuständigkeit von Polizei und Verfassungsschutz - gekoppelt ist“. Sinnvoller sei ein freier Träger. Wie etwa in Sachsen, wo ein solcher zumindest für den ersten Kontakt zuständig ist. Erst bei weiteren Schritten stimmen sich die Mitarbeiter dort eng mit den Behörden ab. Schon vor einem Jahr hatten im Innenausschuss alle befragten Experten mehr oder weniger deutlich gewarnt: Die Hemmschwelle sei zu hoch, das Vertrauen zu gering, sich als aussteigewilliger Neonazi gerade staatlichen Stellen zu offenbaren.

Warnung vor Interessenkonflikten

Tatsächlich gehören zu den Mitarbeitern von „Extra“ auch zwei Polizisten.

Der Grünen-Innenexperte Sebastian Striegel warnt vor Interessenkonflikten: Polizisten seien von Amts wegen dazu verpflichtet, Anzeige zu erstatten, wenn sie von Straftaten erführen. „Deshalb wird sich niemand dort hinwenden.“ Striegel bezweifelt auch, dass der Verfassungsschutz, dessen Aufgabe es sei, Informationen über die Szene zu sammeln, ausgerechnet dann weghöre, wenn ein Ausstiegswilliger an die Tür klopfe.

Zweijähriges Modellprojekt

„Informationen bleiben bei den Mitarbeitern, die sie aufnehmen“, versichert dagegen Verfassungsschutz-Chef Hollmann. Was ein Neonazi in dem Programm preisgebe, werde nicht abgeschöpft, etwa um V-Leute anzuwerben. Die eingesetzten Polizisten seien nicht an die Anzeigepflicht gebunden. Hollmann schränkt allerdings ein, das gelte nur für „szenetypische Straftaten“ wie etwa Propagandadelikte, nicht aber für schwere Vergehen wie Brandstiftung oder Mord.
„Extra“ ist als zweijähriges Modellprojekt angelegt, es soll wissenschaftlich begleitet werden. Dementsprechend wird das Aussteigerprogramm vorerst auf Sparflamme gefahren. Der Etat beträgt 10 000 Euro, neue Stellen gibt es nicht. Die Mitarbeiter werden aus anderen Behörden abgezogen, etwa vom Präventionsdienst der Polizei. Striegel befürchtet, dass die Arbeit dort deshalb leiden werde. Hollmann verteidigt auch das: „Die Aufgaben werden zusätzlich erledigt.“ (MZ)

Broschüren des Innenministeriums: In Sachsen-Anhalt ist ein Programm für Aussteiger aus der rechten Szene angelaufen.
Broschüren des Innenministeriums: In Sachsen-Anhalt ist ein Programm für Aussteiger aus der rechten Szene angelaufen.
dpa/Archiv Lizenz