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Modell Modell: Mit eigenem Arzt zur OP

Von Bärbel Böttcher 03.05.2012, 18:01

Halle (Saale)/MZ. - Die Knie haben Ingrid Nitzschke seit Jahren Probleme bereitet. Seit langem ist sie Patientin der Sport-Klinik Halle. Hier haben sich sieben niedergelassene Orthopäden zu einem Zentrum für Gelenk-Chirurgie zusammengeschlossen. Vor gut einem Jahr stand fest: die Landsbergerin braucht neue Kniegelenke. Innerhalb eines Jahres musste sie zwei Operationen über sich ergehen lassen.

Es ist noch gar nicht so lange her, da hätte Anett Rößner, die behandelnde Ärztin, Ingrid Nitzschke in eine Klinik eingewiesen und mit dem "Fall" nichts mehr zu tun gehabt. Heute ist das anders. Die Orthopädin hat ihre Patientin ins Krankenhaus begleitet und dort selbst operiert. Acht Tage später fuhr Ingrid Nitzschke - gleich von der Klinik aus - drei Wochen zur Rehabilitation nach Bad Schmiedeberg (Kreis Wittenberg). Die Nachbetreuung liegt jetzt wieder in den Händen von Anett Rößner.

Ende der starren Trennung

Dass sich die Krankenhäuser in dieser Form den niedergelassenen Ärzten öffnen - im Fachjargon wird das integrierte Versorgung genannt - ist den Gesundheitsreformen des vergangenen Jahrzehnts zu verdanken. Durch neue gesetzliche Regelungen wurde die starre Trennung der Budgets beider Bereiche etwas gelockert. Das hat Kliniken, Ärzte und Kassen motiviert, gemeinsam entsprechende Projekte ins Leben zu rufen.

Sachsen-Anhalt gehörte dabei zu den Vorreitern. Hier wurde das in Deutschland erste landesweite Angebot der integrierten Versorgung aus der Taufe gehoben - genannt Integra. Das Netzwerk, an dem auch Anett Rößner und ihre Kollegen beteiligt sind, besteht zehn Jahre. 90 niedergelassene Ärzte mehrerer Fachrichtungen, drei Kliniken - das Diakoniekrankenhaus in Halle, das Diakonissenkrankenhaus in Dessau und das St. Marienstift Magdeburg - sowie die Rehabilitationsklinik in Bad Schmiedeberg gehören heute dazu. Vertragspartner sind die Ersatzkassen.

Der Orthopäde Thomas Bartels, ein Kollege von Anett Rößner, ist seit 2004 dabei. Und immer noch begeistert. Zur Praxis am Weidenplan in Halle gehört heute ein OP-Trakt, der, wie der Arzt betont, den neuesten Kriterien der Berufsgenossenschaft stand hält. Etwa 3 500 Eingriffe nehmen er und seine Kollegen pro Jahr vor. "Einiges davon wäre im niedergelassenen Bereich gar nicht möglich gewesen", sagt Bartels. Zum Beispiel Operationen, bei denen künstliche Hüft- oder Kniegelenke eingesetzt werden.

Dafür nutzen die Orthopäden die Operationssäle des Diakoniekrankenhauses Halle. "Bei derartigen Eingriffen, etwa 100 pro Jahr, ist es notwendig, dass für den Fall von Komplikationen eine Intensivstation im Hintergrund bereit steht", sagt Anett Rößner. Auch wenn die selten gebraucht werde.

Seit 2003 gibt es im Diakoniekrankenhaus Halle die Integra-Station. Teppichstation wird sie genannt, wegen ihres hotelähnlichen Charakters. Maximal 19 Patienten bietet sie Platz. "Integra ist eine gute Ergänzung unseres Leistungskatalogs", sagt Robert Polgar, Direktor der Klinik. 30 niedergelassene Ärzte aus acht Fachgruppen nutzen die Infrastruktur des Krankenhauses. Operationssäle und Technik werden so zugleich besser ausgelastet. Zum Teil seien für die Gast-Operateure sogar spezielle Instrumente angeschafft worden, mitunter werde Technik gemietet, berichtet Polgar. 10 200 Integra-Fälle sind zwischen 2004 und 2011 hier behandelt worden. "Der Umsatz, den das Krankenhaus damit macht, liegt zwischen zwei und drei Millionen Euro im Jahr."

Und doch schwingt bei dem Klinikchef eine gewisse Unzufriedenheit mit. "Die Krankenkassen", so sagt er, "tragen viele innovative Behandlungsansätze nicht mit. Sie sind bemüht, Standardleistungen günstiger zu bekommen als im Krankenhaus." Und sie versuchten ständig, die Preise zu drücken. Für die Krankenkassen ist Integra ökonomisch interessant. Zum einen, weil die Vergütung, die die Kliniken für Operationen erhalten, geringer ist, als bei einer "normalen" Krankenhaus-OP. Zum anderen gibt es im Konstrukt einige Sparpotenziale. Eine von den Ersatzkassen in Auftrag gegebene Studie, die die Qualität von Integra wissenschaftlich untersucht hat, kommt zu dem Ergebnis, dass die stationären Kosten pro Fall knapp 600 Euro unter denen einer herkömmlichen Krankenhausbehandlung liegen.

"Die Kosten gehen herunter, weil in der integrierten Versorgung der Arzt, der die Diagnose stellt, bei seinem Patienten bleibt. Dadurch werden teure Doppeluntersuchungen vermieden", sagt Jens Hennicke, Landeschef der Techniker-Krankenkasse. Zudem seien die Klinikaufenthalte kürzer. Die Patienten brauchten weniger Medikamente und seien kürzere Zeit arbeitsunfähig. Alles in allem betrage die Einsparung für jeden Integra-Fall etwa 1 800 Euro. "Und das ohne Qualitätsabstriche, wie die Tatsache belegt, dass sich die Patienten bei Befragungen immer wieder besonders mit den Bereichen Information und Aufklärung sowie der medizinischen Betreuung zufrieden zeigten", fügt er hinzu. Seine Kasse habe über den gesamten Zeitraum dadurch 2,6 Millionen Euro eingespart.

Trotz der Vorteile des Modells reichen einigen Kassen die Einsparungen nicht mehr aus. So haben die Barmer-GEK und die DAK-Gesundheit den Integra-Vertrag mit dem Diakoniekrankenhaus in Halle zum Jahresende gekündigt. "Wir wollen über Preise für einzelne Operationen noch einmal verhandeln", sagt Martin Plass, Sprecher der DAK-Gesundheit. Das bedeute nicht, dass das Projekt in Frage gestellt werde. "Aber wir müssen auch die Wirtschaftlichkeit im Auge behalten." Während die DAK-Gesundheit noch hofft, nach Verhandlungen ihren Versicherten auch am Integra-Standort Halle Leistungen anbieten zu können, hat die Barmer GEK die Türen schon zugeschlagen. In Halle sei der Spareffekt nicht mehr gegeben, sagt Sprecher Thomas Schmid. Die Kasse ziehe sich auf Dessau-Roßlau und Magdeburg zurück.

Suche nach neuen Standorten

Klinikchef Polgar bedauert das zwar, aber, so sagt er, wenn immer weiter an der Preisschraube gedreht werde, sei das Projekt auch für die beteiligten Ärzte finanziell nicht mehr interessant. Sie würden nach anderen Standorten suchen. Speziell in Halle besteht mit der Saaleklinik, die ein ähnliches Konzept verfolgt, eine besondere Konkurrenzsituation (siehe "Drei Standorte"). Und wie geht es mit Integra weiter? "Wir sind überzeugt, dass das Projekt sinnvoll ist", sagt Polgar. Und man bemühe sich, mehr Ärzte zu begeistern und neue Fachgebiete einzubinden. Aber das sei angesichts des Wettbewerbs unter den Ärzten nicht ganz einfach. "Die Boomzeit von Integra", so resümiert er, "ist vorbei."

Ingrid Nitzschke interessieren indes alle diese Diskussionen nicht. Sie freut sich, dass sie nach ihren Operationen im wahrsten Sinne des Wortes schnell wieder auf die Beine gekommen ist.