Ost-West-Ehe Ost-West-Ehe: Klönen und schlabbern
ASCHERSLEBEN/MZ. - Seine Schwiegermutter hat ihm kürzlich gebeichtet, was sie bei ihrer ersten Begegnung zuerst gedacht hat. "So ein richtiger Wessi: mit Mantel, Anzug und Aktentasche!" "Dabei wollte ich nur ordentlich aussehen", sagt Peter Löbbecke 13 Jahre später. Doch die gesellschaftliche Akzeptanz der Krawatte sei im Osten damals wie heute noch niedrig, hat er beobachtet. "So nach dem Motto: Die Anzugträger aus dem Westen haben 13 Jahre für das Abitur gebraucht - weil ein Jahr Schauspielunterricht dabei war." Gesagt habe ihm so etwas damals niemand. Und auch bei seiner Familie und Freunden im Westen gab es nie Kommentare, dass er eine Ost-Frau habe. Gedacht hätten es sicher einige.
Das Thema Ost-West-Ehe interessiert Peter Löbbecke. Erstens ist er Soziologe, zweitens in Osnabrück geboren und drittens mit Simone aus Aschersleben verheiratet. Seit mehr als 13 Jahren sind beide ein Paar, eine geglückte Ost-West-Verbindung in Aschersleben, der Heimatstadt von Simone Löbbecke. Beide bilden eine Gemeinschaft, der 20 Jahre nach der Einheit noch immer das Attribut "deutsch-deutsch" anhaftet. Und irgendwie zu recht: "Wir nennen uns heute immer noch gerne mal Ossi beziehungsweise Wessi."
Wie funktioniert das? Er sozialisiert im Westen, sie im Osten? Die Antwort ist simpel: "Peter ist meine große Liebe", sagt seine Frau irgendwann in diesem Gespräch über innerdeutsches Zusammenleben. Aber natürlich gibt es Verständigungsschwierigkeiten, so die 53-jährige Krankenschwester. Sprachliche etwa. Auf die Frage, wie man sich kennen gelernt habe, antwortet er, man sei in beiderseits schwierigen Lebensphasen einander beim "Klönen" näher gekommen - in Aschersleben heißt so etwas "Schlabbern".
1995 ist der heutige Professor für Kommunikationswissenschaften als Dozent an die Polizei-Fachhochschule nach Aschersleben gekommen. Dort haben sie ihn, den Wessi, auch ausgetestet. "Die älteren Polizisten haben schon mal russisch miteinander geredet. Was ich natürlich nicht verstand."
Was dem "Wessi" damals sofort auffiel und im deutsch-deutschen Zusammenleben abgestimmt werden muss: "Die Ostdeutschen haben, so glaube ich, ein entspannteres Verhältnis zur Zeit. Unpünktlichkeit etwa beunruhigt mich, wir Wessis haben ein anderes Zeitkonzept." Und natürlich gebe es die Ost-West-Klassiker: die verschiedenen Uhrzeit-Interpretationen rund um die Viertelstunde und - das Handgeben zur Begrüßung. "Das war im Westen nicht so üblich". Westler Peter Löbbecke glaubt im Übrigen, dass sich dies inzwischen auf die Altbundesrepublik übertragen habe. Einen weiteren Unterschied stellt Ost-Frau Löbbecke fest: "Bei uns war es immer so, dass sich Freunde oder Familie besuchen, ohne sich groß anzumelden. Mein Mann musste erst akzeptieren lernen, dass es plötzlich klingelt."
"In 40 Jahren haben sich zwischen Ost und West einfach unterschiedliche Kulturen herausgebildet. Das egalisiert sich zwar immer mehr. Aber etwa die Klischees von der ostdeutschen Zurückhaltung einerseits und der westdeutschen Selbstdarstellung stimmen allgemein immer noch", ist sich der 51-Jährige sicher.
"Ich bin mit einer großen Neugier nach Aschersleben gekommen, das hat mir bei der Integration und auch im Miteinander geholfen", sagt der Soziologe heute. Seinen Studenten gegenüber gebrauche er übrigens "Ossi" und "Wessi". Obwohl es durchaus diskriminierende Begriffe seien. Aber wenn etwas oft gesagt werde, dann verliere es diesen Charakter. Er sei, fügt er hinzu, im Übrigen einer der ersten Ossis überhaupt gewesen. "Bei uns in Osnabrück gab es schon lange vor der Wende Autoaufkleber in der Art: ,Ich bin ein Ossi' oder ,Ossis find ich gut'."
Beide Löbbeckes leben gern in Aschersleben. Bei den "sturen Möhrenköpfen", wie es dort heißt. Auch für ihn ist die Kleinstadt Heimat geworden. Das Paar reist gerne und weit. "Nur in den Osten, nach Tschechien und Polen, zieht es mich nicht mehr. Das habe ich früher zu oft gesehen", sagt Simone Löbbecke. Sie sei zutiefst dankbar für die Wende. Und ihren Mann.
Beinahe wäre übrigens nichts draus geworden. Zu ihrem ersten Treffen hatten sie sich am Ascherlebener Wahrzeichen, dem Johannisturm, verabredet - allerdings an unterschiedlichen Tagen. Und wer hat es versiebt? "Da gibt es zwei ganz unterschiedliche Darstellungen", sagt Peter Löbbecke.