Papierkünstler aus Wettin-Löbejün Papierkünstler aus Wettin-Löbejün: Der Verschachteler

Wettin-Löbejün/MZ - Nein, wenn es ums Geschenke einpacken geht, ist Andreas Richter nicht aus der Ruhe zu bringen. Im Gegenteil: Was zigtausenden anderen in diesen Tagen vor Weihnachten die Schweißperlen auf die Stirn treibt, erzeugt bei dem 59-Jährigen aus Dobis, einem Ortsteil von Wettin-Löbejün im Saalekreis, pure Freude. Und er käme auch nie auf die Idee, diesen Job gleich im Geschäft erledigen zu lassen. „Die Schachteln sind meine größte Leidenschaft“, sagt der Mann, der sich einer besonderen Kunst widmet - der Papierkunst. Schachteln aus seiner Hand werden da selbst zum Geschenk: keine Verpackungen zum Wegwerfen, sondern Kunstobjekte.
Zum Beispiel die nachgebildete Fischbüchse, bezogen mit elfenbeinfarbenem Papier, das Andreas Richter mit historischen Lettern bedruckt hat - im sogenannten Irisdruck, der die Farben wie bei einem Regenbogen ineinander laufen lässt. Der Deckel biegt sich beim Öffnen und Schließen, als sei es eine echte Dose - ein Effekt, auf den es der Künstler natürlich angelegt hat. Bei seinen Arbeiten muss Richter millimetergenau vorgehen, sonst schließt am Ende die schönste Schachtel nicht. Meist baut er einen kleinen Gag ein, ein Geheimfach etwa, wie bei seinen Ziegen aus Pappe und Papier: Wer an ihrem Schwanz zieht, entdeckt es.
Interesse hat zugenommen
Die lustigen Ziegen sind mit Buntpapier gemacht, das Andreas Richter immer einmal im Jahr auf großen Bögen selbst herstellt. „Dafür wird Stärkekleister eingefärbt, Maschinenbüttenpapier damit eingestrichen und mit Schablonen oder Kämmen bearbeitet, so dass Muster entstehen“, erklärt der freischaffende Papierkünstler, von dessen Werken selbst die Kanzlerin eines besitzt: Als Angela Merkel nämlich 2011 den Magdeburger Kaiser-Otto-Preis samt Medaille erhielt, wurde diese in einer Schachtel aus Richters Atelier überreicht.
In den vergangenen Jahren habe das Interesse an den aufwendig gestalteten Kästchen wieder zugenommen, erzählt er. Nachdem der Buchbindermeister in vierter Generation zu DDR-Zeiten gut von den Schachteln leben konnte, fanden sich in den 90ern, als billige Hochglanzvarianten in die Läden kamen, immer weniger Abnehmer. Richter konzentrierte sich auf die typografische Gestaltung am Computer, er entwarf Plakate und Flyer, gestaltete Bücher und Ausstellungen. Noch heute überwiegt seine Arbeit als Grafikdesigner. Doch: „Die Leute entdecken die Handwerkskunst wieder.“ Seine Schachteln, die ab 30 Euro zu haben sind, erfreuen sich großer Beliebtheit.
Dabei war geradezu vorgezeichnet, dass der gebürtige Berliner einmal „etwas mit Papier“ machen würde. Sein Urgroßvater hatte 1883 eine Kartonagenfabrik und Buchbinderei in Berlin gegründet, auch sein Großvater und Vater ergriffen den Beruf des Buchbinders. So ist Andreas Richter gewissermaßen in der Werkstatt großgeworden, in der Schule wurde er immer nur „Kartonrichter“ genannt. Im heimischen Atelier erzählen etliche historische Maschinen von der Familientradition: eine Fadenbuchheftmaschine etwa, oder die große Pappschere. Es ist aber eher Nostalgie, warum sie dort stehen - im Alltag nutzt Richter sie kaum. Derweil liegen seine wichtigsten Werkzeuge unscheinbar in einer Schublade: Verschiedene Falzbeine aus Walfischknochen zum Papierfalzen und für Lederarbeiten.
Kurse für jedermann
Auch die schönen alten Schachteln seines Urgroßvaters, die dieser als Prototypen hergestellt und mit Velourspapier und einem Spiegel im Inneren versehen hatte, bewahrt er sorgfältig auf. „Die haben mir schon als Kind so gut gefallen“, sagt Andreas Richter, der sowieso ein Faible fürs Sammeln hat. Historische Landkarten aus der Wettiner Gegend haben es ihm angetan. Davon habe er „an die 100 Stück“. Doch der Klassik-Fan sammelt beispielsweise auch Apfelsinenpapier aus aller Welt. „Es ist nur eine Platzfrage“, sagt Richter lächelnd.
Wobei das charmant eingerichtete Landhaus von ihm und seiner Frau Edith Scholz, einer Rechtsanwältin, ganz und gar nicht klein daherkommt. Beide verliebten sich vor 15 Jahren in das Haus, den Ort Dobis und die „atemberaubende Landschaft“ des Unteren Saaletals, zogen von Halle hierher. Seither hat das Paar viel Arbeit in das alte Gutshaus investiert. Und genießt das Landleben - zu dem auch zwei Haflinger samt Kutsche, ein Schaf, eine Ziege, zwei Katzen und der gemütliche Familienhund Karli, ein Labrador, gehören. Im Moment werkeln die beiden an einer Galerie, die im Souterrain des Hauses entsteht. Vom Frühjahr an soll es dort Ausstellungen von Andreas Richter, aber auch anderen Künstlern geben.
Der Verschachtelungskünstler will ab dem kommenden Sommer auch Kurse für jedermann anbieten, zum Beispiel zum Schöpfen von Papier oder Arbeiten mit Pappmaché. „Es gibt viele Interessenten“, erzählt er, „und ich freue mich, mein Wissen ein Stück weit weitergeben zu können.“
Papierkünstler Andreas Richter im Internet: www.papierrichter.de
