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Projekt im Harz Projekt im Harz: Mobil im Minibus nach Roßla

Von Alexander Schierholz 23.10.2012, 17:19
Artikel vom 23.10.12 Auf nach Roßla: Service-Begleiterin Angela Bittner und Fahrer Heinz Rothe im Minibus.
Artikel vom 23.10.12 Auf nach Roßla: Service-Begleiterin Angela Bittner und Fahrer Heinz Rothe im Minibus. ANDREAS STEDTLER Lizenz

Rossla/MZ. - Die nächsten Fahrgäste kündigt Angela Bittner an, als der Bus kurz vor 9 Uhr das Ortsschild von Wickerode passiert: "Jetzt kommen unsere Mädels!" Noch eine Linkskurve, dann tritt Heinz Rothe auf die Bremse und stoppt. Ein Zischen, die Tür öffnet sich. "Guten Morgen!" ruft Bittner fröhlich zwei Rentnerinnen zu und wuchtet deren Einkaufstrolleys ins Fahrzeug. Die beiden älteren Damen steigen hinterher. Sie wollen nach Roßla, zum Supermarkt. "Der Bus ist ein Segen!", lobt Elvira Friedrich, eine der beiden Frauen.

Es ist nicht irgendein Bus, der seit April mehrere Dörfer im südwestlichen Harz mit dem Städtchen Roßla verbindet, mit Einkaufsmöglichkeiten und Ärzten. Er ist klein, hat nur 14 Sitze, aber einen Rollstuhlplatz und eine Rampe. Er fällt auf durch seine weißblau-rote Lackierung. Und immer fährt eine Begleitperson mit - in diesem Fall Angela Bittner. Die ehemalige Verkäuferin, 53, hilft beim Ein- und Aussteigen, schleppt Taschen, gibt Auskünfte.

"Service-Bus" nennt die regionale Verkehrsgesellschaft Südharz (VGS) das Angebot. Seit April pendelt der Kleinbus dienstags und donnerstags mehrmals am Tag im festen Takt zwischen Schwenda im Harz und Roßla. Ein weiterer bedient mittwochs und freitags mehrere Dörfer rund um Hettstedt.

Es ist ein Projekt, das aus der Not geboren ist: Im Landkreis Mansfeld-Südharz leben immer weniger Menschen. Derzeit sind es rund 148 000, 2025 sollen es nach Prognosen nur noch etwa 112 000 sein - ein dramatischer Rückgang. Der Kreis gehört damit zu denen im Land, die am stärksten mit einer schrumpfenden Bevölkerung zu kämpfen haben.

Weniger Einwohner aber bedeuten: immer weniger Fahrgäste. In den VGS-Bussen ist deren Zahl seit dem Jahr 2000 um ein Drittel gesunken. Hinzu kommt: Rund 75 Prozent der Fahrgäste sind Schüler. Längst richtet sich der Fahrplan nach den Unterrichtszeiten. Beispiel Schwenda: Montags bis freitags kommt 16 Mal ein Linienbus in das Dorf. Aber nur drei der Busse fahren täglich, neun nur an Schultagen, drei nur in den Ferien, einer lediglich auf Anruf. Ein solcher Fahrplan lässt sich kaum merken. Taktverkehr? Fehlanzeige.

Lange galt der Schülertransport als Rückgrat des öffentlichen Nahverkehrs auf dem Land. Aber auch die Schüler werden immer weniger - und damit die Busse. Die VGS etwa bietet heute fast ein Viertel weniger Fahrten an als noch im Jahr 2000. "Die Bedürfnisse gerade älterer Menschen, die mal zum Einkaufen fahren wollen, lassen sich damit nicht mehr abdecken", sagt VGS-Sprecherin Ines Weigel, zumal viele Ältere zu ganz anderen Tageszeiten unterwegs seien als Schüler.

Ist der Service-Bus die Lösung? Für sich und ihre Freundin Johanna Liebing schon, findet Elvira Friedrich aus Wickerode. "Wir sind von Anfang an dabei." Immer donnerstags fahren die beiden Rentnerinnen nach Roßla - zum Supermarkt, zu Ärzten, zum Friseur. "Ich kann meine Termine darauf einstellen und mir die Fahrzeiten leicht merken", freut sich Friedrich. Von Wickerode aus fährt der Bus um 8, um 9, um 11, um 12 und um 13 Uhr, zusätzlich stehen noch zwei Anrufbusse im Fahrplan.

Auch als es den Service-Bus noch nicht gab, ist Elvira Friedrich oft nach Roßla gefahren - mit dem Linienbus. "Aber das war umständlich." Den Einstieg in die großen Busse empfindet sie als unbequem. Und viele Linienbusse fahren von Wickerode und anderen Dörfern aus gar nicht nach Roßla, sondern in die Kreisstadt Sangerhausen. "Als wir den Service-Bus konzipiert haben", sagt Weigel, "haben wir festgestellt, dass viele Leute aus der Region sich eher nach Roßla orientieren."

Bisher haben Busunternehmen im ländlichen Raum stark auf den Anrufbus gesetzt. "Unserer Erfahrung nach ist aber bei vielen Fahrgästen, gerade älteren, die Hemmschwelle hoch, einen Rufbus zu bestellen", so Weigel. Der Gedanke sei verbreitet, "die können doch nicht extra für mich einen Bus fahren lassen".

Wer im Kreis Mansfeld-Südharz einen Anrufbus bestellen will, landet in einem Callcenter der landeseigenen Nahverkehrsgesellschaft Nasa. Das schrecke viele ebenso ab wie die 0180-Nummer, sagt die VGS-Sprecherin. Zwar können auch beim Service-Bus einzelne Fahrten außerhalb der Reihe telefonisch bestellt werden. Doch dafür hat das Unternehmen eine Festnetznummer geschaltet. Die Anrufer haben eine feste Ansprechpartnerin am Unternehmenssitz in Hettstedt. Das mag banal sein, doch für viele Fahrgäste schafft es offenbar Vertrauen.

Fahrer Heinz Rothe ist mittlerweile auf dem Rückweg von Roßla nach Schwenda. Dietersdorf kommt in Sicht. In dem Dörfchen sind morgens um 8.40 Uhr drei Fahrgäste zugestiegen. Nachdem die beiden älteren Männer und die ältere Frau in Roßla ihre Einkäufe erledigt haben, wollen sie gleich wieder zurück. Rothe kennt die drei mittlerweile. "Wir haben fast nur Stammgäste." Seit 1988 sitzt der 57-Jährige hinter dem Steuer eines Busses, beim Service-Bus ist er einer der beiden Stammfahrer. "Das macht mehr Spaß als im Linienverkehr", sagt er, "der kleine Bus fährt sich angenehmer. Und ich komme mit den Leuten ins Gespräch." Er lacht und zwirbelt seinen Schnauzbart. "Ich bekomme immer den neuesten Dorftratsch mit."

Bisher sind sie bei der VGS zufrieden mit der Resonanz auf den Service-Bus im Raum Roßla, den die Landesverkehrsgesellschaft Nasa und der Landkreis finanzieren. Die vorläufige Bilanz von April bis Juni: 332 Fahrgäste in Richtung Roßla, 241 in der Gegenrichtung, ermittelt jeweils anhand der verkauften Fahrkarten. Das klingt wenig, sei aber mehr als vor dem Start des Service-Busses, sagt VGS-Sprecherin Weigel: "Tendenz steigend". Die Differenz erklärt sich daraus, dass manche Kunden von Roßla aus per Zug noch weiterfahren.

Der Service-Bus in Mansfeld-Südharz ist nicht der erste Versuch, den öffentlichen Nahverkehr in ländlichen Gegenden zu verbessern. Ende 2009 hatte der Kreis Wittenberg ein ähnliches Projekt rund um Jessen gestartet, finanziert ebenfalls mit Landesmitteln. Doch Ende 2011 wurde der Einkaufsbus wieder eingestellt - mangels Fahrgästen.

Die Situation dort war allerdings eine andere als im Südharz, erinnert sich Hans-Jürgen Wolf, Betriebsleiter des Busbetreibers Vetter GmbH. "Der Misserfolg war programmiert" sagt Wolf. Auf allen drei Linien habe es damals neben Schülerverkehr schon den so genannten flexiblen Anrufbus gegeben - der kann täglich jede Stunde telefonisch bestellt werden. Im Gegensatz zu den Erfahrungen im Südharz wird der Rufbus im Raum Jessen laut Wolf mittlerweile auch angenommen. Ein zusätzlicher Einkaufsbus sei deshalb fehl am Platz, meint der Betriebsleiter. "Das war Konkurrenz. Wir haben uns gegenseitig die Fahrgäste weggenommen."

Im Südharz ist die finanzielle Förderung des Service-Busses vorerst auf drei Jahre beschränkt. Was danach wird, wird auch - wie in Jessen - von der Zahl der Fahrgäste abhängen. "Ich sage den Kunden immer", so VGS-Sprecherin Weigel, "ihr habt es in der Hand."