Onlinehändler Mercateo Onlinehändler Mercateo: Amazon aus Köthen

Köthen/MZ - Wenn Jessica Richter neuen Freunden oder Bekannten erzählt, dass sie beim Onlinehändler Mercateo arbeitet, dann blickt sie oft in fragende Gesichter. Amazon, Ebay, Zalando kennen alle. Notebooksbilliger und Cyberport sind einigen noch ein Begriff. Aber Mercateo? Die junge Frau, die Leiterin des Kundenservices ist, erklärt dann, dass die Köthener Firma mehr als 13 Millionen Artikel anbietet - allerdings ausschließlich für Firmen.
Der Online-Händler Mercateo hat im vergangenen Jahr einen Umsatz von 135 Millionen Euro erwirtschaftet, im Jahr 2009 waren es erst 54,8 Millionen Euro. Das Unternehmen beschäftigt insgesamt knapp 300 Mitarbeiter, davon etwa 250 in Köthen. Mercateo vertreibt unter anderem Bürobedarf, Gebäudetechnik und Elektronik. In Deutschland werden über den Online-Marktplatz mehr als 13 Millionen Artikel angeboten.
Mehr als eine Million Kunden kaufen bei Mercateo bereits ein. Von der Büroklammer über den Laptop bis zum Poller für den Parkplatz - das Sortiment des Online-Marktplatzes kennt keine Grenzen. Mercateo will das Amazon für Unternehmen werden.
Cleverer Wirtschaftsförderer
Helles Licht fällt durch die großen Fenster der historischen Kaffeerösterei, in der sich heute die Großraumbüros des Online-Händlers befinden. Richter sitzt, Headset auf dem Kopf, mit ihren Kolleginnen und Kollegen vor Computerbildschirmen. Das Bild erinnert an ein Call-Center. „Die Aufgaben sind aber weit umfangreicher“, sagt sie. „Wer hier neu anfängt, muss sechs Monate eingearbeitet werden.“ Dann zählt sie auf: Kundenanfragen zu Lieferzeiten beantworten, Reklamationen annehmen, den Warenfluss überwachen, Angebote an Großkunden, und, und und. Mercateo ist Handels- und Technologie-Unternehmen in einem. Solche Firmen findet man in Deutschland eigentlich eher in Berlin, Hamburg oder Leipzig. Mercateo operiert europaweit von Köthen aus. Geplant war dies nicht, eher glückliche Fügung.
Fünf Unternehmensberater hoben auf dem Höhepunkt der New Economy im Jahr 2000 die Firma in München aus der Taufe. Doch mit dem Kurssturz an den Börsen versiegte auch der Geldstrom der Investoren an das junge Unternehmen. Ende 2001 übernahmen Sebastian Wieser und Peter Ledermann das Ruder. Letzterer kam aus der traditionell konservativen Energiebranche. Ledermann fand zwar eine funktionierende Technologie vor, die Kasse war allerdings leer. Durch Zufall lernte der Manager den damaligen Wirtschaftsförderer von Sachsen-Anhalt, Marcus Tolle, kennen. Dieser machte ihm ein verlockendes Angebot: Personalkostenzuschüsse für neue Mitarbeiter und günstige Immobilien im Osten der Republik. Ledermann verlegte das Geschäft des Start-ups kurzerhand nach Köthen. Mit neun Mitarbeitern startete das Unternehmen 2004 in der Bachstadt - heute sind es 250.
Wie es bei Mercateo aussieht und wie im Unternehmen gearbeitet wird, erfahren Sie auf Seite 2.
Die DNA eines jungen Technologie-Unternehmens ging dabei nicht verloren. Wer Mercateo in Köthen besucht, stößt gleich am Eingang auf eine große Kaffeebar. Mittzwanziger in T-Shirts und Turnschuhen stehen an einem langen Tresen und schlürfen eisgekühlte Säfte. Auf dem Hof stehen Holzbänke, die Cafeteria bietet Mittagessen für 3,50 Euro an. „Für mich ist es wichtig, dass Software-Entwickler und Service-Mitarbeiter zwanglos ins Gespräch kommen können“, sagt Ledermann. An den Kaffeebars, die im ganzen Haus verteilt sind, steht immer auch eine große weiße Schreibtafel. „Die besten Ideen und Verbesserungen entstehen oft dort“, so der Unternehmer.
Kein eigenes Lager
Anders als die großen Online-Händler Amazon und Zalando arbeitet Mercateo ohne eigenes Lager. Die Millionen von Artikeln werden auf dem Online-Marktplatz von insgesamt 700 Lieferanten (Hersteller oder Großhändler) angeboten. „Die Käufer werden von diesen direkt beliefert, die Rechnung läuft allerdings über Mercateo“, erklärt der Firmenchef das Konzept. Dies habe gerade für größere Unternehmen den Vorteil, dass der lästige, aber notwendige Einkauf von Büromaterial zentral gesteuert und abgerechnet werden kann. Zu den Kunden gehören unter anderem der Energiekonzern RWE, der Leuchtenhersteller Osram und der Haushaltsgerätehersteller Miele. In den vergangenen Jahren wuchs der Umsatz des Unternehmens im Schnitt um jährlich 20 Prozent, zum zehnjährigen Jubiläum in Köthen wurde Ende Juni ein Büroanbau eingeweiht. Künftig ist somit Platz für bis zu 400 Mitarbeiter. Zudem werden derzeit in vielen europäischen Großstädten wie Paris, London oder Budapest Büros eröffnet.
Wie Mercateo mit den Änderungen bei Google umging, lesen Sie auf Seite 3.
Mercateo profitiert wie viele Internet-Konzerne von der sogenannten Skalierbarkeit des Geschäfts. Das heißt, es muss einmal in eine teure Technologie-Plattform investiert werden. Auf dieser können dann 100 000, eine Million oder auch zehn Millionen Geschäfte abgewickelt werden, ohne dass die Kosten stark ansteigen. Bei jedem Kauf verdienen die Köthener mit.
Unabhängig von Google werden
Ein Perpetuum mobile ist das Konzept dennoch nicht. Im vergangenen Jahr brach kurzzeitig die Zahl der Neukunden ein, weil die Suchmaschine Google ihren Algorithmus geändert hatte. Bei Suchanfragen wurde Mercateo nicht mehr an vorderer Stelle gelistet. Ledermann zog daraus die Konsequenz, noch stärker den eigenen Vertrieb auszubauen. Konzerne und größere Mittelständler werden von eigenen Vertriebsmitarbeitern betreut, die die Kunden vor Ort - also offline - besuchen. Nach Worten von Ledermann stammt bereits heute 90 Prozent des Umsatzes von Stammkunden. „Unser Ziel ist es, nicht mehr auf Neukunden über Google angewiesen zu sein.“ Man sei auf einem guten Weg.
Angewiesen bleibt Mercateo auf jeden Fall auf fähige neue Mitarbeiter, die in Köthen nicht mehr so leicht zu finden sind. Vor einigen Jahren wurde daher auch im Gewerbekomplex „Städtisches Kaufhaus“ in Leipzig ein Standort eröffnet. „Viele junge Menschen wollen in einer Großstadt leben und mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren“, erklärt Ledermann. Diesen müsse man ein Angebot machen, um sie zu gewinnen. Auch am Firmensitz in München arbeiten drei Dutzend IT-Spezialisten.
Gefragt nach den Perspektiven des Unternehmens kommt bei Ledermann der zurückhaltende Energiemanager durch: „Wir wollen vor allem international wachsen.“ Die Gewinne werden in den Ausbau des Geschäfts investiert. Im Unterschied zu vielen anderen Internet-Firmen schreibt Mercateo schwarze Zahlen. Vielleicht liegt dies auch an Köthen - wo alles ein wenig bodenständiger ist.
