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"Nur eine Nummer" "Nur eine Nummer": Ein Mitarbeiter bei Amazon in Leipzig berichtet

25.02.2013, 20:19
Der Versandriese Amazon geriet zuletzt wegen des Umgangs mit Leiharbeitern massiv in die Kritik.
Der Versandriese Amazon geriet zuletzt wegen des Umgangs mit Leiharbeitern massiv in die Kritik. dpa Lizenz

Leipzig/MZ - Der Internet-Riese Amazon steht seit Tagen öffentlich am Pranger. In Online-Foren und sozialen Netzwerken wird erhitzt über die Geschäftspraktiken beim US-Konzern diskutiert. Ausgelöst hat die Debatte eine ARD-Dokumentation über miserable Arbeitsbedingungen von ausländischen Leiharbeitern im Versandzentrum in Bad Hersfeld (Hessen). Waren die dortigen Vorfälle ein einmaliger Ausrutscher oder läuft generell etwas schief bei Deutschlands größtem Online-Händler? Ein 34-jähriger Mitarbeiter des Leipziger Versandzentrums, der anonym bleiben möchte, berichtet über seine Arbeitsbedingungen. Aufgezeichnet von Steffen Höhne.

Arbeiten ist für mich wichtig. Mir fällt die Decke auf den Kopf, wenn ich längere Zeit zu Hause nur auf dem Sofa sitze. Als ich vor einigen Jahren arbeitslos wurde, suchte ich eine Stelle bei einer größeren Firma, der es gut geht, bei der man nicht ständig um seinen Job bangen muss. Amazon suchte damals in Leipzig. Von einer früheren Tätigkeit kannte ich das Unternehmen schon ein wenig. Als ich anfing, stellte ich mich auf körperlich anstrengende Arbeit ein.

Ständige Kontrolle erzeugt psychischen Druck

Ich arbeite als „Picker“. So heißen die Mitarbeiter im Lager, die Waren einsammeln und für den Versand zusammenstellen. Man legt bei Amazon in Deutschland viel Wert auf englische Begriffe. Mein Vorgesetzter heißt Leads, eine Art Vorarbeiter für 20 Mitarbeiter, darüber kommt der Area-Manager (Abteilungsleiter) und der Operation-Manager. Es gibt eine klare Hierarchie, die alle Prozesse auf maximale Effizienz trimmt. Dies ist charakteristisch für Amazon, was ich so bei keinem anderen Unternehmen vorher in der Form gesehen habe.

Zehn bis 15 Kilometer Wegstrecke lege ich am Tag im Lager zurück Aber nicht die körperliche Arbeit, sondern die ständige Kontrolle der Arbeitsprozesse und der damit verbundene psychische Druck waren und sind für mich die größte Belastung. Ein Computersystem zeichnet genau auf, wie schnell die Bestellungen von mir zusammengestellt werden. Dabei wird registriert, wenn falsche oder beschädigte Produkte gepackt werden und wie oft man „inaktiv“ ist. Jeder Toilettengang wird mitgezählt, damit die Arbeitszeit von 7,75 Stunden auch wirklich geleistet wird. In den ersten Monaten wurde fast täglich mit mir ein Gespräch geführt, ob ich meine Zahlen geschafft habe. Diese sogenannten „Feedbacks“, die jeder Mitarbeiter erhält, sollen die Leistung verbessern. Zufriedenheit wurde nie geäußert, wirklich nie. Erst später habe ich erfahren, dass ich einer der besten neuen Mitarbeiter war.

Kontrolle wie am Flughafen

Damals waren wir 600 Mitarbeiter. Heute gibt es allein rund 1 500 fest angestellte Mitarbeiter. Die schiere Masse an Beschäftigten führt dazu, dass solche Gespräche nur noch wöchentlich geführt werden. Im vergangenen Jahr wurden die Handscanner der Picker kurzzeitig mit einem Countdown versehen, der zeigte, wie viel Zeit man bis zum nächsten „Pick“ hat. Nach massiven Protesten von Mitarbeitern wurde dies aber wieder abgeschafft. Die Arbeitsbelastung ist auch so hoch genug. Zeit für private Gespräche gibt es kaum.

Meine Frühschicht beginnt um 5.30 Uhr und endet 15 Uhr, die Spätschicht geht bis 23.30 Uhr. Extra ist die Zeit, die man an den Sicherheitsschleusen verbringt. Damit nicht geklaut wird, gibt es wie am Flughafen Kontrollen. Auch die Versandhalle ist videoüberwacht. Damit habe ich kein Problem. Ansonsten würde zu viel gestohlen.

Von den 1 700 Euro Brutto-Lohn im Monat kann ich leben. Einiges hat sich zum Positiven gewandelt, seit 2009 ein Betriebsrat die Arbeit aufnahm. Die Löhne wurden schrittweise angehoben, die Kontrollen an den Sicherheitsschleusen gehen schneller. Bei Problemen mit Vorgesetzten steht man nicht mehr alleine da. Doch dies alles musste immer erkämpft werden. Meine Erfahrung ist: Amazon reagiert nur auf Druck.

Die Bilder im Fernsehen von den Arbeitsbedingungen für Leiharbeiter in Bad Hersfeld haben auch mich getroffen. Aus Leipzig kenne ich so etwas nicht und habe auch nichts von solchen Zuständen gehört. Hier waren, das habe ich auch nur gelesen, 600 ausländische Leiharbeiter im Ramada-Hotel in Leipzig und Halle untergebracht.

Typisch für Amazon ist die Reaktion auf die Vorfälle in Bad Hersfeld: Da wird schnell die Sicherheitsfirma gefeuert, den Konzern trifft laut Managern aber keine Schuld. Bei uns in Leipzig werden einige ältere Mitarbeiter von Vorgesetzten gemobbt, weil sie häufiger krank sind. Dies ist nicht in Ordnung. Das würde sicher auch der Amazon-Deutschlandchef so sehen. Untersucht oder zur Rechenschaft gezogen wurde meines Wissens aber nie jemand.

Es ist klar, dass sich gerade in der Vorweihnachtszeit etwas ändern muss. In Leipzig wird die Belegschaft mehr als verdoppelt. Die Festangestellten werden als sogenannte Co-Worker eingesetzt, um Saisonkräfte anzulernen. Dies geschieht auf freiwilliger Basis, wird von den Managern aber auch erwartet. In dieser Zeit herrscht mitunter Chaos. Die ansonsten ordentlichen Wasch- und Toilettenräume reichen dann nicht aus. Missstände sind damit programmiert.

Im Grundsatz zufrieden

Auch wenn es nach all dem Gesagten vielleicht merkwürdig klingt: Im Grundsatz bin ich nicht unzufrieden. Verglichen mit Zuständen in anderen Logistikfirmen geht es uns gerade bei der Bezahlung nicht schlecht. Der Amazon-Konzern, der großen Wert auf Kundenzufriedenheit legt, könnte ein tolles Unternehmen sein. Dafür müsste er aber besser mit seinen Mitarbeitern umgehen. Ich habe das Gefühl, und dies geht nicht nur mir so, dass ich nur eine Nummer bin. Bringt diese nicht die erwartete Leistung, wird sie ausgetauscht.

Doch dies lassen wir uns nicht länger gefallen. Nach zwei Jahren habe ich einen unbefristeten Arbeitsvertrag bekommen. Auch die Verträge von vielen anderen Beschäftigten wurden, weil es gesetzlich vorgeschrieben ist, entfristet. Damit wächst auch der Einfluss der Gewerkschaft.

Am vergangenen Freitag fand eine Betriebsversammlung statt. Der Chef der deutschen Amazon-Versandzentren sagte per Videobotschaft, dass Amazon betroffen über die Zustände in Bad Hersfeld gewesen sei. Er versprach auch, dass Amazon die Arbeitsbedingungen in den Versandzentren genau anschauen und verbessern will. Ich bin aber skeptisch. Schöne Worte habe ich schon öfters gehört. Es wird Zeit, dass gehandelt wird.

Damals waren wir 600 Mitarbeiter. Heute gibt es allein rund 1 500 fest angestellte Mitarbeiter. Die schiere Masse an Beschäftigten führt dazu, dass solche Gespräche nur noch wöchentlich geführt werden. Im vergangenen Jahr wurden die Handscanner der Picker kurzzeitig mit einem Countdown versehen, der zeigte, wie viel Zeit man bis zum nächsten „Pick“ hat. Nach massiven Protesten von Mitarbeitern wurde dies aber wieder abgeschafft. Die Arbeitsbelastung ist auch so hoch genug. Zeit für private Gespräche gibt es kaum.

Meine Frühschicht beginnt um 5.30 Uhr und endet 15 Uhr, die Spätschicht geht bis 23.30 Uhr. Extra ist die Zeit, die man an den Sicherheitsschleusen verbringt. Damit nicht geklaut wird, gibt es wie am Flughafen Kontrollen. Auch die Versandhalle ist videoüberwacht. Damit habe ich kein Problem. Ansonsten würde zu viel gestohlen.

Von den 1 700 Euro Brutto-Lohn im Monat kann ich leben. Einiges hat sich zum Positiven gewandelt, seit 2009 ein Betriebsrat die Arbeit aufnahm. Die Löhne wurden schrittweise angehoben, die Kontrollen an den Sicherheitsschleusen gehen schneller. Bei Problemen mit Vorgesetzten steht man nicht mehr alleine da. Doch dies alles musste immer erkämpft werden. Meine Erfahrung ist: Amazon reagiert nur auf Druck.

Die Bilder im Fernsehen von den Arbeitsbedingungen für Leiharbeiter in Bad Hersfeld haben auch mich getroffen. Aus Leipzig kenne ich so etwas nicht und habe auch nichts von solchen Zuständen gehört. Hier waren, das habe ich auch nur gelesen, 600 ausländische Leiharbeiter im Ramada-Hotel in Leipzig und Halle untergebracht.

Typisch für Amazon ist die Reaktion auf die Vorfälle in Bad Hersfeld: Da wird schnell die Sicherheitsfirma gefeuert, den Konzern trifft laut Managern aber keine Schuld. Bei uns in Leipzig werden einige ältere Mitarbeiter von Vorgesetzten gemobbt, weil sie häufiger krank sind. Dies ist nicht in Ordnung. Das würde sicher auch der Amazon-Deutschlandchef so sehen. Untersucht oder zur Rechenschaft gezogen wurde meines Wissens aber nie jemand.

Es ist klar, dass sich gerade in der Vorweihnachtszeit etwas ändern muss. In Leipzig wird die Belegschaft mehr als verdoppelt. Die Festangestellten werden als sogenannte Co-Worker eingesetzt, um Saisonkräfte anzulernen. Dies geschieht auf freiwilliger Basis, wird von den Managern aber auch erwartet. In dieser Zeit herrscht mitunter Chaos. Die ansonsten ordentlichen Wasch- und Toilettenräume reichen dann nicht aus. Missstände sind damit programmiert.

Im Grundsatz zufrieden

Auch wenn es nach all dem Gesagten vielleicht merkwürdig klingt: Im Grundsatz bin ich nicht unzufrieden. Verglichen mit Zuständen in anderen Logistikfirmen geht es uns gerade bei der Bezahlung nicht schlecht. Der Amazon-Konzern, der großen Wert auf Kundenzufriedenheit legt, könnte ein tolles Unternehmen sein. Dafür müsste er aber besser mit seinen Mitarbeitern umgehen. Ich habe das Gefühl, und dies geht nicht nur mir so, dass ich nur eine Nummer bin. Bringt diese nicht die erwartete Leistung, wird sie ausgetauscht.

Doch dies lassen wir uns nicht länger gefallen. Nach zwei Jahren habe ich einen unbefristeten Arbeitsvertrag bekommen. Auch die Verträge von vielen anderen Beschäftigten wurden, weil es gesetzlich vorgeschrieben ist, entfristet. Damit wächst auch der Einfluss der Gewerkschaft.

Am vergangenen Freitag fand eine Betriebsversammlung statt. Der Chef der deutschen Amazon-Versandzentren sagte per Videobotschaft, dass Amazon betroffen über die Zustände in Bad Hersfeld gewesen sei. Er versprach auch, dass Amazon die Arbeitsbedingungen in den Versandzentren genau anschauen und verbessern will. Ich bin aber skeptisch. Schöne Worte habe ich schon öfters gehört. Es wird Zeit, dass gehandelt wird.

Auch wenn es nach all dem Gesagten vielleicht merkwürdig klingt: Im Grundsatz bin ich nicht unzufrieden. Verglichen mit Zuständen in anderen Logistikfirmen geht es uns gerade bei der Bezahlung nicht schlecht. Der Amazon-Konzern, der großen Wert auf Kundenzufriedenheit legt, könnte ein tolles Unternehmen sein. Dafür müsste er aber besser mit seinen Mitarbeitern umgehen. Ich habe das Gefühl, und dies geht nicht nur mir so, dass ich nur eine Nummer bin. Bringt diese nicht die erwartete Leistung, wird sie ausgetauscht.

Doch dies lassen wir uns nicht länger gefallen. Nach zwei Jahren habe ich einen unbefristeten Arbeitsvertrag bekommen. Auch die Verträge von vielen anderen Beschäftigten wurden, weil es gesetzlich vorgeschrieben ist, entfristet. Damit wächst auch der Einfluss der Gewerkschaft.

Am vergangenen Freitag fand eine Betriebsversammlung statt. Der Chef der deutschen Amazon-Versandzentren sagte per Videobotschaft, dass Amazon betroffen über die Zustände in Bad Hersfeld gewesen sei. Er versprach auch, dass Amazon die Arbeitsbedingungen in den Versandzentren genau anschauen und verbessern will. Ich bin aber skeptisch. Schöne Worte habe ich schon öfters gehört. Es wird Zeit, dass gehandelt wird.

Amazon-Logistikzentrum
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