Pferdezucht Pferdezucht: «Hengsthaltung ist eine hoheitliche Aufgabe»

Prussendorf/dpa. - «Monte Bellini» kommt fast täglich zumHöhepunkt. Mit seinen acht Jahren steht der braune Westfale mit demneugierigen Blick und der sorgsam gekämmten schwarzen «Ponyfrisur»voll im Saft. Der Hengst ist - im wahrsten Sinne des Wortes - dasbeste Pferd im Stall des Landgestüts Sachsen-Anhalt in Prussendorf.In dem Dorf bei Halle sorgen 20 Fachleute und ebenso viele Hengstedafür, dass die Pferdezucht geeigneten Nachwuchs für den Reitsporthat und seltene Rassen erhalten bleiben. Denn was viele nicht wissen:«Hengsthaltung ist laut Tierzuchtgesetz eine hoheitliche Aufgabe»,sagt der Leiter des landeseigenen Gestüts, Siegmund Hintsche.
Der 54-jährige Agraringenieur ist nicht nur Pferdeexperte durchund durch, sondern als Landstallmeister auch Behördenchef. Besondersbürokratisch geht es in Prussendorf aber trotzdem nicht zu. NichtAktenordner, Runderlässe oder Gesetzestexte sind hier dasTagesgeschäft, sondern Sperma. In der Besamungsstation, dem Kern desweitläufigen Gutshofes, geben stolze Hengste wie «Monte Bellini»jeden Tag ihr bestes, um Fohlen zu produzieren. Auf den eigentlichenBegattungsakt müssen sie aber verzichten.
«Den Natursprung gibt es kaum noch, wir sind im Zeitalter derkünstlichen Besamung», schildert Hintsche. Und das geht so: DieLandbeschäler - so nennt der Fachmann die Hengste - werden in einengaragengroßen, gekachelten Raum geführt. Dort steht in einem GestellAnimationsstute «Felicitas», die die Hengste betört und «heiß» macht.Statt der anmutigen «Felicitas» bespringen sie dann jedoch einenschnöden, zwei Meter langen, ledernen Bock, in den sie sich dankeiner Lasche sogar verbeißen können. Mit einer 60 Zentimeter langenkünstlichen Gummi-Vagina fängt Besamungsmeister Enrico Kurze dasSperma aus dem Penis der Pferde auf.
Ein Tierarzt bringt den Samen dann in die Gebärmutter rossiger -also paarungsbereiter - Stuten ein. Das geschieht im Gestüt selbst,wo Züchter ihre Pferde für einige Zeit in Pension geben. «Der Samenwird aber auch per Kurier an Züchter in Sachsen-Anhalt, denNachbarländern oder sogar nach Belgien oder Schweden verschickt»,sagt Hintsche. Bis zu 1250 Euro kostet eine Portion, die maximal 36Stunden haltbar ist. Für die Qualität bürgt Kurze, der das Sperma vorder Verwendung ausgiebig untersucht, etwa unter dem Mikroskop.«Mindestens 500 Millionen vorwärtsbewegliche Samenzellen pro Portionsind Vorschrift.»
Ob elegante Dressur- und Reitpferde, Ponys oder die einst in derLandwirtschaft verbreiteten, stämmigen Kaltblüter - für jede Stutefindet sich ein geeigneter Hengst als Samenspender. «Wir müssennatürlich schauen, ob es passt», sagt Hintsche. Auch das ist wiedereine Wissenschaft für sich: Blutlinien der beteiligten Tiere - alsoihre Abstammung - werden dazu ebenso analysiert wie ihr Charakter,Temperament und Leistungsfähigkeit, denn: «Jedes Pferd ist anders.»
Die Hengsthaltung nebst Besamung ist allerdings nicht die einzigeAufgabe, die das Landgestüt erfüllt. «Wir verstehen uns alsDienstleistungsbetrieb rund um das Pferd», beschreibt Hintsche. ZumSpektrum gehören die Ausbildung von Pferden, Reitern undGespannfahrern, Leistungsprüfungen für die Tiere und die Ausbildungjunger Pferdewirte. Derzeit lernen hier immerhin zwölf Azubis. «DerBedarf ist da, wir sind hier der größte Ausbilder im Land.»
Aber: Braucht das Land ein eigenes Gestüt, zumal in Zeiten knapperKassen? «Ja», sagt Agrarminister Hermann Onko Aeikens (CDU). Da es imLand nur wenige private Hengsthalter gebe, sei es eine entscheidendeStütze der Landeszucht. «Zudem hat Pferdehaltung und -zucht großeBedeutung für das Leben in ländlichen Räumen, belebt das Vereins- undKulturleben und sichert auch Arbeitsplätze.» So gesehen seien 220 000bis 420 000 Euro Landeszuschuss jährlich gut angelegt.
Dem pflichtet auch der Pferdezuchtverband Brandenburg-Anhalt bei,in dem 4360 Züchter aus beiden Bundesländern organisiert sind. «EinLandgestüt bringt die Zucht nach vorne und ist wichtig für die Aus-und Weiterbildung von Pferdefachleuten», sagt Geschäftsführer Horstvon Langermann. Daher gibt es in Deutschland neun weitereLandgestüte, etwa in Redefin (Mecklenburg-Vorpommern), Neustadt/Dosse(Brandenburg), Celle (Niedersachsen) oder Moritzburg (Sachsen).