Raumfahrt Raumfahrt: Der Mars muss warten

Halle (saale) - Einmal Venedig sehen und dann sterben. Das war früher einmal. Heute heißt es für so manchen Enthusiasten: Einmal den kosmischen Nachbarplaneten Mars aus der Nähe sehen. Mehr als 200 000 Erdenbürger würden für diesen Traum sogar ihr Leben geben. So viele Menschen sollen sich unlängst beim Projekt „Mars One“ für einen Mars-Hinflug ohne Rückkehr beworben haben.
„Mars One“ ist die Initiative einer niederländischen Stiftung, die 2011 vom Unternehmer Bas Lansdorp ins Leben gerufen wurde. Deren Ziel ist es, ab dem Jahr 2026 etwa 40 Menschen auf den Mars zu bringen. Dort sollten sie, ähnlich wie vor 200 Jahren die weißen Kolonisten im Wilden Westen Amerikas, neue Siedlungen aufbauen. Eine Rückkehr der interplanetaren Pioniere der Menschheit zur Erde ist nicht geplant. Seit der öffentlichen Bekanntgabe des Projektes im Jahr 2013 spaltet es Befürworter und Gegner. Ethische Bedenken haben unter anderen die deutschen Astronauten Thomas Reiter und Ulrich Walter. Andere, darunter der holländische Physiknobelpreisträger Gerard ’t Hooft, heben die Chancen und den menschlichen Entdeckergeist hervor.
Zwei Deutsche in der Auswahl
Im Unterschied zu den staatlichen Raumfahrtagenturen suchte „Mars One“ seine Astronauten nicht unter den besten Militärpiloten und Wissenschaftlern, sondern in einem Online-Wettbewerb, an dem jeder volljährige Erdenbürger teilnehmen konnte. Zu den wenigen Anforderungen zählten englische Sprachkenntnisse, eine gute Allgemeingesundheit und ein allgemeines Interesse an Wissenschaft und Technik. Selbstgedrehte Bewerbungsvideos, Antworten auf einem standardisierten Fragebogen und ein kurzes Interview via Skype reichten zur Anmeldung aus. Im Februar 2015 gelangten die letzten 100 Kandidaten unter den Bewerbern - darunter zwei Deutsche - in die finale Auswahl.
Die ersten sechs Flug-Anwärter sollen bereits in elf Jahren zum Mars reisen dürfen. Über drei Dutzend weitere Männer und Frauen sollen ihnen in den kommenden zehn Jahren folgen. Soweit der aktuelle Plan, dessen technische Umsetzung heute mehr denn je in den Sternen steht.
Bislang fehlen weltweit geeignete Raketen, Raumschiffe und Wohneinheiten für die Reise zum Mars und den dortigen Aufenthalt. Ungelöste technische Hürden sind unter anderem das 100-prozentige Wasserrecycling im Raumschiff (auf der Internationalen Raumstation im Erdorbit gibt es regelmäßig Nachschub von Raumschiffen), die Luftregeneration, der Strahlenschutz sowie vielfältige andere medizinische Probleme - zum Beispiel Muskelabbau, Kreislaufprobleme, Infektionsanfälligkeit sowie ein erhöhtes Risiko für Nierensteine.
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Und selbst wenn der Flug zum Mars und die Landung gelingen sollte, würden die ersten Siedler nach spätestens zwei Monaten an einer Luftvergiftung in ihren Wohncontainern sterben. Zu diesem Ergebnis gelangte ein Expertenteam des Massachusetts Institute of Technology. Die von der Erde mitgebrachten Pflanzen wären nicht in der Lage, auf Dauer die Neubürger auf dem roten Planeten mit ausreichend Atemluft zu versorgen, so das ernüchternde Forschungsresultat.
Das vermutlich größte Hindernis auf dem Weg zur Besiedlung des roten Planeten sind jedoch die ungedeckten Kosten. Die Mars One-Stiftung gibt Kosten von sechs Milliarden US-Dollar für die erste Reise zum roten Planeten ohne Rückkehr an. Das sind weniger als fünf Prozent der Ausgaben, mit denen die US-Luft- und Raumfahrtagentur NASA für eine bemannte Marsmission rechnet. Mars One will die sechs Milliarden US-Dollar durch Crowdfunding, Merchandising, Sponsoring und nicht zuletzt mit einer weltweit einmaligen Reality-TV-Show über das Leben der künftigen Mars-Siedler einwerben.
TV-Produktionsfirma Endemol steigt aus
Bislang stand die niederländische TV-Produktionsfirma Endemol - Entwickler von TV-Formaten wie „Big Brother“, „Dschungel-Camp“ und „Newtopia“ - hinter dem Mars One-Projekt. Doch in diesem Februar meldete das britische Wissenschaftsmagazin „New Scientist“, dass die TV-Firma die Zusammenarbeit beendet hat, weil kein Vertrag über die Vermarktung des weltweiten Events erzielt werden konnte. Gegenüber dem Raumfahrt-Onlinedienst „SpaceNews“ erklärte der Mars One-Geschäftsführer Lansdorp, man kooperiere jetzt mit einer anderen TV-Produktionsfirma, deren Namen er aber noch nicht bekanntgeben will.
Einen weiteren Schatten auf das Projekt warf kürzlich einer der Kandidaten, die es bis ins Finale geschafft haben. Der promovierte Physiker Joseph Roche, derzeit tätig am Trinity College in Dublin, bemängelte die Qualität des Auswahlverfahrens. So sollen die Kandidaten durch Spenden an die Stiftung ihr Ranking auf der Liste der Anwärter für den Marsflug ungeachtet ihrer Qualifizierung erhöht haben. Viel brachte das aber wohl nicht. Nach inoffiziellen Berichten sollen bislang weniger als ein Hundertstel der Projektkosten eingeworben sein.
Geplanter Start fraglich
Ein Sprecher des Raumfahrtunternehmens Lockheed Martin erklärte unlängst, dass es noch keinen Bauauftrag für zwei unbemannte Vorläufer-Marssonden erhalten hat. Sie sollten unter anderem eine Technologie testen, mit der die Siedler Wasser aus dem gefrorenen Marsboden gewinnen können. Der für das kommende Jahr geplante Start ist kaum mehr einzuhalten.
„Kein Unternehmen kann ohne Unterstützung der NASA und der Regierung eine Marsreise unternehmen“, erklärte vor wenigen Wochen der NASA-Chef Charles Bolden vor dem US-Repräsentantenhaus. Derzeit haben aber weder die USA noch andere Staaten ernsthafte Absichten, Menschen zum Mars zu bringen. Zudem stehen die Chancen auf eine internationale Zusammenarbeit heute schlechter als vor 25 Jahren beim Bau der Internationalen Raumstation ISS. Johann-Dietrich Wörner, neuer Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA, rechnet nicht vor dem Jahr 2050 mit Menschen auf dem Mars. Dann werden diejenigen, die 1969 die ersten Mondlandungen als Kinder verfolgt haben, fast 100 Jahre alt sein.
