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Recherche auf Webseite ukrainischer Kunstgalerie Recherche auf Webseite ukrainischer Kunstgalerie: Verschollene Gemälde aus Dessau entdeckt

Von Günter Kowa 16.05.2015, 06:49
Dessauer Gemälde in der Dauerausstellung des Museums in Poltawa. Ganz links neben dem Durchgang: Karl von Anhalt, gemalt von Lucas Cranach d. J. Mitte links neben dem Durchgang: Friedrich II. von Preußen, Antoine Pesne. Ganz rechts neben dem Durchgang: Casimire von Anhalt Dessau, gemalt von Lisiewski.
Dessauer Gemälde in der Dauerausstellung des Museums in Poltawa. Ganz links neben dem Durchgang: Karl von Anhalt, gemalt von Lucas Cranach d. J. Mitte links neben dem Durchgang: Friedrich II. von Preußen, Antoine Pesne. Ganz rechts neben dem Durchgang: Casimire von Anhalt Dessau, gemalt von Lisiewski. Poltava Art Museum Lizenz

Wörlitz - Verschollene Dessauer Gemälde aufgetaucht in der Ukraine? Mit eben dieser faustdicken Überraschung wartete am Freitag in Wörlitz der Direktor der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz, Thomas Weiß, bei der Eröffnung der Ausstellung „Cranach im Gotischen Haus“ auf. Eingeflochten in seine Rede gab er das Ergebnis einer Recherche bekannt, mit der der Referatsleiter Sammlungen, Ingo Pfeifer, in den Tiefen des Internets auf der Webseite der Kunstgalerie von Poltawa auf sechs verschollene Gemälde wohl eindeutig Dessauer Herkunft stieß.

Poltawa (auch Poltava geschrieben) ist eine Stadt in der Zentralukraine, etwa 350 Kilometer östlich von Kiew gelegen. Das Museum ist nach Angaben auf der eigenen Webseite „eines der bedeutendsten“ im Land. Auf Fotos von den Innenräumen des Museums konnte Pfeifer insgesamt sechs Bilder identifizieren, die seit Kriegsende 1945 als zerstört oder verschollen gelten. Das Auftauchen dieser Bilder lässt den Zugriff einer sowjetischen Trophäenkommission vermuten. Ausgestellt sind die Bilder in kunsthistorisch nach Schulen und Epochen geordneten Räumen. Unklar ist, ob das ukrainische Museum etwas von der Herkunft der Bilder weiß und wie viele weitere noch eventuell in Depots liegen. Die Kulturstiftung hat nach eigenen Angaben vorerst keinen Kontakt aufgenommen.

Eigentum der Familie Anhalt

Wie Sammlungsleiter Wolfgang Savelsberg auf Anfrage mitteilte, wird das auch nicht ohne Absprache mit dem Haus Anhalt geschehen. Dieses ist offenbar vor Bekanntgabe der Entdeckung nicht über den Fund informiert worden. Die Fürstenfamilie ist noch immer formell der eigentliche Eigentümer der Bilder. Sie hingen im Dessauer Schloss, dessen Gemäldebestand vom Anhaltischen Staat 1919 nicht der Joachim-Ernst-Stiftung, sondern der herzoglichen Familie zugesprochen worden war.

Insgesamt geht es dabei um fünf Bilder: das Porträt der Prinzessin Casimire von Anhalt-Dessau, spätere Fürstin zur Lippe-Detmold (1749-1778), von der Hand des Dessauer Hofmalers Christoph Friedrich Reinhold Lisiewski, ein Porträt Friedrichs II. von Preußen von Antoine Pesne, ein Porträt Leopolds I. von Anhalt-Dessau, dem Werk eines unbekannten Malers, einen „Anhaltischen Fürst“ von Johann Georg Ziesenis, Hofmaler in Hannover, und schließlich ein attraktives Doppelporträt der Amalie Auguste (1793-1854) und Luise Friederike von Anhalt-Dessau (1798-1875), Töchter Erbprinz Friedrichs von Anhalt. Der Schöpfer dieses letzteren Bildes war der Dessauer Hofmaler und Konservator Heinrich Beck, es ist datiert 1815. Ein weiteres Bild, ein „Karl von Anhalt“ von Lucas Cranach dem Jüngeren, stammt nach Angabe Pfeifers aus dem Rittersaal des Gotischen Hauses in Wörlitz, befand sich aber auch im Schloss, da eine Anzahl von Bildern aus diesem Bestand gleichfalls dem Herzog zugesprochen worden war.

Eine ganz besondere Angelegenheit ist außerdem ein üppiges Barockgemälde mythologischen Inhalts, Amaryllis und Mirtillo, von Anton van Dyck, einem hoch angesehen Maler, der anfangs für das Haus Oranien in Den Haag, später aber am Hof von König Karl II. von England wirkte. Ein Gemälde mit diesem Sujet von van Dyck befindet sich in der Sammlung des Grafen Schönborn in Schloss Pommersfelden, der es 1729 im Kunsthandel gekauft haben soll. Der eigentliche Auftraggeber war vor 1632 Prinz Friedrich Hendrik von Oranien. Nach Angaben von Savelsberg könnte das Auftauchen eines Bildes desselben Sujets und offenbar ebenfalls von der Hand Anton van Dycks zusammen mit den anderen Dessauer Bildern im Museum von Poltawa damit zu erklären sein, dass das Pommersfelder Gemälde eine zweite Fassung ist, und nur die Version in Poltawa auf Hendrik von Oranien zurückgeht. Nach Dessau könnte sie als Teil der oranischen Erbschaft Henriette Katharinas gelangt sein.

Aus dem Tresor geborgen

Die nun wieder gefundenen Bilder waren vom Haus Anhalt auch in die „Lost Art“-Datei eingestellt worden, jeweils ohne Foto. Ihr Wiederauftauchen lenkt neue Aufmerksamkeit auf ein Ereignis vom Frühjahr 1946, als auf Befehl der sowjetischen Militäradministration im Keller des zerbombten Dessauer Schlosses ein unbeschädigter Tresor geöffnet und darin eine große Zahl von Bildern geborgen wurde. Eine Mitarbeiterin der Anhaltischen Gemäldegalerie brachte sie in ein Verwaltungsgebäude und erstellte auch eine Liste, die überliefert ist.

Sie verzeichnet hunderte von Bildwerken, es ist aber unklar, ob sie vollständig ist. Jedenfalls, so Savelsberg, zählte ein Inventar des Schlosses von 1937 weit über 2 000 Bildwerke, von denen im Krieg einige hundert in Ballenstedt ausgelagert waren, alle übrigen wohl im besagten Tresor.

Freude über wiedergefundene Bilder

Dass die Bilder Richtung Ukraine verschwanden, war schon lange vermutet worden. Denn der erste Dessauer Stadtkommandant, Josef Markovic Romanjuk, war gebürtiger Ukrainer, und die Besatzungstruppen stammten von der ukrainischen Front.

Savelsberg äußerte sich hoch erfreut über die Tatsache, dass Dessauer Bilder nun immerhin wiedergefunden sind und im Krieg nicht untergingen. „Es ist auch eine gute Nachricht, dass sie in einer öffentlichen Sammlung hängen.“ Das sei ganz unabhängig von ihrem rechtlichen Status. Er hoffe, dass es in absehbarer Zeit zu einem kollegialen Kontakt zu dem Museum in Poltawa kommen und man zumindest gute Fotografien in Auftrag geben könne. Es sei durchaus zu vermuten, dass das ukrainische Museum im Zweiten Weltkrieg Teile seiner Sammlung durch die Deutschen verloren hätte. Das Museum im Internet: www.gallery.poltava.ua. (mz)

Das Schloss in Dessau, Postkarte vor 1945. In einem Tresor im Keller des im Weltkrieg zerstörten Gebäudes lagerten einige Gemälde.
Das Schloss in Dessau, Postkarte vor 1945. In einem Tresor im Keller des im Weltkrieg zerstörten Gebäudes lagerten einige Gemälde.
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