Oper Halle Oper Halle: "Gottlob! wir haben das Original..."

Halle (Saale)/MZ. - Über das, was nachts so im Museum passieren kann, gibt’s Einschlägiges aus Hollywood. Ben Stiller hatte in der gleichnamigen Fantasy-Komödie vor ein paar Jahren alle Mühe, die Geister, die nach dem Ende der Öffnungszeiten zum Leben erwachen, wieder in ihre Vitrinen zu bekommen. Die Oper Halle eröffnete jetzt die neue Spielzeit mit dem Versuch, die Himmelsscheibe als „Sky Disc“ zum Klingen zu bringen. Das gute Stück hat es ja seit seinem Wieder-Auftauchen kurz vor der Jahrtausendwende nicht nur im Handumdrehen zum populären Wahrzeichen, sondern auch gleich noch in den Kanon des Unesco-Weltdokumentenerbes geschafft. Mit Brief und Siegel. Gerade vor ein paar Tagen. Und das ist gut so. Selbst die Krimis um ihre Entdeckung und dann um ihre angebliche Fälschung wirkten am Ende (auch nur) wie zusätzliche PR-Maßnahmen.
Das Schmuckstück ist als archäologisches Artefakt aber auch faszinierend!
Der Prototyp eines Piktogramms des aktuellen Weltwissens der Bronzezeit. Oder so ähnlich. Die Himmelsscheibe verfügt zudem über die magische Eigenschaft, vom Zeitpunkt ihres Auftauchens an, nicht mehr zu altern. Zumindest, wenn man der Haltestellen-Ansage in der Straßenbahn glaubt. Da ist sie seit Jahren exakt 3600 Jahre alt. Mit dem Landesmuseum für Vorgeschichte hat dieses Wunderding ein ganz vorzüglich bestelltes und geführtes Haus zur Heimstatt. Sie selbst ist im Kleinformat (auch am Permierenabend) sogar Dekolleté-tauglich. Ohne Kitsch-Verdacht.
Und jetzt gibt’s auch noch die Oper, respektive das Opern-Oratorium zur Scheibe - sie wird es aushalten (müssen). Denn bei dem Versuch, mir dieser Disc in die Opern-Charts zu kommen, wird in diesem Falle auch das besondere Wohlwollen nicht helfen, das man jedem neuen Werk für Musiktheater einräumen sollte.
Dabei hat sich das Opernhaus alle Mühe gegeben. Die Staatskapelle unter Leitung von Andreas Henning wirft sich mit Verve in das gefällige, kein bisschen aneckende oder aufregende Klangwabern, das immer irgendwie post-spätromantisch klingt und fast in der eigenen Bedeutsamkeits-Behauptung versinkt. Die Protagonisten gaben alle ihr Bestes: allen voran Gerd Vogel als Scheibenschmied Fierket, aber auch Mária Petrašovská als seine misstrauische Cousine Estria, Robert Sellier als deren Enkel Pyrpi, Hiltrud Kuhlmann als Prinzessin Tamar (ein bisschen adliger Glanz muss sein, auch in der Bronzezeit!), Sandra Maxheimer als deren (schon wieder) Cousine Guueren und auch Ulrich Burdack als Fährmann und Ki-Hyun Park als Priester. Und natürlich der Chor, der von Jens Petereit bestens einstudiert, seinen oratorisch weihevollen Beitrag wenigstens vom Blatt singen durfte. Für vokale Prachtentfaltung immerhin lässt der Katalane Ramon Humet den Sängern Raum.
Trotzdem wurde kein Schuh draus. Wenn denn Handlung erkennbar wird, bleibt die ein banaler Mix aus Handwerkerehrgeiz und aufgesetzter Lovestory, mit Drang zu Höherem. Wenn man alles mitliest, dann kann es einem dabei sogar die Schuhe ausziehen! Von den aufsteigenden Fragen „Was? Warum? Wer? Wie?“ über „Menschen Objektschaffende“ und einem „impotenten Prinzen“ bis hin zum pseudowissenschaftlichen „Am Punkt der Implusion laicht neue Materie“ oder dem Priesterwort „Dem Farn gleich hat sich das Kind entrollt“. Wobei besagtes Kind auf der Bühne wie ein eingewickelter Laib Brot durchgereicht wird.
Einmal ist das Gedöns sogar der Übertitelungsanlage zu viel. Wenn es im abgedruckten Text heißt: „Auch mit dem Händler, flussauf“, dann macht die kurzerhand einen Händel draus. Ach ja, Händel! Sage keiner was gegen dessen Librettisten! Schade, dass der Witz ein Fehler ist….
Das Ganze kommt wie ein faselnd wehender Wortschwall des Weltatems daher, um mal Wagner abzuwandeln, dessen Gralszauber hier Spätfolgen zeitigt. Und das dann auch noch dreisprachig - in Deutsch, Englisch und Katalanisch. Vor allem aber zündet in den (zu) langen zwei pausenlosen Stunden weder ein Erkenntnisfunke in all der gestelzten Bedeutungslyrik zwischen Hammerschlag und Supernova, noch erwachen die schreitenden Figuren zu irgendeinem Leben. Nicht mal zu dem von Geistern, die nachts ein Museum unsicher machen, wie im Film.
Im Museum hat Regisseur G.H. Seebach das Ganze angesiedelt. Mit einer schicken Vitrine für die Scheibe als Zentrum und einem kraterartigen, beweglichen Rahmen drum herum (Bühne: Hartmut Schörghofer). Von hier aus steigen die Besucher von heute (Kostüme: Ragna Heiny)in die alte, erfundene Geschichte um die Entstehung der Himmelscheibe hinein. Freilich plumpsen sie hier eher in den Brunnen der Vergangenheit, als das sie von seiner Unergründlichkeit profitieren. Auf dem Rundhorizont um den angedeuteten Ausstellungsraum der Himmelscheibe (der aus unerfindlichen Gründen irgendwo in die englischsprachige Welt, in ein History Museum of Nature verlegt wurde) steigen immer wieder projizierte Worte in den Himmel auf. Was gar nicht schlecht aussieht, vor allem aber eine selbstreferenzielle Pointe ist, die das ganze Unternehmen, vor allem das rettungslos verquaste Libretto von Rebecca Simpson, unfreiwillig auf den Punkt bringt. Von oben regnet es am Ende dann auch noch Vulkanasche….. zum Glück reicht die Zeit nicht mehr für eine Pompeij-Oper. Auch da wäre unser Museum Nummer Eins wohl nicht zu überbieten. Das Premierenpublikum honorierte fair die Anstrengung der Protagonisten. Interessiert man sich freilich für die Himmelscheibe und ihren mühevoll erforschten Kontext, bleibt der Besuch im Museum der Königsweg. Mit der Opern-Eintrittskarte sogar ermäßigt.