MZ-Serie zur Pisa-Studie MZ-Serie zur Pisa-Studie: Werkeln an Luftschlössern
Halle/MZ. - Die Botschaft hören wir, allein uns fehlt der Glaube. So und ähnlich reagieren Schulleiter auf den zweiten Punkt des Magdeburger Qualitäts-Programms. "Größere Eigenständigkeit und Eigenverantwortung der Einzelschule", heißt es unter dem Titel ´Freiheit und Verantwortung´, "ist ein entscheidender Ansatz zur Qualitätsverbesserung". Das Kultusministerium macht Hoffnung auf Freiräume und stellt Entscheidungen über das Schulleben in Aussicht. Gründe, weshalb der Optimismus verhalten ausfällt, liefert der Alltag.
Beispiel modernes Lernen. Ein Grundschullehrer aus Dessau begann, seine 1. Klasse reformpädagogisch zu unterrichten. Zum Missfallen eines Elternpaares. Statt der von Pisa angeregten modernen Lehrmethoden wünschte es "konservativen Unterricht, weil Schüler Leistungsdruck brauchen". Folge: Eine Amtsanweisung, den Unterrichts wieder frontal, vom Pult aus, abzuhalten. Beispiel Finanzen. Ein hallesches Gymnasium wurde Sieger im Wettbewerb der Siemens-Stiftung. Zur Urkunde gab es eine Prämie. Die aber wurde zum Problem. Denn Schulen dürfen ebenso wenig Konten haben, wie Geld, über das sie selbst befinden. Beispiel Personal. Wieviel Lehrer nötig sind, entscheidet das Ministerium. Ein Mitspracherecht, wer wohin kommt, haben Schulen nicht. Das letzte Wort hat das Schulamt.
"Von Bedingungen in den USA, wie ich sie an unserer Partnerschule Casper im Bundesstaat Wyoming kennen gelernt habe, ist Deutschland meilenweit entfernt", sagt Christoph Hoffmann. Der Hallenser, der seit acht Jahren seine Amtskollegen als stellvertretender Vorsitzender in der Bundesdirektorenkonferenz vertritt, leitet in der Saalestadt das Südstadt-Gymnasium. Von dem waren 50 Schüler am Pisa-Test beteiligt. Wie sie abgeschnitten haben, erfährt er erst, wenn 2002 der Pisa-Ländervergleich veröffentlicht wird. Unabhängig davon weiß er, dass die Partner seiner Schüler besser auf das Leben nach der Schule vorbereitet werden. "Dort wird anders gelernt, die Bildungsstätten sind besser ausgestattet." Sein Amtskollege in Casper könne im Jahr über zwölf Millionen Dollar verfügen. Für den Unterricht gibt es spezielle Ateliers, neben Mathematik und Literatur steht auch Unterricht in der Autowerkstatt auf dem Stundenplan. "Das ist eine andere Welt. Schulen hier wären schon zufrieden", sagt Hoffmann, "wenn alle gleichwertige Bedingungen hätten". Sonst hinke jeder öffentlichen Leistungsvergleich. Der aber sei ebenso erforderlich wie mehr Mitbestimmung und Eigenverantwortung an Schulen.
Angesichts seiner Erfahrungen als Leiter der Sekundarschule Wallwitz (Saalkreis) bezeichnet Thomas Lippmann die Ankündigung des Kultusministeriums zu mehr Eigenständigkeit als "weites, interessanten Feld". Allerdings habe es solche Verheißungen schon mehrfach gegeben, betont der Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Und dabei sei es dann meist geblieben. "Vor Ort wird Schulen die Entscheidung nur dann überlassen", kritisiert Lippmann, "wenn es um Mangelverwaltung geht". Selbst die Anzahl der Gesamtkonferenzen, in denen Lehrer mit den gewählten Vertretern der Eltern und Schüler schulische Probleme beraten, werde durch einen ministeriellen Organisationserlass vorgeschrieben.
Vorerst müssen die Schulen abwarten, wie viel Freiheit und Verantwortung ihnen künftig zugebilligt werden wird. Denn das Kultusministerium will dazu "in allen Schulen des Landes eine Befragung von Eltern, Lehrern sowie Schülern zu grundlegenden Fragen schulischer Qualität durchführen". Die Ergebnisse werden, so Kultusminister Gerd Harms (Grüne) gestern, "in den 1 300 Schulen mit Fachleuten ausgewertet und diskutiert". Jedoch erst im nächsten Schuljahr. Bis dahin, vermutet Lippmann, werden sich noch einige an der jetzigen Praxis blaue Flecke stoßen und an Luftschlössern werkeln.