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MZ-Serie "Lebensträume" - Teil 2 MZ-Serie "Lebensträume" - Teil 2: Ein Scharfrichterhaus als Eigenheim

Von Julius Lukas 30.07.2015, 20:15
Ines und Frank Hoppe haben das alte Scharfrichterhaus in Eckartsberga gekauft und umgebaut.
Ines und Frank Hoppe haben das alte Scharfrichterhaus in Eckartsberga gekauft und umgebaut. Andreas Stedtler Lizenz

Eckartsberga - Tritt man in das Haus von Ines und Frank Hoppe, dann glaubt man erst, man sei in einem Museum gelandet. Die Möbel haben historischen Charme. In jeder Ecke stehen Vasen, Becher und Figuren. Auf einem Tisch lagern Gläser und Krüge, an der Decke hängt ein Kronleuchter. Auch jeder Zentimeter Wand ist mit Bildern, Holzkreuzen und Regalen bestückt. In einem Zimmer sind sogar Beile und Messer an der Wand angebracht. „Wenn wir Gäste hier durchführen, fragen sie immer, wo denn unsere Wohnräume sind“, sagt der 52-jährige Frank Hoppe mit einem Lächeln. Aber das, was die Besucher für Ausstellungsräume halten, ist Hoppes Zuhause. „Es ist vielleicht ein bisschen verrückt, aber wir mögen das so“, meint seine zwei Jahre jüngere Frau Ines.

Ihr Haus ist eine wilde Mischung der Stile und man fühlt sich in ihm in der Zeit zurückversetzt. Das liegt auch an den Besitzern. Die begrüßen nämlich gerne in mittelalterlichem Gewand. Sie gekleidet in das weiße Kleid eines Burgfräuleins. Er gehüllt in einen derben, mit Leder beschlagenen Stoff und oft mit einem Beil in der Hand. Als Scharfrichter von Eckartsberga stellt sich Frank Hoppe, der eigentlich Orthopädietechniker ist, dann vor - ganz in der Tradition seiner Wohn-Vorfahren.

Denn in dem Haus der Hoppes lebten einst die Henker des kleinen Burgenlandkreis-Ortes. Eckartsberga liegt genau an der Grenze zu Thüringen, wo auch die Hoppes herkommen. Und eigentlich hatten sie nie vor, nach Sachsen-Anhalt zu ziehen - wäre da nicht dieses Haus gewesen. Sie entdeckten es durch eine Zeitungsannonce. 13 Jahre ist das her. Damals war das Gebäude abrissreif. „Als wir es gekauft haben, hätte man nur ein Seil drum machen und mit einem Traktor kurz ziehen müssen und alles wäre zusammengefallen“, sagt Frank Hoppe. Heute allerdings ist das Haus ein stattlicher Bau. Zwei Etagen hoch, mit einem gewaltigen Dachstuhl. Die ockerfarbene Lehmwände sind bis zu 60 Zentimeter dick und an einigen Stellen von Fachwerk durchzogen. Den Eingang mit Doppeltreppe überdacht ein großer Erker.

Weitere interessante Einblicke zum Leben im Schafrichterhaus lesen Sie auf Seite 2.

Es ist ein herrschaftliches Anwesen, das aber auch eine gruselige Stimmung umgibt. Der Grund: seine einstigen Bewohner. „Das waren schon zwielichtige Gestalten“, sagt Ines Hoppe. Scharfrichter würde man heute als Henker bezeichnen. Zu ihrer Zeit wurden sie verachtet, waren aber gleichzeitig bedeutende Personen in der mittelalterlichen Gesellschaft. Sie erledigten alle die Arbeiten, die niemand machen wollte. So war es ihre Aufgabe, in Dörfern und Städten die Kloaken und Abwasserkanäle zu reinigen. Auch wurden sie gerufen, wenn sich jemand erhängt hatte. Dann schnitten sie ihn los und entsorgten den leblosen Körper.

Zu ihrer Hauptaufgabe gehörte jedoch das Foltern und Hinrichten. Der Beruf des Scharfrichters entstand nämlich, als sich im Mittelalter ein erstes richtiges Justiz-System herausbildete - also mit Richtern und Urteilen. Nun brauchte es jemanden, der die festgelegte Strafe auch vollstreckt.

So schnitt der Scharfrichter Finger, Hände und manchmal auch Köpfe ab. „Richtige Volksfeste waren solche Hinrichtungen damals“, sagt Frank Hoppe. Das Amt des Scharfrichters wurde in der Familie weitergegeben. Es entstanden große Dynastien mit festen Wohnsitzen - wie eben dem Scharfrichterhaus in Eckartsberga. Allerdings waren die Henker auch gemiedene Personen.

„In Gaststätten stimmten die Gäste sogar ab, ob der Scharfrichter rein darf, und wenn, dann saß er nur in der Ecke“, erzählt Frank Hoppe. Das letzte Todesurteil wurde in Eckartsberga 1766 vollstreckt. Eine Frau hatte ihr Haus angezündet. Der Brand zerstörte weite Teile des Dorfes. „Sie wurde zwei Jahre gefoltert und dann als Hexe verurteilt und verbrannt“, sagt Ines Hoppe. Der Scharfrichter damals hieß Johann Karl Jackert. Er vererbte das Amt an seinen Sohn. Doch Gotthelf August Jackert arbeitete zum Ende seines Lebens schon nicht mehr als Henker. Wie viele seiner Zunft wechselte er im ausgehenden 18. Jahrhundert das Gewerbe und wurde Arzt - die Kenntnisse aus seinem vorherigen Beruf halfen dabei. „Scharfrichter wussten über die menschliche Anatomie sehr gut Bescheid, weil sie ja Leute foltern mussten, ohne dass sie sterben“, erklärt Frank Hoppe.

Weitere interessante Einblicke zum Leben im Schafrichterhaus lesen Sie auf Seite 3.

Das Haus der Scharfrichter wurde zu einem normalen Wohnhaus, das aber kaum saniert wurde. „Zu DDR-Zeiten gab es hier vier Wohnungen und zwei Plumpsklos“, erzählt Ines Hoppe. Die Bewohner wechselten schnell, weil niemand lange in dem maroden Gebäude leben wollte. Nach der Wende wurde das Gebäude verkauft. Der Investor kümmerte sich jahrelang nicht darum. 2002 erwarben es Ines und Frank Hoppe.

Zu der Zeit wohnten sie mit ihren fünf Kindern noch im thüringischen Apolda. In jeder freien Minute sanierten sie ihr neues Eigentum. „Hätten wir damals gewusst, was für eine Arbeit vor uns liegt, dann hätten wir uns das sicher noch einmal überlegt“, sagt Frank Hoppe heute. Es gab keinen Wasseranschluss. Einige Räume hatten keinen Fußboden. In den Wänden waren teils riesige Löcher. Auch der jahrhundertealte Dachstuhl war morsch und undicht. „Neun Jahre lang haben wir das Haus Stück für Stück wieder hergerichtet“, erinnert sich Ines Hoppe. Das meiste machten sie in Eigenregie, weil das kostengünstiger war. „Und so konnten wir auch alles nach unseren eigenen Vorstellungen machen.“

Im Jahr 2011, als alle Kinder ausgezogen waren, verkauften sie ihr Haus in Apolda und zogen nach Eckartsberga. Auch damals noch ohne Wasseranschluss und mit Benutzung des Plumpsklos, das bis heute betriebsbereit ist. „Wir haben mittlerweile aber auch ein richtiges Bad“, ergänzt Frank Hoppe. Die beiden, sie fühlen sich wohl in ihrem historischen Gemäuer, das auf den ersten Blick wie ein Museum wirkt. Allerdings ist das Scharfrichterhaus nicht für alle so einladend. „Meine große Tochter schläft nie hier“, erzählt Ines Hoppe. „Sie sagt dann immer: Wer weiß, was in dem Haus noch alles passiert.“ Einen Teil seiner gruseligen Ausstrahlung scheint sich das Scharfrichterhaus von Eckartsberga noch bewahrt zu haben.

Im nächsten Teil der Serie stellen wir ein ehemaliges Mehlsilo in Quedlinburg vor. (mz)