Protest im Bördeort Angern Protest im Bördeort Angern: Ein Dorf kämpft um seine Schule

Angern/MZ - Die Planung stand, erste Bewerber waren da: 18 neue Häuser sollten am Rande der Gemeinde Angern (Bördekreis) entstehen. In einem Dorf rund 30 Kilometer von Magdeburg entfernt, das nach wie vor junge Leute angelockt hat, wie Ortsbürgermeister Egbert Fitsch sagt. „In den vergangenen zwei Jahren sind sieben junge Familien hergezogen.“ In der 1300 Seelen starken Kerngemeinde findet sich heute noch manches, was längst nicht mehr selbstverständlich ist auf dem Land: Lebensmittelladen, Bäcker, Fleischer, Bankfiliale, Gaststätte, Apotheke, Rettungsstation, Kita, Grundschule. Ein Dorf mit Zukunft? Nicht mehr, fürchten die Einwohner, wenn die Schule wirklich schließen muss.
Die Weiterentwicklung des Baugebietes ist bereits auf Eis gelegt. Fünf Bewerber, erzählt Bauunternehmer Kurt Rudnick, hätten einen Rückzieher gemacht - vorerst zumindest. Grund sei das Fragezeichen, das seit der neuen Schulentwicklungsplanung des Landes über dem Schicksal der Grundschule steht. Die im Mai 2013 beschlossenen Vorgaben aus Magdeburg bedrohen wegen verschärfter Festlegungen zu Mindestgrößen etliche kleine Schulen - ab August müssen sie zum Beispiel mindestens 60 und in dünn besiedelten Gebieten 52 Schüler haben.
„Kurze Beine, kurze Wege“
Als sich der Verbandsgemeinderat Elbe-Heide im Juli 2013 entscheiden musste, welche der drei (zu) kleinen Schulen in seinem Gebiet geschlossen wird, fiel die Wahl auf Angern. Seitdem fegt ein Proteststurm durch den Ort. „Wir hätten nie gedacht, dass es uns trifft“, sagt Ortrun Horstmann, Vorsitzende des Schulfördervereins und eine der Initiatorinnen einer Bürgerinitiative, die mit dem Slogan „Kurze Beine, kurze Wege“ für ihre Schule kämpft. 60 Kinder besuchen derzeit den kleinen, in frischem Gelb leuchtenden Bau unweit von Feuerwehr und Sportplatz. Im kommenden Jahr wären es 62, perspektivisch würden aber auch in Angern die vom Land geforderten Zahlen voraussichtlich nicht erreicht. Zum ersten Mal sollen Kinder aus dem Ort deshalb im August im etwa acht Kilometer entfernten Burgstall eingeschult werden.
Acht Kilometer, das klingt nicht viel, schwebt aber wie ein Horrorszenario über dem Ort. Als Angerner Sekundarschüler früher kurzzeitig nach Burgstall mussten, seien sie nachmittags mit dem Schulbus eine Stunde unterwegs gewesen, weil der erst alle anderen Dörfer anfuhr, sagt Horstmann. Nicht nur der Sportverein - sechstgrößter im Kreis - fürchtet Probleme bei der Nachwuchsgewinnung, wenn die Kinder kaum noch im Ort sind. Die Schließung der Sekundarschule 2005 habe sich ausgewirkt, erzählt Horstmann. Christenlehre im Ort findet heute nicht mehr wöchentlich statt, weil es zu schwierig sei, die Kinder zusammenzubekommen.
Auch der soziale Zusammenhalt, so die 48-Jährige, würde wegbrechen. Heute wachsen die Kinder des Ortes gemeinsam auf - erst in der Kita, dann in der Grundschule. „Wenn dieser Vorteil wegfällt, werden viele Eltern einen anderen suchen“, glaubt sie - zweisprachige Schulen oder zumindest solche, die auf ihrem Arbeitsweg liegen. Der führt viele Eltern Richtung Magdeburg, Burgstall liege aber genau entgegengesetzt.
Und: „Es wird für junge Familien keinen Anreiz mehr geben, hierher zu ziehen.“ Auch Angern hat schon heute einen großen Anteil von Rentnern. Sie stellen laut Ortsbürgermeister Fitsch fast die Hälfte der Einwohner. Altengerechtes Wohnen - mitten im Ort stehen zwei Reihen mit kleinen speziell dafür hergerichteten Häuschen - ist stark gefragt. Noch seien aber auch rund 20 Prozent der Einwohner unter 35 Jahre, so Fitsch. Ohne Schule, glaubt er, wird sich das ändern. „Dann wird der ländliche Bereich noch mehr ausgedünnt, die demografische Entwicklung beschleunigt.“ Irgendwann würden dann wohl auch Bäcker oder Fleischer gehen. „Mit der Schule“, sagt Bauunternehmer Rudnick, „fällt das ganze Dorf.“
Nie aufgegeben
Für Angern gute Gründe zu kämpfen. Unterschriften haben sie gesammelt, genügend, um einen Bürgerentscheid in der Verbandsgemeinde zu erreichen. Hunderte Plakate wurden aufgehängt, Flyer an jeden Haushalt verteilt. Es kam zum Streit zwischen den Dörfern, weil nun Burgstall um seine Schule bangte. „Dabei wollten wir nur wieder gleichberechtigt dabei sein und dann sehen, wie man alle Schulen rettet“, sagt Horstmann.
Nach den Plänen des Landes sollen aus Kostengründen Grundschulen nur noch genehmigt werden, wenn sie langfristig mindestens 60 Schüler haben werden. Für besonders dünn besiedelte Gebiete wie etwa in der Altmark soll eine Untergrenze von 52 Schülern gelten. Derzeit gibt es 491 Grundschulen im Land. Wie viele schließen müssen, ist noch unklar. Die Kommunen als Träger erarbeiten momentan ihre Planungen. Das Aktionsbündnis vermutet, dass zwischen 80 und 150 Schulen bedroht sind.
Wegen zu wenig Schülern in der ersten Klasse müssen Schulen aber nicht schließen. Das stellte Kultus-Staatssekretär Jan Hofmann (SPD) am Donnerstag klar. „In dünn besiedelten Räumen soll die Eingangsklasse zwar13 Schüler haben. Das ist aber nur ein Signal an die Schulträger“, so Hofmann. Wenn die Schule insgesamt genug Schüler habe, müsse sie nicht schließen.
Den Bürgerentscheid verlor Angern. Aufgeben war dennoch keine Option. Am 23. Dezember hat der Schulförderverein beim Kultusministerium den Antrag auf Genehmigung einer freien Schule gestellt. Denkbar seien verschiedene Finanzierungsmodelle - über eine gGmbH, Gemeindebeteiligungen, Kredit, gar Spenden, heißt es. Sind alle Voraussetzungen etwa zu Lehre und Finanzierung erfüllt, müsse eine solche Schule unabhängig von der Schulentwicklungsplanung genehmigt werden, sagt das Kultusministerium. Mehr Anträge als in Vorjahren gebe es aber nicht.
In Angern hofft man wieder nach all den aufreibenden Monaten. Die Debatten seien eine Lehrstunde in Kommunalpolitik gewesen, sagt Horstmann. Viele kennen nun die Kompetenzen von Gemeinde- und Verbandsgemeinderat oder den Weg eines Bürgerentscheids. Ortschef Fitsch kann dem Schul-Drama zumindest eines abgewinnen: Seine Einwohner haben ihn beeindruckt. „Ich bin richtig stolz, wie alle zusammengehalten haben.“
