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Prozeßauftakt Prozeßauftakt: Das Grauen bekommt ein Gesicht

Von Steffen Könau 30.07.2003, 15:43
Die Eltern der ermordeten Malin, Peggy Strahl (r) und Henning Schröter (l), stehen vor Prozessbeginn am 30. Juli 2003 im Landgericht Dessau mit ihrer Anwältin Ulrike v. Thadden. (Foto: dpa)
Die Eltern der ermordeten Malin, Peggy Strahl (r) und Henning Schröter (l), stehen vor Prozessbeginn am 30. Juli 2003 im Landgericht Dessau mit ihrer Anwältin Ulrike v. Thadden. (Foto: dpa) dpa

Zerbst/Dessau/MZ. - Die Blumen sind verschwunden, die lieben Briefe fortgeräumt. Wo sich im Winter stummes Entsetzen in die Gesichter grub, als sich in der kleinen Stadt Zerbst herumgesprochen hatte, was in dem Backsteinhaus in der Naumannstraße geschehen ist, gehen die Passanten heute ohne Blick vorbei an der Tür, hinter der der damals 19-jährige Steve P. die sechsjährige Malin S. tötete.

Zwanzig Kilometer entfernt aber bekommt das Grauen an diesem Morgen noch einmal ein Gesicht. Die Sonne steht strahlend über in Dessau, als Steve P. mit kurzen, schweren Schritten in den Saal 17 des Landgerichtes tippelt. Der untersetzte Mann versteckt sich unter einer über den Kopf geworfenen Weste, die er mit weichen Händen hält. Nur die Knöchel, die weiß aus dem blassen Fleisch stechen, verraten seine innere Anspannung.

P.s Züge sind unbewegt. Obwohl es warm ist im Gerichtssaal, trägt der Angeklagte einen dicken, dunklen Pullover und eine Kordhose; er ist blass, sein Haar kurz geschoren. Als Richter Frank Knief ihn nach seinen persönlichen Daten fragt, spricht er stockend, flüsternd, mit einem quengelndem Unterton. Nein, sagt er, er wisse nicht, "ob ich noch da in Zerbst gemeldet bin". Ja, sagt er, er sei "seit dem Vorfall im Krankenhaus".

Das Krankenhaus ist die psychiatrische Klinik Uchtspringe. Und der Vorfall, das ist der Mord an Malin, die hier amtlich "die Geschädigte" heißt. Ihre Mutter Peggy S., die mit Malins Vater Henning als Nebenklägerin am Prozess teilnimmt, muss jedes Wort wie eine Fausthieb treffen. Doch sie sitzt aufrecht neben ihrer Anwältin und schaut den Mann an, der zugegeben hat, ihre Tochter getötet zu haben. Sie sieht die Hände, die Malin würgten, blickt in die Augen, die das Mädchen als letzte lebend sahen.

Erst als Staatsanwalt Frank Pieper die Anklage verliest, nach einer Unterbrechung, in der das Gericht entscheidet, das weitere Verfahren unter Rücksichtnahme auf P.s Persönlichkeitsrechte ohne Öffentlichkeit fortzuführen, kann sie nicht mehr hinübersehen. P. habe Malin zum Spielen in seine Wohnung eingeladen. Als das Mädchen auf die Toilette geht, schleicht der Junge mit dem Babygesicht hinterher. Er, der sich nach erst später beachteten Hinweisen seiner Mutter schon länger für kleine Mädchen interessiert, beobachtet die Sechsjährige. Und wird von ihr ertappt. "Er hat dann befürchtet, sie könnte es ihrem Vater erzählen und dieser würde ihn krankenhausreif schlagen", zitiert der Ankläger aus P.s Aussagen bei der Polizei.

Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass der Einzelgänger mit dem Sonderschulabschluss Prügel bezieht. Immer wieder ist Steve P. von anderen Jugendlichen "hart rangenommen worden", wie es ein Nachbar nennt. Immer wieder kommt die Polizei, um P. zu Hause abzuliefern. Ein Grund, beschreibt Chef-Ermittler Thomas Engel, "warum er nach eigener Aussage lieber mit Jüngeren zusammen war". Ein Grund auch, warum Steve P. an diesem Januarnachmittag von hinten an Malin herantritt, ihr den linken Arm um den Hals legt und mit aller Kraft zudrückt? Er habe das Mädchen etwa zwei bis drei Minuten vom Boden hochgehoben in seinem Würgegriff, schildert er später mit einer Offenheit, die selbst die Ermittler "erschreckend" nennen. Und gewartet.

Dann ist Malin tot. Doch ihr Martyrium längst nicht vorbei. Steve P., bei dem die Gutachter der Staatsanwaltschaft später "pädophile Neigungen" und eine "krankhafte Persönlichkeitsveränderung" feststellen werden, entkleidet den kleinen Körper, legt ihn auf sein Bett, manipuliert an ihm herum und vergewaltigt die Leiche.

Es sind dies die entsetzlichsten Sekunden im Gerichtssaal, Sekunden, die alptraumhafte Bilder erzeugen, Bilder aus einem Horrorfilm, die nicht zusammen passen wollen mit dem dicklichen kleinen Mann hinter dem Tischchen der Verteidigung. Steve P., dem eine Haftstrafe zwischen zehn Jahren und lebenslänglich droht, sitzt gebeugt, die Fäuste vor dem Mund geballt. Ein Junge, der durchaus begreift, was er getan hat. Und es doch nicht verstehen kann.

Der Prozess wird fortgesetzt, ein Urteil soll voraussichtlich am 18. August fallen.

Der Angeklagte Steve P. steht am 30. Juli 2003 im Landgericht Dessau mit einer Jacke über dem Kopf. Ein halbes Jahr nach dem Sexualmord an der kleinen Malin aus Zerbst beginnt der Prozess gegen den mutmaßlichen 20-jährigen Mörder. Er soll das sechsjährige Mädchen am 22. Januar in seiner Wohnung in Zerbst erwürgt und missbraucht haben.(Foto: dpa)
Der Angeklagte Steve P. steht am 30. Juli 2003 im Landgericht Dessau mit einer Jacke über dem Kopf. Ein halbes Jahr nach dem Sexualmord an der kleinen Malin aus Zerbst beginnt der Prozess gegen den mutmaßlichen 20-jährigen Mörder. Er soll das sechsjährige Mädchen am 22. Januar in seiner Wohnung in Zerbst erwürgt und missbraucht haben.(Foto: dpa)
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Blumen und Kerzen sind vor dem Haus in Zerbst zu sehen, in dem die sechsjährige Malin aufgefunden worden war. (Archivfoto: dpa)
Blumen und Kerzen sind vor dem Haus in Zerbst zu sehen, in dem die sechsjährige Malin aufgefunden worden war. (Archivfoto: dpa)
dpa
Der Angeklagte Steve P.(Foto: dpa)
Der Angeklagte Steve P.(Foto: dpa)
dpa