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Psychosomatische Tagesklinik in Halle Psychosomatische Tagesklinik in Halle: Rückkehr ins Leben

Von Bärbel Böttcher 19.02.2015, 09:26
Die Ärztin Franziska Engelmann und der Psychologe Stephan Wendroth leiten die Gruppentherapie.
Die Ärztin Franziska Engelmann und der Psychologe Stephan Wendroth leiten die Gruppentherapie. Andreas Stedtler Lizenz

Halle (Saale) - „Als ich hierher kam, habe ich mich gefühlt, als ob ich einen 200-Kilo-Sack mit mir herumschleppe“, sagt Cornelia Bachmann. Nach einer achtwöchigen Therapie in der psychosomatischen Tagesklinik „55plus“ am Diakoniekrankenhaus Halle resümiert die 55-Jährige: „Er ist ein bisschen leichter geworden.“ Sie hofft, mit den gewonnenen Einsichten das Gewicht zumindest halbieren zu können.

Cornelia Bachmann litt lange Zeit unter schier unerträglichen Schmerzen. „Mitunter konnte ich mich kaum noch bewegen“, erzählt sie. Doch es war nicht der Körper, der streikte, sondern die Seele. Eine eigene schwere Erkrankung, Arbeitsplatzverlust, familiäre Schicksalsschläge - das alles hat in den vergangenen drei Jahren tiefe Spuren hinterlassen. Und dann war da noch das Gefühl, abgeschoben zu sein, von der Gesellschaft nicht mehr gebraucht zu werden. Um alle diese seelischen Wunden zu heilen, reichte eine Therapiestunde pro Woche beim Psychologen nicht aus. Und so kam Cornelia Bachmann in die Tagesklinik des Diakoniekrankenhauses.

Einzigartiges Therapieangebot

Hier unterbreitet ein Team um Chefarzt Dr. Thilo Hoffmann ein in dieser Region einzigartiges Therapieangebot, das speziell auf Menschen zwischen 55 und 80 Jahren zugeschnitten ist. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit wäre diese Altersgruppe von solch einer Behandlung ausgeschlossen gewesen. „Zu Zeiten von Sigmund Freud (1856 bis 1939) und auch noch lange danach galt der Grundsatz, dass eine Psychotherapie für über 40-Jährige ein sinnloses Unterfangen ist“, sagt Hoffmann. Die Persönlichkeit, so habe man gedacht, ist dann nicht mehr zu verändern. Erst um die Jahrtausendwende herum sei das grundlegend in Frage gestellt worden. „Damals ist die Generation der Kriegskinder in den Ruhestand gegangen. Und plötzlich kamen bei vielen lange verdrängte Erinnerungen beispielsweise an Bombennächte im Luftschutzkeller wieder hoch. Die Folge waren Depressionen, Angsterkrankungen und psychosomatische Beschwerden“, erzählt der Arzt. Es sei festgestellt worden, dass diese Leiden gut behandelbar sind. In der Folge habe sich die Psychotherapie dann auch dieser Altersgruppe zugewendet.

Von dieser Entwicklung profitiert nun eine ganz neue Senioren-Generation. „Viele der heute 60-, 65- oder 70-Jährigen sind körperlich und geistig fit, sie sind gebildet, haben etwas Geld und noch Ansprüche ans Leben“, sagt Hoffmann. Und sie könnten eben auch unter psychischen oder psychosomatischen Erkrankungen leiden. Bei entsprechender Behandlung habe ein solcher Patient möglicherweise noch 20 Jahre mit guter Lebensqualität vor sich. Da aber, wie der Chefarzt erklärt, die Auslöser der Erkrankungen meist ganz andere sind als bei Jüngeren, werden in der Tagesklinik Gruppen gebildet, in denen ausschließlich Menschen dieser Altersgruppe aufeinander treffen. Die Patienten wissen das zu schätzen. „In unseren Lebenswegen finden sich viele Gemeinsamkeiten und deshalb ist auch das gegenseitige Verständnis größer als in einer Gruppe, in der die Altersunterschiede zu groß sind“, sagt beispielsweise Uta Donath, die auch schon mit anders zusammengesetzten Gruppen Erfahrungen gemacht hat.

"Übergang in das Rentenalter mit allen seinen Folgen"

Tatsächlich sind es vor allem Menschen zwischen 55 und 65 Jahren, die das Angebot nutzen. „In dieser Zeitspanne“, so sagt die Ärztin Franziska Engelmann, „ist vor allem ein Thema aktuell: der Übergang in das Rentenalter mit allen seinen Folgen.“ Das Leben müsse in sämtlichen Richtungen neu gestaltet werden. Damit kämen viele nicht klar. Ihnen mache das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden, zu schaffen. Vor allem, wenn sie ihr Selbstwertgefühl ein Leben lang nur aus der Arbeit bezogen hätten, wie Diplom-Psychologe Stephan Wendroth hinzufügt. Aber auch in der Wendezeit erfahrene Kränkungen spielen heutzutage eine Rolle, berichtet Engelmann. Berufliche Einbrüche von damals machten sich heute in kleinen Renten bemerkbar, dadurch kommt die damals erlebte Demütigung wieder hoch.

Andere Faktoren sind der Verlust der körperlichen Leistungsfähigkeit oder der körperlichen Attraktivität. Das alles, so Engelmann, münde oft in Depressionen. Aber auch Angststörungen seien zu beobachten. Manche Menschen könnten nicht mehr vor die Tür gehen. Sie igelten sich regelrecht ein.

Weitere Informationen zur Tagesklinik und Behandlung lesen Sie auf Seite 2.

Die achtwöchige Behandlung in der Tagesklinik baut stark auf die Gruppentherapie. Acht Plätze gibt es pro Durchgang. Und die acht Menschen durchleben die Therapie gemeinsam. „Die Gruppe ist ein Wirkfaktor an sich“, sagt Engelmann. Der einzelne merke, dass es vielen anderen ähnlich gehe. „Und die Mitglieder geben sich gegenseitig Halt.“

Es sind auch gerade diese Gespräche, die Cornelia Bachmann und Uta Donath hervorheben. „Ich habe hier sehr viel über mich erfahren, was mir gar nicht so bewusst war“, sagt Cornelia Bachmann. So sei sie sehr harmoniebedürftig, möchte sich mit niemanden streiten. Deshalb habe sie viel in sich hineingefressen. „In der Gruppe habe ich gelernt, Konflikte auszutragen“, erzählt sie.

Soziales Kompetenztraining

Uta Donath ist nicht damit zurecht gekommen, bereits im Alter von 55 Jahren eine Erwerbsunfähigkeitsrente zu bekommen. „Das ist in unserer Leistungsgesellschaft doch ein Grund, sich zu schämen“, sagt sie. Es sei für sie schwer gewesen, das überhaupt auszusprechen. Auch heute sei es noch nicht leicht. „Doch ich kann jetzt akzeptieren, dass ich wohl im Moment in meinem Beruf nicht arbeiten kann“, meint sie. „Das Gefühl“, so ergänzt Cornelia Bachmann, „minderwertig zu sein, wird einem hier durch die Gespräche ein bisschen genommen.“

Ein wichtiges Element der Therapie ist das sogenannte soziale Kompetenztraining. „In Rollenspielen wird versucht, Situationen aus dem Alltag nachzustellen“, erklärt Therapeut Wendroth. „Wenn die Patienten sich darauf einlassen, sich mit ihren Gefühlen, ihrem Ärger einbringen, sind sie jedes Mal überrascht, wie emotional das verläuft.“ Sie spürten, was sie an ihrem Verhalten verändern könnten. Sehr wertvoll sei auch hier die Rückmeldung aus der Gruppe.

Ergänzt wird dies mit Bewegungs- und Entspannungsübungen. „Ich habe hier gelernt, meinen Körper wieder wahrzunehmen. Im Alltagsstress vergisst man zu häufig, auf sich selbst zu achten“, sagt Cornelia Bachmann. Dazu trägt sicher auch das Genusstraining bei. „Sich an kleinen Dingen des Alltags zu erfreuen, etwa an einer blühenden Blume, das haben viele verlernt“, meint Uta Donath. Auf großes Interesse stößt zudem die so genannte Psychoedukation. Hier wird den Patienten Wissen über ihre Krankheit vermittelt.

Wichtig sei bei alledem, so betont Cornelia Bachmann, dass jeder, der zur Therapie komme, auch bereit sei, an sich zu arbeiten und sich an allem aktiv zu beteiligen. Da spricht sie dem Chefarzt aus dem Herzen. „Wer mit einer passiven Heilserwartung kommt, der wird enttäuscht werden“, sagt der.

Reger Zuspruch

Das Angebot der Tagesklinik „55plus“ gibt es jetzt seit einem knappen Jahr. Und es erfreut sich eines regen Zuspruchs. „Alterspsychotherapie wird auch in Fachkreisen immer mehr zu einem Thema“, betont Hoffmann. Einen Grund dafür sieht er darin, dass es noch kein Modell dafür gibt, wie der Übergang vom Berufs- ins Rentnerleben in der heutigen Zeit, gestaltet werden kann. „Die Vertreter der Generation, mit der wir es jetzt zu tun haben, definieren sich über Pflicht und Leistung“, sagt er. „Wenn dann das Berufsleben endet, fallen viele in ein tiefes Loch.“ Dabei hätten sie in der Regel noch viele Jahre vor sich, die gestaltet werden wollen.

Doch der Übergang sei hinzubekommen - zumindest für diejenigen, die soziale Kontakte und Hobbys pflegten. „Es ist ja schon während des Berufslebens nicht gut, seine gesamte Lebensenergie in die Arbeit zu stecken“, meint der Psychotherapeut. Er mache sich da zunehmend auch über jüngere Patienten so seine Gedanken. „Wer beruflich erfolgreich ist, bei dem bleibt oft alles andere auf der Strecke.“ Doch es sei angebracht, die Schwerpunkte schon lange vor der Rente ein wenig anders zu setzen. „Bis das aber auch gesellschaftlich akzeptiert wird, ist es noch ein weiter Weg“, meint Hoffmann.