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Rechtsextremismus Rechtsextremismus: Codename Nazi

Von alexander schierholz 11.04.2013, 21:00
Die Marke Thor Steinar ist bei Rechtsextremisten beliebt - schon wegen ihres Namens.
Die Marke Thor Steinar ist bei Rechtsextremisten beliebt - schon wegen ihres Namens. Dpa Lizenz

Magdeburg/MZ - Früher war es so einfach: Springerstiefel, Bomberjacke, Glatze - fertig war der Neonazi. Heute laufen Rechtsextremisten auf Demos gerne in schwarz auf, so dass selbst die Polizei Mühe hat zu unterscheiden, ob der schwarze Block von Autonomen links- oder rechtsradikal ist. Heute tragen sie gerne auch Palästinensertücher, die früher ausschließlich bei Linken als schick galten. Oder so stylische Klamotten, dass sie in der Masse überhaupt nicht mehr auffallen.

Was geblieben ist, sind die Codes und Symbole - die kleinen Zeichen, die erkennen lassen, dass ihr Träger zur rechtsextremen Szene gehört. Zeichen, die Ausdruck eines Wir-Gefühls wie eines bestimmten Lifestyles sind. Und in ihrer Vielfalt unübersichtlich genug.

Vor kurzem hat der MDR in den Fan-Shops verschiedener Fußballvereine Trikots mit der Nummer „88“ bestellt - eine beliebte Neonazi-Chiffre. Weil das H im Alphabet an achter Stelle auftaucht, steht 88 für HH - und damit für „Heil Hitler“. Auch die 18 (A und H) für Adolf Hitler und die 28 (B und H) für die verbotene Neonazi-Organisation „Blood & Honour“ sind in der Szene weit verbreitet. Bei fast allen Vereinen waren die Rechercheure des Senders erfolgreich.

Nicht nur Trikots sind das Problem. Die genannten Ziffernkombinationen lassen sich auch aufs Nummernschild pressen - Wunschkennzeichen sei Dank. Im Land Brandenburg sind mehrere dieser Kombinationen seit Herbst 2010 verboten. Cornelia Habisch kann das nachvollziehen: „Autokennzeichen sind so etwas wie Hoheitszeichen“, sagt die Geschäftsführerin des Netzwerkes für Demokratie und Toleranz in Sachsen-Anhalt. „Da kann der Staat sagen, was er nicht will.“ Die 88 etwa sei eben insofern keine Zahl wie jede andere, als dass sie für die rechte Szene eine besondere Bedeutung habe.

Dennoch hat das Land sich dem Vorstoß aus Brandenburg bisher nicht angeschlossen. „Wir sehen keinen Handlungsbedarf“, sagt Bernd Kaufholz, Sprecher im Verkehrsministerium. Den Zulassungsstellen werde aber empfohlen, sich bei einschlägigen Kennzeichen-Anfragen die Halter genauer anzuschauen und den Einzelfall zu prüfen. Zudem seien Buchstabenkürzel nationalsozialistischer Organisationen wie HJ und SS für Nummernschilder gesperrt.

Die Kennzeichen-Debatte wirft Fragen auf: Wie viel Sensibilität muss sein? Und wie viel ist zu viel? Habisch findet, wer mit Jugendlichen arbeitet, in der Schule oder in Vereinen, sollte sich mit dem Thema beschäftigt haben. „Aber von der breiten Öffentlichkeit kann man nicht verlangen, jeden Code zu kennen.“ Dennoch könne sich jeder fachkundig machen und dann angemessen reagieren. Habisch rät, mit Schülern, die auffällige Symbole tragen, das Gespräch zu suchen und nach den Gründen zu fragen. Das sei wichtiger als Sanktionen. Und schließlich müsse man die Jugendlichen ernst nehmen.

Einen Überblick über Neonazi-Codes zu bekommen und zu behalten, ist allerdings schwierig. Außer den Ziffernkombinationen gibt es noch eine schwer überschaubare Zahl an Symbolen, die der Szene als Erkennungsmerkmale dienen. Selten sind die Signale, die von ihnen ausgehen, so eindeutig wie bei den Zeichen, die eine direkte Verbindung zum Nationalsozialismus herstellen, wie das Hakenkreuz, die SS-Runen oder die „schwarze Sonne“. Das Rad mit zwölf Runen als Speichen taucht erstmals auf als Bodenmosaik im sogenannten Führersaal der von Heinrich Himmler als SS-Kultstätte ausgebauten Wewelsburg bei Paderborn. „Trotz dieses eindeutigen historischen Bezugs wird die schwarze Sonne in der Szene gerne als indogermanisches Symbol gehandelt“, sagt Habisch.

Diese Antwort bekam sie auch vom Schüler einer Schule nahe Magdeburg, als sie ihn fragte, warum er die „schwarze Sonne“ als Anhänger um den Hals trage. Als sie ihm widersprach, wurde er verlegen. Habisch war klar, dass der Schüler die wahre Bedeutung kannte - und offenbar provozieren wollte: An jenem Tag wurde seine Schule als „Schule ohne Rassismus“ ausgezeichnet.

Dabei orientieren sich Neonazis tatsächlich gerne an den alten Germanen. „Sie betrachten sie als das Urvolk der Deutschen“, so Habisch. Das ist auch eine Form von Kontinuität: Schon in der NS-Zeit betrieb vor allem die SS den Germanenkult. Heute sind in der Szene heidnisch-germanische Symbole wie der Thorshammer oder die Lebens- und Todesrune weit verbreitet. Hier freilich beginnt eine Grauzone: Es sind Zeichen, die auch in der Mittelalter- oder der Heavy-Metal-Szene beliebt sind. „Nicht jeder, der das trägt, ist ein Neonazi“, sagt Cornelia Habisch.

Umso verunsicherter sind viele Eltern. Zumal es auch mehrere Bekleidungslabels gibt, von denen der eine oder andere Erziehungsberechtigte vielleicht schon mal gehört hat. Etwa „Thor Steinar“. Die Marke aus Brandenburg ist bei Rechtsextremisten schon wegen ihres Namens beliebt - Thor verweist auf die alten Germanen, Steinar ist eine Anspielung auf Felix Steiner, einen General der Waffen-SS. Mein Sohn wünscht sich eine Thor-Steinar-Jacke - was hat es damit auf sich? - das ist eine Frage, die Cornelia Habisch und ihre Kollegen bei der Landeszentrale für politische Bildung häufig zu hören bekommen. Bei der Beratung von Eltern klafft aus Sicht Habischs noch eine Lücke - im kommenden Jahr soll sie mit einem neuen Projekt geschlossen werden. Viele Lehrer seien dagegen gut informiert über Codes und Symbole der rechtsextremen Szene.

Das war nicht immer so: Habisch erzählt von einem Schüler einer 11. Klasse, der jahrelang keinem Lehrer als Nazi auffiel. Dabei war sein äußeres Erscheinungsbild so eindeutig wie es heute nur noch selten ist - mit Glatze, einem T-Shirt der verbotenen Rechtsrock-Band „Landser“ und Springerstiefeln.

Flyer zum Thema gibt es im Internet beim Innenministerium (www.mi.sachsen-anhalt.de) und ab 1.5. bei der Landeszentrale für politische Bildung (www.lpb.sachsen-anhalt.de)