Merseburg Merseburg: Kosmonaut berichtet von Erlebnissen im All

Merseburg/MZ - Rücklings stützt sich Viktor Afanasiev auf den Rand des Cockpits der MiG-21. Wie ein Kunstturner am Barren wuchtet der mittlerweile 64 Jahre alte Senior seinen Körper in die Luft und schwingt die Beine in die enge Kabine des Kampfflugzeugs. „Es ist ein gutes Gefühl“, sagt Afanasiev, als er den Steuerknüppel mit der linken Hand festhält und mit der anderen liebevoll über die zahlreichen Knöpfe vor ihm streicht. Bei seinem Besuch im Merseburger Luftfahrtmuseum am Wochenende konnte der Russe diesen Moment kaum erwarten.
Hohe psychologische Belastung
Fliegen wollte Afanasiev schon immer, erzählt er. Und sein Ehrgeiz sollte ihn schließlich als Kosmonaut bis ins Weltall führen. „Als Juri Gagarin als erster Mensch im Weltall war, wollte ich dasselbe erreichen.“ Nach der Ausbildung an der Höheren Militärfliegerpilotenschule im Jahr 1970 führte ihn sein Weg in die DDR, wo er als Soldat stationiert war. Später wurde er Testpilot, sollte unter anderem die Raumfähre „Buran“ steuern. Obwohl aus dem Programm nie etwas wurde, bot man Afanasiev eine Kosmonautenausbildung an.
„Nicht jeder kann ins Weltall fliegen“, betont Afanasiev. „Man muss körperlich topfit und vor allem psychologisch belastbar sein“, erklärt der Russe, während er sich mit mehreren Fingern immer wieder an die rechte Schläfe tippt. Drei Jahre wurde Afanasiev dazu ausgebildet, dem Idol Gagarin nachzueifern. Es folgte eine zweijährige Schulung für Langzeit-Missionen an der Raumstation Mir. „1989 sollte ich starten, daraus wurde aber nichts“, erinnert sich der frühere Kosmonaut noch immer mit etwas Enttäuschung in der Stimme.
Gut ein Jahr später erfüllte sich dann aber sein großer Traum. Es ist der 2. Dezember 1990, als die Sojus TM-11 mit Afanasiev als Kommandant an Bord ins Weltall startet. Sein Aufenthalt dauert gut sechs Monate. „Wir haben in dieser Zeit unter anderem medizinische Tests gemacht“, erzählt Afanasiev. Bei seinem Besuch in Merseburg zeigt ihn ein Film an Bord der Mir. Verkabelt treibt er darin im Unterhemd Sport oder schneidet seinem Kameraden die Haare. „Es gab auch experimentelles Essen“, kommentiert Afanasiev seine verschobenen Gesichtszüge im Film, als er darin Thunfisch mit Zitrone probiert. Wenig später schwebt er noch neben einer kleinen Wasserblase. Nachdem er hindurchgesehen hat, reißt er den Mund weit auf und verschlingt sie. Zum Schluss ist er in seinem auf der Erde eigentlich 13 Kilo schweren Raumanzug zu sehen, als er an der Raumstation ISS ein Sonnensegel montiert.
Afanasiev lächelt, die Erinnerungen an seine Ausflüge sind jetzt wieder ganz frisch. Geduldig beantwortet er die Fragen der Zuhörer oder schreibt Autogramme. Die Unterschrift des Russen ist begehrt, klingen seine Aufenthalte im All doch rekordverdächtig. Insgesamt vier Mal fliegt Afanasiev bis 2001 in den Weltraum - jedesmal als Kommandant. Mit 555 Tagen und 18 Stunden im All zählt er heute zu den sechs erfahrensten Kosmonauten. „Mit 50 wurde mir angeboten, in Rente zu gehen“, erzählt Afanasiev. Sieben Jahre später trat er tatsächlich zurück. „Ich hoffe aber, bis 80 weitermachen zu können“, ergänzt er mit Blick auf die vielen Auftritte, bei denen er wie jetzt in Merseburg über das Leben und die Arbeit im All erzählt.
Ein Stück Heimat im Saalekreis
Für den Russen ist die Domstadt ein Stück Heimat geworden. Nicht nur weil im dortigen Luftfahrt- und Technikmuseum das alte Arbeitsgerät des früheren Piloten der Sowjetarmee steht, sondern auch, weil Afanasiev vor über 40 Jahren in Merseburg stationiert war.
Gleich zweimal nahm er am Wochenende in „seiner“ MiG-21 Platz. „Wissen Sie, egal ob im Flugzeug oder im Weltall - wenn Sie Angst haben, sollten sie lieber Auto oder Zug fahren“, sagt er. Ob er so ein Spielzeug auch gern in seinen Garten stellen würde? „Nein“, sagt er energisch. „Erstens ist das kein Spielzeug, sondern eine Waffe. Und zweitens muss man ein Flugzeug fliegen.“