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Pädagogen in Sachsen-Anhalt Pädagogen in Sachsen-Anhalt: Lehrer auf Achse

Von Ralf Böhme 11.03.2014, 08:40
Karin Strobach baut den Stundenplan an der Grundschule Allstedt. Dabei muss die Schulleiterin beachten, dass einige ihrer Kolleginnen stunden- und tageweise an anderen Schulen unterrichten.
Karin Strobach baut den Stundenplan an der Grundschule Allstedt. Dabei muss die Schulleiterin beachten, dass einige ihrer Kolleginnen stunden- und tageweise an anderen Schulen unterrichten. Andreas Stedtler Lizenz

Allstedt/MZ - Ein violettes Blättchen auf der Stundentafel. An der Grundschule in Allstedt (Mansfeld-Südharz) steht es für Bärbel Steyer. Montag, Dienstag und Freitag ist die Pädagogin fest in Allstedt eingeplant. Mittwoch und Donnerstag arbeitet die Lehrerin dagegen auswärts - im 40 Kilometer entfernten Eisleben.

Was die CDU für die Zeit ab 2017 als Variante ins Spiel gebracht hat, bestimmt für Bärbel Steyer bereits heute den Alltag: Sie unterrichtet nicht nur an einer, sondern an zwei Schulen. Das umstrittene Gedankenspiel der Bildungspolitiker, Lehrer und nicht Schüler zum Unterricht fahren zu lassen, bringt sie daher auch nicht aus der Ruhe. „Warum auch, ich bin doch längst Pendlerin.“

Ihre regelmäßige Abwesenheit in Allstedt markiert ein senkrechter, weißer Streifen auf der Magnettafel. Ein anderer Maßstab ist der Tacho ihres Autos. Jeder Unterrichtstag in Eisleben bedeutet ein Plus von rund 80 Kilometern. Freiwillig machen Lehrer wie sie das meist nicht.

Der konkrete Grund im Fall von Bärbel Steyer: An der Grundschule in Eisleben fehlt ein Deutschlehrer. Ohne Ersatz müsste daher Unterricht ausfallen. Diese Lücke füllt Bärbel Steyer, die in Allstedt sonst nicht auf ihre volle Wochenstundenzahl kommen würde. Der Mehraufwand für sie ist aber erheblich. Und es sind nicht nur die zusätzlichen Fahrten, die ins Gewicht fallen. Weil jede Klasse anders sei, müsse doppelt und dreifach in die Vorbereitung der Stunden investiert werden, erklärt sie.

Keine Ausnahme

Wer glaubt, die Lehrerin aus Allstedt sei eine Ausnahme, irrt. Wie sie pendeln bereits fast 100 Grundschullehrer in Sachsen-Anhalt. In Allstedt trifft das auch noch auf Steffi Herold zu. Zwei Mal pro Woche fährt sie an die Grundschule nach Osterhausen. Dort deckt sie die Fächer Ethik und Englisch ab, montags und dienstags jeweils in den ersten beiden Stunden. Danach geht es die gut 15 Kilometer zurück nach Allstedt. Wenn die Straße frei ist, kommt sie pünktlich an. Ansonsten muss sie auf ihre Frühstückspause verzichten. Aber auch Schulleiterin Karin Strobach ist viel auf Achse. Seit zwei Monaten hilft sie jede Woche als Mathematiklehrerin in Eisleben aus.

Ein Stundenplan, der das ganze Schuljahr gültig ist - diese Zeiten sind vorbei. Improvisation ist nach Angaben der Schulleiterin wichtiger denn je. Deshalb wechselten im Stundenplan mitunter Rot zu Blau. Und Grün ersetzt Violett. Oder manchmal Braun. Strobach spricht von der Suche nach dem Machbaren. Ohne Kompromisse und gegenseitiges Entgegenkommen liefe gar nichts. Ein Stundenplan, der am Ende aufgeht, ist deshalb alles andere als Glückssache. Strobach, die schon viele Jahre als Schulleiterin arbeitet und Stundenpläne gestaltet, kennt alle Tricks. Da kann ihr die Magnettafel mit den vielen bunten Blättchen schon ein wenig als Prüffeld für schulpolitische Gedankenspiele dienen. An eine Allheilwirkung des Pendelkonzepts der CDU glaubt sie jedoch nicht. „Dass Lehrer an mehreren Schulen unterrichten, ist meistens eine Notlösung und selten besonders glücklich.“ Ihr wichtigster Einwand: Wer seine Arbeitszeit auf der Straße verbringe, könne nicht gleichzeitig vor einer Klasse stehen.

Praxis sieht anders aus

Die Probe aufs Exempel macht die Schulleiterin am Beispiel ihrer eigenen Schule. 161 Schüler in neun Klassen wollen etwas lernen. Elf Lehrer, darunter zwei Teilzeitkräfte, sollen ihnen Wissen vermitteln - in zehn Fächern. Pro Woche stehen 240 Stunden auf dem Programm. Um den Unterricht zu planen, kann Strobach unter vielen Varianten auswählen - rein rechnerisch. Doch die Praxis sieht anders aus. So sollten Mathe und Deutsch, quasi die Hauptfächer, täglich auf dem Plan stehen. Ebenso wünschenswert sei es, dass Klassenleiter jeden Tag in ihrer Klasse unterrichteten. Und dass Kinder mittags andere Herausforderungen suchten, als in den ersten beiden Stunden, verstehe sich von selbst.

„Ob an der Schule oder im Land, alles steht und fällt mit einer ausreichenden Anzahl von Lehrern.“ Der Altersdurchschnitt der Lehrerschaft stimme sie hier wie da nicht optimistisch. Er liegt bei 50 plus.