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MZ-Artikel von 1990 MZ-Artikel von 1990: Wirtschaftskrise im Osten, Konjunktur im Westen

12.08.2015, 04:00
Rund 40 Prozent der Arbeitsplätze gingen nach der Wende verloren. Dagegen protstierten 1993 mehrere tausend Menschen auf einer DGB-Demo in Dresden.
Rund 40 Prozent der Arbeitsplätze gingen nach der Wende verloren. Dagegen protstierten 1993 mehrere tausend Menschen auf einer DGB-Demo in Dresden. dpa Lizenz

MZ vom 11. August 1990

DDR-Kleinbetriebe kurz vorm Ruin

Berlin. In Handwerk und Gewerbe sind gegenwärtig schon 30.000 bis 40.000 Beschäftigte arbeitslos. Das stellte gestern in Berlin der Präsident des Bundes der Selbständigen, Klaus Noack, auf einer Pressekonferenz fest. Weitere Entlassungen und Kurzarbeit stünden auf der Tagesordnung. Bis zu 50.000 Beschäftigte im Handwerk arbeiten derzeit kurz. Fehlende Aufträge erschwerten die betriebliche Situation. Damit sei der von der Regierung angekündigte Boom mit 500.000 neuen Arbeitsplätzen in diesem Bereich ausgeblieben.

Über die derzeitige Lage in den rund 5.300 Handwerksbetrieben in Ost-Berlin berichtete der Präsident der Handwerkskammer Berlin (Ost), Günther Blunk. Die Situation sei äußerst prekär. Viele kleinere und mittlere Unternehmen stünden vor dem Ruin.

Die auf der Pressekonferenz anwesenden Vertreter des Mittelstandes übten scharfe Kritik an Kommunalpolitikern und Regierung. Die im Staatsvertrag verbürgte Förderungsklausel für das Handwerk und den Mittelstand werde bisher nicht umgesetzt. Die Handwerker wollten endlich Grund und Boden erwerben, um darauf Betriebe zu gründen und damit den Banken Kreditbürgschaften zu geben. Jedoch treffe niemand die notwendigen Entscheidungen. Die gegenwärtig zu beobachtenden Mietpreiserhöhungen für Gewerberäume überschritten häufig vertretbare Größen. (mz/adn)

MZ vom 6. September 1990

Dramatischer Anstieg der Kurzarbeit im August

Berlin. Im Monat August waren in der DDR nahezu 1,4 Millionen Beschäftigte in über 16 500 Betrieben von Kurzarbeit betroffen. Dies bedeutet mehr als eine Verdopplung der Zahlen vom Monat Juli. Zugleich waren Ende August rund 361.286 Bürger bei den DDR-Arbeitsämtern als arbeitslos gemeldet, eine Steigerung um 89.269 im Vergleich zum Vormonat, womit die Arbeitslosenquote im Land nunmehr 4,1 Prozent beträgt. Mit diesen Zahlen trat gestern der amtierende Leiter der zentralen Arbeitsverwaltung der DDR, Staatssekretär Kinitz, vor die Presse, um, wie er sagte, "letztmalig ausschließlich auf das DDR-Gebiet bezogen die Arbeitsmarktlage zu erläutern". Staatssekretär Kinitz unterstrich zwar, daß sich der Anstieg der Arbeitslosigkeit im letzten Monat verlangsamt habe, doch blieb dies die fast einzige positive Wertung der Arbeitsmarktentwicklung.

Kaum Aussicht auf Besserung der Situation verhießen weitere Zahlen, die Kinitz nannte: Der Bestand an offenen Stellen sank von 27.000 im Monat Juli auf rund 20.000 im August und den Arbeitsämtern liegen bereits jetzt weitere 102.000 angekündigte Entlassungen bis zum Jahresende vor. Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer der Anträge auf Arbeitslosengeld bis zur Entscheidung hat sich auf zwei Wochen verkürzt.

Halle. Im August meldeten sich im Raum Halle, Saalkreis und Bitterfeld 2410 Bürger arbeitslos, so gestern Rolf Kubier, Direktor des Arbeitsamtes Halle. Ende des Monats betrug die gesamte Zahl der Arbeitslosen 9697 Personen, das entspricht einer Arbeitslosenquote von 3,6 Prozent. Der Anteil der betroffenen Frauen beträgt 49,4 Prozent, der der Männer liegt mit 50,6 Prozent etwas darüber. Im August waren in Dessau 5 853 Arbeitslose (1514 mehr als im Juli) und 28 211 Kurzarbeiter ( 12 141 mehr gegenüber Juli ) und in Sangerhausen 9 511 Arbeitslose und 33 415 Kurzarbeiter registriert. Der Raum Halle bewegt sich damit im Bereich des Durchschnitts der DDR.

Nürnberg. Die Arbeitslosenzahlen sind in der Bundesrepublik weiter zurückgegangen. Wie der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Heinrich Franke, gestern in Nürnberg erklärte, waren Ende August bei den Arbeitsämtern 1 812 800 Arbeitslose gemeldet. Die Arbeitslosenquote ist damit von 7,5 Prozent im Vorjahr auf 6,9 Prozent gesunken. Auf dem Arbeitsmarkt kündige sich ein kräftiger Herbstaufschwung an. (mz/adn)

MZ vom 18. September 1990

Im Westen stärkster Wirtschaftsboom seit 20 Jahren

Frankfurt/Main. Die "Talfahrt der Produktion" hat sich in der DDR nach Einschätzung der Deutschen Bundesbank seit dem späten Frühjahr "auf breiter Front beschleunigt". Wie die Bank in ihrem September-Bericht feststellte, sank die Industrieproduktion im Juli gegenüber dem Vergleichsmonat des Vorjahres um 42 Prozent. Die Zahl der Beschäftigten in Industrie und Bauwesen lag um 11,1 Prozent unter der von Juli 1989. Das Bruttoinlandsprodukt verringerte sich im ersten Halbjahr um sieben Prozent.

"Der entscheidende Grund für diese Talfahrt ist im Zusammenbruch der sozialistischen Kommandowirtschaft zu sehen", heißt es in dem Bericht. Ferner seien die DDR-Erzeugnisse hinsichtlich Preis, Qualität, Lieferschnelligkeit und Marketing in vielen Fällen dem westlichen Angebot unterlegen. Die Bundesbank forderte dazu auf, bei der Entwicklung der Einkommen mehr Rücksicht darauf zu nehmen, "was die Wirtschaft der DDR auf absehbare Zeit tragen kann".

Die bundesdeutsche Wirtschaft zeige im Unterschied dazu eine "robuste Gesamtverfassung". Aufgrund der beschleunigten Binnennachfrage und des "Warenhungers" in der DDR setze sich der seit 20 Jahren stärkste Wirtschaftsboom unvermindert fort. Dazu habe vor allem die Einführung der D-Mark in der DDR beigetragen. "Die jüngsten inländischen Order- und Einfuhrdaten im Investitionsgüterbereich sowie neuere Unternehmensumfragen deuten darauf hin, daß auch in nächster Zukunft mit einer hohen Investitionsneigung in der Bundesrepublik gerechnet werden kann", wird im Bericht festgestellt. In Mittel- und Osteuropa erwarteten die Unternehmer eine Verbesserung ihrer Absatzchancen. (mz/adn)

"...und wie sieht's bei Dir aus, Lothar?" Karrikatur von Jürgen Tomicek in der MZ vom 7. September 1990
"...und wie sieht's bei Dir aus, Lothar?" Karrikatur von Jürgen Tomicek in der MZ vom 7. September 1990
Jürgen Tomicek Lizenz