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Nahverkehr in Leipzig Nahverkehr in Leipzig: Bitte einsteigen!

Von Alexander Schierholz und Marko Jeschor 10.04.2012, 18:33

leipzig/Halle (Saale)/MZ. - "Extrem", sagt der junge Fahrkarten-Kontrolleur, "das ist wirklich extrem". Gerade ist er am Leipziger Hauptbahnhof aus einem Bus der Linie 89 gestiegen. Sechs Stunden dauert seine Schicht jetzt schon, seit früh um sechs, und heute hat er es mit wesentlich mehr Fahrgästen zu tun gehabt als sonst. Viele haben ihm keine Fahrkarte unter die Nase gehalten - sondern den Fahrzeugschein ihres Autos. "Mindestens hundert, schätze ich." Ein Busfahrer sagt: "Mit diesem Ansturm auf das Angebot haben wir alle nicht gerechnet."

Das Angebot: Seit Dienstag und noch bis zum Freitag dient in Bussen und Bahnen in Leipzig die Kfz-Zulassung als Ticket - und vier Leute zusätzlich dürfen auch noch mit, so viele eben, wie in der Regel in ein Auto passen. "Benzinpreiswahnsinn - jetzt umsteigen!" - so haben die Leipziger Verkehrsbetriebe ihre Werbeaktion genannt, die angesichts ständig neuer Spritpreis-Rekorde offenbar einen Nerv trifft. Das Unternehmen hofft, damit neue Kunden zu gewinnen.

"Da bin ich nicht schneller"

Vielleicht Gudrun und Rainer Kämpf? Auch sie sind umgestiegen. Ihr Honda CRV steht draußen im Südosten von Leipzig, drei Ecken von ihrer Wohnung entfernt, auf einem Baumarkt-Parkplatz. "Wir wollen noch Blumenkästen kaufen", sagt die Rentnerin und schaut, als wolle sie sich dafür entschuldigen. "Das ist mit der Straßenbahn eben schlecht." Aber für den Einkaufsbummel in der City haben Kämpfs dann doch die Tram genommen. "15 Minuten, mit dem Auto bin ich nicht schneller", staunt sie.

Und dann die Benzinpreise! "Das wird ja auch nicht billiger werden", sagt Rainer Kämpf, "weil der Staat sich daran dumm und dämlich verdient!" Also umsteigen, zumindest jetzt, da es nichts kostet. Aber dauerhaft umsteigen? "Wenn Bus und Bahn nicht auch jedes Jahr teurer würden, würden wir das vielleicht sogar machen", sagt Kämpf. "Aber man will ja auch niemandem etwas schenken."

Jetzt ist das Paar an dem Punkt, den die Verkehrsbetriebe bei ihrer Werbekampagne natürlich verschweigen: Nicht nur Sprit wird ständig teurer. Sondern auch die Fahrpreise von Bussen und Bahnen. Der Mitteldeutsche Verkehrsverbund, der dafür zuständig ist, hat die Tarife seit 2001 jährlich erhöht - und begründet das unter anderem mit permanent steigenden Dieselkosten. So kostete eine Abo-Monatskarte in Halle vor zehn Jahren 28,17 Euro. Derzeit sind es 41,10 Euro, in Leipzig sogar 46,92 Euro.

Immer noch weniger als die Summe, die Bernd Lehmann gerade an einer Leipziger Tankstelle bezahlt hat. Für 57,90 Euro hat er den Tank seines Mercedes aufgefüllt, der Liter Diesel für 1,50 Euro. Aber Straßenbahn fahren? Lehmann lächelt und räumt ein: "Mit dem Alter wird man auch bequem." Jeden Tag muss er zur Arbeit durch die halbe Stadt und wieder zurück. "Im Auto geht das schneller." Die Verbindung müsse eben stimmen, sagt auch Dietmar Peschl. Seit er Rentner ist, fährt er seine Frau jeden Tag zur Arbeit - vom Osten in den Süden Leipzigs braucht er dafür nur 20 Minuten. Bus und Bahn sind dreimal so lang unterwegs. Eine Monatskarte hat Sigrid Peschl seitdem nicht mehr. Klar, sagt ihr Mann, sei der Sprit teuer, "aber ich fahre nun mal gern Auto".

Busse? Viel zu selten

Trotz langer Strecken: Peschls haben es noch vergleichsweise gut - sie leben in einer Großstadt. Hermann Schmidt dagegen kann auf sein Auto nicht verzichten, weil er auf dem Land wohnt. Der Rentner aus Zörbig (Anhalt-Bitterfeld) braucht es, um regelmäßig nach Halle zu kommen - Einkäufe, Arztbesuche, Fitnessstudio. Aus Zörbig fahren zwar Busse Richtung Halle und Landsberg, "allerdings viel zu selten", wie Schmidt findet. Weil er im Jahr nur wenige tausend Kilometer mit seinem Auto unterwegs ist, lohnt sich für ihn der Umstieg einfach nicht.

Bei Ilona Heinrich aus Eisleben ist das anders. Die Verbindung nach Halle ist gut, jede Stunde fährt ein Zug. Auch ihre Tochter, die ein hallesches Gymnasium besucht, fährt mit der Bahn. Trotzdem setzt sich Ilona Heinrich lieber ins Auto. Sie sei häufig mit ihrer Schwiegermutter in Halle unterwegs, und die sei eben nicht mehr so gut zu Fuß, sagt die 47-Jährige. Als Gelegenheitsfahrerin seien ihr die Spritpreise noch egal. "Der Punkt für den Umstieg auf die öffentlichen Verkehrsmittel ist für mich noch nicht gekommen."

Oder anders ausgedrückt: Benzin ist einfach noch nicht teuer genug.