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Provinziallandtag von Sachsen-Anhalt Provinziallandtag von Sachsen-Anhalt: Kurzes Hoffen nach dem Krieg

Von Steffen Drenkelfuss 15.11.2006, 19:19

Halle/MZ. - Er hatte Glück. Großes Glück. Dass Walter Krumholz am Donnerstag an der Feierstunde des Landtags zum Gedenken an den ersten frei gewählten Provinziallandtag der Provinz Sachsen-Anhalt als einstiger politischer Akteur und Zeitzeuge teilnehmen kann, stand in jenen Nachkriegstagen auf dem Spiel.

Abgerissen und desillusioniert hatte er sich im Mai 1945 zu Fuß von seiner Truppe in Oberschlesien nach Halle aufgemacht. Dort lebte seine Mutter. Der damals 21-Jährige lernte Maurer und Zimmermann und wollte später Architektur studieren. Aber Krumholz wollte mehr, wollte leben, selbst gestalten, den Wahn der NS-Diktatur hinter sich lassen. Zuerst engagierte er sich im Antifaschistischen Jugendausschuss. In einem "Haus der Jugend" in Halle organisierten Gleichgesinnte jeden Sonntag eine "Stunde der Jugend" mit Dichterlesungen und klassischer Musik.

Sein parteipolitisches Engagement verdankte Walter Krumholz allerdings einem Zufall. Eine Bekannte nahm ihn im Dezember 1945 zu einer Veranstaltung der Liberaldemokraten mit. "Einigkeit und Recht und Freiheit - das wollte ich. Noch während der Veranstaltung bin ich in die LDP eingetreten." Vom Fleck weg wurde er in den Provinzialvorstand gewählt. Im Mai 1946 - längst hatten die Russen Mitteldeutschland im Tausch gegen West-Berlin von den Amerikanern übernommen - setzte die Sowjetische Militäradministration Kommunalwahlen an. Wahlen zu den fünf Landtagen sollten bald darauf folgen.

Und damit kam Walter Krumholz groß ins Spiel. Er wurde als Wahlkampfleiter der LDP eingesetzt. "Hauptamtlich. Dafür bekam ich 500 Mark monatlich." Bis zu jenem Tag, der sein Leben massiv beeinflussen sollte. "Es war der dritte oder vierte September. Da rumpelte vor meinem Fenster die Straßenbahnlinie sieben vorbei," erzählt Krumholz. Er dachte, dass er nicht richtig liest. Auf dem Wagen 289 prangte ein Plakat: "SED - Für Angliederung an die Sowjetunion". Daneben ein Ankreuzfeld wie auf einem Wahlzettel. "Ich bin sofort raus und habe fotografiert." Über einen Freund schickt er das Foto an den "Telegraf", eine West-Berliner Zeitung. Und die druckt es. "Eine Angliederung war ja absolut im Bereich des Möglichen. Die aus Moskau eingeflogene Ulbricht-Truppe schwärmte bei SED-Wahlkampfveranstaltungen vom Leben in der Sowjetunion". Nicht nur die Hallenser glaubten - und fürchteten es.

Am 9. September wird Krumholz zusammen mit drei CDU-Mitgliedern und sechs LDP-Anhängern verhaftet. Tatvorwurf: Mit dem Plakat auf der Tram werde die Wahlpropaganda der SED verächtlich gemacht. "Wir sind denunziert worden. Keiner von uns hatte mit dem Plakat etwas zu tun." Er wird verhört, immer wieder.

Was bei der Wahl zum Provinziallandtag am 20. September passiert, bekommt Krumholz nicht mit. Erst viel später erfährt er, dass die SED trotz aller Bevorzugung durch die Sowjets nicht die Mehrheit erringen konnte. Das bürgerliche Lager aus CDU und LDP erhielt 56 der 101 Sitze. Die Mehrheit bei den Bürgerlichen - ein Novum in der Sowjetischen Besatzungszone.

Der Häftling Krumholz hatte Glück. Während andere derartige Verfahren vor sowjetischen Militärtribunalen mit drastischen Strafen endeten, wurde das Verfahren gegen ihn im April 1946 durch Beschluss der neuen Landesregierung niedergeschlagen. Bis dahin musste er in einer Zelle im halleschen Gefängnis "Roter Ochse" ausharren. Dann erst wurde er mit der Verpflichtung, künftig keinerlei Politik zu betreiben, aus der Haft entlassen.

Mit Hilfe eines alten Freundes aus dem "Haus der Jugend" fand Krumholz 1947 wieder Arbeit. Bis Oktober 1948 war er im Landesamt für Wirtschaftsplanung tätig. Als er dann vor einer neuen Denunziation gewarnt wurde, setzte er sich nach West-Berlin ab, machte dort später Karriere als Politikwissenschaftler. Erst Jahre darauf erfuhr Walter Krumholz, wer die Straßenbahn mit dem Anti-SED-Slogan versehen hatte: "Höchstwahrscheinlich Harold Esche, bis zu seiner Flucht Chefredakteur der Liberaldemokratischen Zeitung in Halle."