Prager Frühling Prager Frühling: Panzer für den Sozialismus

Halle/mz - Mitten in der Nacht zum 21. August 1968 ist es so weit. Es kommt zu dem, was allgemein erwartet wurde. In Ost, in West und natürlich im betroffenen Land selbst, der Tschechoslowakei. Dort hat man einige Monate wild mit dem Sozialismus experimentiert. In der kommunistischen Partei des Landes hatten im Januar 1968 Reformer die Regie übernommen. „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ hieß fortan die Devise. Eine Zeitlang schauen sich die übrigen sozialistischen Staaten das bunte Treiben in Prag noch an. Dann war es den Bruderstaaten mit der Menschlichkeit gar zu viel – sie lassen ihre Panzer in die Goldene Stadt rollen.
Neben sowjetischen besetzen Truppen aus Polen, Ungarn und Bulgarien die Tschechoslowakei. Unterstützt von Soldaten der Nationalen Volksarmee der DDR. So dachte man jedenfalls, fast drei Jahrzehnte lang.
Noch im April 1990 entschuldigte sich die erste frei gewählte Volkskammer dafür: „Der Einmarsch der Volksarmee geschah unter Verletzung des Artikels 8 der Verfassung der DDR. Wir haben in Angst und Mutlosigkeit diesen Völkerrechtsbruch nicht verhindert.“ Dass der Einmarsch jedoch heute als Mythos gilt, ist vor allem zurückzuführen auf die Recherchen des Militärhistorikers Rüdiger Wenzke, Direktor am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Sein 1995 erschienenes Buch zur Rolle der NVA im „Prager Frühling“ überraschte damals. Doch warum glaubten offenbar so viele Menschen – nicht nur in der DDR – an die Beteiligung ostdeutscher Soldaten?
Ein wesentlicher Punkt für Rüdiger Wenzke: Die DDR trat in dem Konflikt so aktiv und präsent auf, dass sich lange kaum jemand vorstellen konnte, die NVA sei nicht mit Richtung Prag marschiert. Zwar gab die DDR-Führung offiziell zunächst noch die friedliche Taube. Hermann Axen, im Zentralkomitee der SED für Außenpolitik zuständig, äußerte noch im Januar 1968 Richtung Prag: „Wir mischen uns natürlich nicht in die inneren Angelegenheiten der CSSR ein.“ Doch dass diese Positionierung nicht ernst gemeint war, zeigten die folgenden Wochen klar und deutlich. Immer mehr nahm die DDR innerhalb des Warschauer Paktes die Rolle des Falken ein und positionierte sich gegenüber der tschechoslowakischen Reformbewegung auf aggressivste Weise. Denn vor allem die DDR war zur Sicherung ihrer Existenz auf Geschlossenheit des Ostblocks angewiesen. Moralische Bedenken angesichts eines erneuten Einmarschs deutscher Soldaten in die Tschechoslowakei gab es nicht. Inzwischen kann mit Akten belegt werden, dass die NVA an einer militärischen Aktion beteiligt werden wollte. Als sie nicht zu einem Manöver zur Vorbereitung der Invasion eingeladen wurde, beschwerte sich Verteidigungsminister Heinz Hoffmann so massiv, dass diese Entscheidung revidiert wurde.
Fortan wurde die NVA in einbezogen. Die 11. Mot.-Schützendivision aus Halle und die 7. Panzerdivision aus Dresden sollten die sowjetischen Truppen unterstützen. Ende Juli bezogen NVA- und Sowjetsoldaten ihre Stellungen. „Die südliche DDR glich einem Heerlager. Neben den Sowjet-Truppen standen 16 500 NVA-Soldaten für den Einmarsch in den Wäldern Sachsens bereit“, schildert Wenzke.
Als in der Nacht zum 21. August 1968 der Einmarsch begann, war jedoch kein NVA-Soldat beteiligt, auf eindeutigen Befehl Leonid Breschnews. „Wir haben sie zurückgehalten“, erklärte der KPdSU-Chef aus der Sowjetunion dem tschechoslowakischen Präsidenten Ludvík Svoboda. Für Rüdiger Wenzke spielten die Erfahrungen der Tschechen und Slowaken mit den deutschen Besatzern im Zweiten Weltkrieg bei dieser Entscheidung sicher eine Rolle.
„Anders als die DDR-Führung war Breschnew in dieser Frage offenbar sensibler.“ Das war wohl auch ein Grund, dass die sowjetischen Truppen kaum auf Widerstand stießen und die NVA militärisch entbehrlich war. Gerüchte, nach denen NVA-Soldaten in Uniformen der Sowjetarmee in die Tschechoslowakei einrückten, verweist Historiker Wenzke in das Reich der Legenden. Letztlich habe es nur eine kleine Gruppe von Offizieren und Fernmeldern gegeben, die wirklich nördlich von Prag stationiert waren.