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Neue Technologie aus Sachsen-Anhalt Neue Technologie aus Sachsen-Anhalt: Verbrechersuche per App

Von Hendrik Kranert-Rydzy 26.08.2014, 06:24
Seit über 100 Jahren im Gebrauch: Mit Pinsel und Rußpulver müssen Fingerabdrücke sichtbar gemacht, mit Folie fixiert und ausgewertet werden.
Seit über 100 Jahren im Gebrauch: Mit Pinsel und Rußpulver müssen Fingerabdrücke sichtbar gemacht, mit Folie fixiert und ausgewertet werden.   Lizenz

Magdeburg - Was haben ein Baumstamm, eine angebissene Bockwurst und eine lebende Schildkröte gemeinsam? Richtig, sie eignen sich nur sehr bedingt zur Identifizierung von Straftätern anhand deren Fingerabdrücke. Und dennoch hat Michael Ulrich all diese Dinge schon auf verwertbare Fingerabdrücke untersuchen müssen. Mit einer Technologie, die in Magdeburg im Jahr 1905 erstmals genutzt wurde und - man mag es kaum glauben - bis heute angewendet wird: Pinsel, Rußpulver, Folie. Das soll sich jetzt ändern: Wissenschaftler und Kriminalisten aus Magdeburg haben eine Software entwickelt, mit der Fingerabdrücke künftig berührungslos in Minutenschnelle analysiert werden können. Die Anwendung soll später einmal auf herkömmlichen Smartphones laufen. Für Finger-App-Drücke, sozusagen.

Schwieriges Fingerspiel

Ulrich, 50 Jahre alt und Chef der Tatortgruppe und der Abteilung „Unkonventionelle Brand- und Sprengvorrichtungen“ im Landeskriminalamt, demonstriert denn auch gleich einmal, dass die Probleme mit dieser Art der Beweisführung seit über 100 Jahren die gleichen sind. Der potenzielle Täter, Sachsen-Anhalts Wissenschafts- und Wirtschaftsminister Hartmut Möllring (CDU), gibt während eines Besuchs beim LKA zwar bereitwillig seinen Daumenabdruck an einer Kaffeetasse preis und assistiert LKA-Mann Ulrich auch noch bei dessen Job. Doch Möllrings Abdruck - „Können Sie ruhig fotografieren, ich bin noch nie kriminaltechnisch in Erscheinung getreten“ - taugt nicht viel. Zu verschwommen, der Abdruck. Und das trotz Laborbedingungen. Im realen kriminalistischen Alltag ist alles noch viel schlimmer und oftmals sogar doppelt und dreifach. Denn nicht nur Täter fassen Türen, Fenster oder Hammerstiele mehrfach an, oft hinterlassen auch unbescholtene Bürger ihre Spuren.

Wie das weltweit bisher einzigartige Verfahren funktioniert, lesen Sie auf Seite 2.

Weltweit einzigartige Technologie aus Sachsen-Anhalt

Hier kommt nun Thomas Leich und eine sachsen-anhaltische Erfindung ins Spiel: Leich ist Geschäftsführer der Metop GmbH, eines Instituts der Magdeburger Otto-von-Guericke-Universität. Diese hat eine Software entwickelt, mit der sich überlagerte Fingerabdrücke herausfiltern lassen. Klingt simpel, ist aber hochgradig kompliziert: Denn jeder der rund sieben Milliarden Menschen weltweit besitzt einzigartige Abdrücke - nicht einmal eineiige Zwillinge haben die gleichen. Oftmals sind es nur winzige Unterschiede in den Rillen, Linien und Punkten, die den Täter vom Unschuldigen unterscheiden.

„Zwölf Merkmale braucht es, um vor Gericht einen Täter zweifelsfrei identifizieren zu können“, sagt die Daktyloskopie-Expertin des LKA, Simone Wabnitz. Das erfordert einen Heidenaufwand und es dauert mitunter Tage oder Wochen, bis eine Datenbank einen Treffer auf einen gesuchten Täter liefert. „Und wenn am Tatort mehrere etwas angrapschen, gibt es seit Sherlock Holmes damit Schwierigkeiten“, sekundiert Möllring, ehemaliger Staatsanwalt und Richter. Leich will das ändern und der Polizei die Arbeit erleichtern - ohne Pinsel, Ruß und Folie.

Neuland für das LKA

Wie so oft bei großen Erfindungen stand auch im Fall von Metop Kommissar Zufall Pate: Leich und Ulrich liefen sich vor ein paar Jahren auf dem Uni-Campus über den Weg. Ulrich hatte die Idee für eine neue Technologie zur Sicherung von Fingerabdrücken quasi im Kopf - und Leich besaß das nötige Know-how. Denn Metop entwickelt Algorithmen (Lösungsvorschriften) für die Finanzbranche, mit deren Hilfe aus Millionen Datensätzen fehlerhafte ausgesondert werden können.

Diese Lösung sollte nun auf überlagerte Fingerabdrücke übertragen werden. „Als LKA haben wir da Neuland betreten“, gibt Ulrich zu. Am Anfang stand zunächst ein vom Bund finanziertes Forschungsprojekt mit dem Namen DigiDak (Digitale Daktyloskopie), mit dem der erste Schritt weg vom Rußpulver - oder anderen Chemikalien - hin zur berührungslosen Erfassung von Fingerabdrücken gemacht wurde. Das hat den entscheidenden Vorteil, dass die Spuren auch später noch auf mögliche Täter-DNA untersucht werden können. Das ist sonst sehr schwierig. Dabei wird mit Hilfe verschiedener, hochauflösender Sensoren die Oberfläche eines Tatwerkzeugs oder eines anderen Spurenträgers gescannt. Das Gerät ist im Prinzip einsatzbereit - allerdings aufgrund seines Gewichts nur im Labor.

Wie Fingerabdrücke neuerdings auch mit dem Smartphone analysiert werden sollen, lesen Sie auf Seite 3.

Spurensicherung mit der App

Es liefert aber jene hochauflösenden Bilder, die für Teil 2 der daktyloskopischen Revolution aus Sachsen-Anhalt nötig sind. Leichs Informatiker und Mathematiker haben dazu in jahrelangen Versuchsreihen Algorithmen entwickelt, die überlagerte Fingerabdrücke einzeln und farbig darstellen - Leich spricht scherzhaft von einer Wetterkarte - und gerichtsverwertbare Merkmale anzeigen können. Gerade einmal 20 Minuten braucht der Computer für eine Analyse, die bisher Tage dauerte oder gänzlich unmöglich war. Für das Verfahren gab es im vergangenen Jahr den Hugo-Junkers-Preis des Landes - inzwischen ist es anwendungsreif. Was noch fehlt, sind Testreihen, mit denen Daktyloskopie-Experten, Staatsanwälte und Richter überzeugt werden müssen. „Medikamententests sind dagegen einfach, denn die sind standardisiert“, sagt Leich, „wir aber müssen die Standards erst entwickeln.“ Für das weltweit einzigartige Verfahren gibt es aber bereits weitere Interessenten: Laut Leich stehe man mit einer Firma aus Süddeutschland für ein weiteres Projekt vor dem Vertragsabschluss.

Der Hugo-Junkers-Preis für Forschung und Innovation richtet sich an alle Unternehmer sowie Wissenschaftler aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen des Landes. Er wird in fünf Kategorien vergeben und ist mit insgesamt 90 000 Euro dotiert. Eine unabhängige Jury unter Leitung des Chefs des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik Halle, Ralf B. Wehrspohn, ermittelt in einem mehrstufigen Verfahren die besten Projekte. Im Fokus der Jury stehen dabei Unternehmensstrategie, Innovationsgrad, Ressourcen-Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Marktfähigkeit.

Die Innovationen müssen dabei überwiegend in Sachsen-Anhalt entwickelt oder gefertigt und seit kurzem auf dem Markt eingeführt worden sein. Oder es muss die Aussicht auf Markteinführung bestehen. Bewerbungen für den diesjährigen Preis sind noch bis zum 1. Oktober möglich. Ausschreibungsunterlagen gibt es unter: www.hugo-junkers-preis.de

Das Ende ist damit aber noch nicht erreicht. Marco Filax, 25-jähriger Computervisualist bei Metop, zieht ein handelsübliches Smartphone aus der Tasche und startet die Fingerabdruck-App. Er fotografiert einen Abdruck - und die Software liefert in sekundenschnelle ein grünes Bild.

„Der Abdruck taugt also für die Spurensicherung“, sagt Filax. Wäre das Bild rot, würde sich die Spur nicht verwerten lassen. Damit spart sich der Kriminalist am Tatort möglicherweise unnötige Arbeit - und natürlich wertvolle Zeit bei der Fahndung. Bis aber Sachsen-Anhalts Polizisten ihre Smartphones zur Verbrecherjagd zücken können, wird wohl noch einige Zeit vergehen. (mz)

Metop-Geschäftsführer Thomas Leich demonstriert, wie die Software überlagerte Fingerabdrücke herausfiltert.
Metop-Geschäftsführer Thomas Leich demonstriert, wie die Software überlagerte Fingerabdrücke herausfiltert.
dpa Lizenz