MZ-Serie zu Völkerschlacht, Teil 7 MZ-Serie zu Völkerschlacht, Teil 7: Seuchen als tödliche Bedrohung
Leipzig/MZ - Zeit: Tag Eins nach der Schlacht. Ort: Mitten in Leipzig. Mit der Kutsche ist der Verleger und Autor Carl Bertuch (1777- 1815) herbeigeeilt aus Weimar. Im Schlepptau den als Goethe-Maler berühmt gewordenen Ferdinand Jagemann (1780-1820). In die Thüringer Residenzstadt war die Kunde von der gigantischen Schlacht und Napoleons Niederlage gedrungen. Mit journalistischem Gespür sah Bertuch seine Chance. Was hier geschah, war Weltgeschichte. Und er wollte und konnte die Dokumentation dazu liefern. Also schrieb er vor Ort auf, was er sah.
Ein Report des Grauens: „Allenthalben sahen wir die frischen Spuren eines wütenden Kampfes. Bei jedem Schritte stießen wir auf Tote, nackend oder bis aufs Hemde entkleidet. Schwer Verwundete suchten sich, auf Händen und Füßen kriechend, hart an die Häuser angeschmiegt, … zu sichern.“ Und er konstatierte angesichts der verwüsteten Stadt und all der Verwundeten und Sterbenden: „Wohl dem, der dann noch ein menschlich-theilnehmendes Herz sich erhält!“.
Zunächst in Briefform verfasst, bündelte der schreibgewandte Bertuch später seine Berichte in einer Schrift von rund hundert Seiten. Dabei erwies er sich auch als Mann mit Sinn für das Geschäft. Rechtzeitig zur Ostermesse sollte die Publikation auf den Markt kommen. Doch noch davor überreichte der Verleger-Autor das erste Exemplar der Schrift an keinen Geringeren als Goethe - das war ohne Zweifel ein werbewirksamer Einfall. Heute gilt das Buch als Klassiker der Literatur zu diesem Thema. Vor allem wegen seiner Authentizität. Bertuch hatte etwa auch militärische Befehlshaber danach befragt, was während der Schlacht geschah.
Womit die Bürger vor 200 Jahren noch lange zu kämpfen hatten, beschrieb später der Stadtgeschichtsschreiber Carl Große. In großem Umkreis habe es „kein Vieh, kein Getreide, kein Stroh – nichts, gar nichts mehr“ gegeben. Wucherer witterten Geschäfte mit der Not. Ein gewisser Carl Gotthelf Leonhardt etwa verkaufte Tabak zu Wucherpreisen. Kein lebensnotwendiger, aber ein gefragter Artikel. Die Soldaten mussten auch nach der Schlacht versorgt werden. Die Scheunen mit der Ernte waren verbrannt, das Vieh längst geschlachtet. Was Tabakhändler Leonhardt seufzend konstatieren ließ: „…noch bessere Geschäfte würde ich gemacht haben, wenn meine Ware in Äpfeln oder Brot bestanden hätte.“
Der Hunger ist jedoch nur eine Geißel. Noch Wochen nach der Schlacht lagen rings um Leipzig Zehntausende tote Menschen und Pferde auf den Feldern. Reiche Beute für streunende Hunde - und ein gefährlicher Seuchenherd. Was indes Leichenräuber nicht abhielt von ihren makabren Beutezügen. Auf den verlassenen Schlachtfeldern sammelten sie alles ein, was irgendwie von Nutzen sein konnte - Uniformen, Waffen, Kanonenkugeln. Den Pferden schnitt man Schweif und Mähnen ab. Und den toten Menschen brachen sie die Zähne heraus, um sie für Prothesen zu verkaufen.
Carl Bertuch: Wanderung nach dem Schlachtfelde von Leipzig im October 1813; Hrsg. S. und P. Seifert, Sax Verlag 2013, ISBN 978-3867291163