Militär Militär: Musketiere und Mucker
Halle/MZ. - Halle ist an das Kurfürstentum Brandenburg gefallen. Erstmals zieht eine bewaffnete Truppe in der Stadt dauerhaft ein. Damit beginnt Halles Garnisonsgeschichte, in der Besatzer und Beschützer wechseln und das Verhältnis der zivilen Einwohnerschaft zum Militär viele Facetten erlebt: Zuspruch, Duldung, Wut und Hass. Ab 1714 nehmen Grenadiere des brandenburgisch-preußischen Infanterie-Regiments Nr. 3 in Halle Quartier. Das Regiment gilt aufgrund seiner Ausbildung, Bewaffnung und Kriegserfahrung mit als "das Beste" in der Armee. Berühmtester Chef ist Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, der "Alte Dessauer".
Die Anwesenheit von 3 452 Soldaten greift tief in das Leben der nur vierfach stärken Bürgerschaft Halles ein. Denn sie muss die Truppe in ihren Häusern beherbergen und verpflegen. Obendrein beschweren sich Bürger und Universität über gewaltsame Rekrutierungen, die immer wieder zu Krawallen zwischen Militärs und Studenten führen. 1806 geht das "Beste der Armee" bei Jena und Auerstedt unter. Napoleons Truppen erobern und plündern Halle, deren Status als preußische Garnison damit vorerst endet. Ab 1818 nehmen preußische Linientruppen in Halle wieder dauerhaft Quartier. In den folgenden Jahren wechselt die Belegung der Garnison häufig. Von 1881 bis 1884 wird in der Reilstraße die erste feste Kaserne gebaut. Es folgen weitere Militärbauten, die das Stadtbild verändern. Zeitdokumente belegen, dass die Hallenser Truppenparaden und Militärkonzerte "begeistert bejubeln". Mit der Niederlage Deutschlands im 1. Weltkrieg 1918, der Demobilisierung und nach zum Teil blutigen Kämpfen zwischen Freikorps, später Reichswehr und Arbeiterwehren verliert Halle 1920 erneut den Garnisonsstatus.
Das ändert sich kurz nach der "Machtergreifung" der Nazis: Hitler rüstet die Rest-Reichswehr als Wehrmacht auf. Der Garnisonsstandort Halle wird 1935 wiederbelebt. Am Rand der Heide entstehen die Heeresnachrichten- und Luftnachrichtenschule. Neben weiteren Ausbildungseinrichtungen (so auch eine Lehranstalt für Heeres-Hunde und Heeres-Tauben) kommen auch verschiedene Kampftruppen nach Halle. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 ist die Stadt überspannt mit einer militärischen Infrastruktur aus Dutzenden Kasernen, Dienststellen und Verwaltungseinrichtungen. Durch die Militärschulen gehen tausende Soldaten - und werden Kanonenfutter in einem Wahnsinnskrieg. 1945 endet der Nazi-Spuk.
Nach der Einnahme der Stadt durch US-Truppen zieht 1945 die vor Moskau, in Stalingrad und Berlin kampferprobte 27. Garde-Motschützendivision der Sowjetarmee in Halle ein. Die "Garnison Heide" auf dem Gebiet der ehemaligen Nachrichtenschulen beherbergt 15 000 Sowjetsoldaten. 1953 lernt Halle die eiserne Faust der Sowjets kennen: Sie schlagen den Volksaufstand vom 17. Juni nieder.
Von 1951 bis 1956 werden Einheiten der Kasernierten Volkspolizei in der Saale-Stadt formiert. Auf Teile davon greift die 1956 gegründete Nationale Volksarmee (NVA) zurück. Sie stellt die rund 10 000 Soldaten starke 11. Motorisierte Schützendivision (MSD) auf, deren Einheiten im Süden der DDR verteilt sind. Halle wird Standort des Divisionsstabs, eines Regiments von Motschützen - im Soldatenjargon "Mucker" genannt - und weiterer Einheiten mit insgesamt etwa 3 500 Soldaten. Ihren größten Einsatz fährt die 11. MSD 1968 während des Prager Frühlings: Zusammen mit der 27. Gardemotschützendivision rückt der NVA-Verband aus, um den Volksaufstand in der CSSR niederzuringen. Während die Sowjettruppen in die CSSR eindringen, verbleibt die 11. MSD auf Weisung Moskaus in ihren Aufmarschgebiet im Süden der DDR.
In Halle sind nunmehr gut 18 500 Soldaten stationiert. Es ist die Zeit endloser Militärkonvois und ramponierter Straßen. Mancher Gastwirt profitiert von durstigen Soldatenkehlen. Dennoch wird die Kaufkraft der Militärs nirgendwo positiv erwähnt - ohnehin herrscht Mangelwirtschaft. Offiziell heißen die Sowjetsoldaten zwar auch in Halle "Freunde", wirklich willkommen sind sie in weiten Teilen der Bevölkerung aber nicht.
2002 bewährt sich die Bundeswehr an der Wasserfront: 8 000 Soldaten aus der Region, darunter viele aus Halle, rücken zum Kampf gegen die Jahrhundertflut aus. Mit schwerer Technik, viel Schweiß und noch mehr Sandsäcken erschuften sich die Soldaten an Elbe, Mulde und Saale ein bleibendes Image. Gleichwohl sind die Stunden der Garnison durch die Bundeswehr-Reform gezählt. 2003 zieht das Sanitätsregiment nach Weißenfels um. Am vergangenen Mittwoch wurde das letzte Bundeswehr-Kommando in Halle außer Dienst gestellt. 300 Jahre Garnison sind Geschichte.
Der Beitrag entstand mit Hilfe von Gerold Möller, in der DDR Stabsoffizier in Halle, und des Historikers Ralf Rodewald