Mangel an Ärzten auf dem Land Mangel an Ärzten auf dem Land: Mediziner im Rentenalter

Jessen/MZ - Jetzt ist Kaffeezeit. Aber nicht für Dr. med. Joachim Kluge und Dr. med. Gisela Fröbe. Im Sprechzimmer sind an diesem Nachmittag fast alle Plätze besetzt. Da wartet viel Arbeit auf die beiden Allgemeinmediziner. 48 und 41 Jahre üben sie ihren Beruf schon aus - in Jessen (Landkreis Wittenberg). Dabei könnte Kluge, 74, schon seit 2005 den Ruhestand genießen. Seine Kollegin ist gleichfalls schon im Rentenalter, wie etwa ein Drittel der Hausärzte in ländlichen Regionen Sachsen-Anhalts. Ohne die Rentner in Weiß wäre es um die medizinische Versorgung im Lande schlecht bestellt.
Finanzielle Vergünstigungen sollen locken
Politik und Ärztevereinigungen versuchen sich dem Trend entgegen zu stemmen. Vor allem mit finanziellen Vergünstigungen sollen junge Absolventen gewonnen werden, die als Hausärzte in „unterversorgten Regionen“ arbeiten wollen. Allerdings sieht es nicht so aus, als das mit den bestehenden Programmen das Problem bald gelöst werden könnte. Daher will die Kassenärztliche Vereinigung weitere Hilfen auf den Weg bringen.
Gut angelegtes Geld
Kluge meint: „Jeder Euro, der den medizinischen Nachwuchs unterstützt, ist gut angelegt.“ Nicht nur in Jessen, sondern in vielen ländlichen Kommunen fehlt es an jungen Medizinern, die in die Fußstapfen von Kluge und Co. treten. „Wir finden einfach keine Interessenten, die sich in unsere Praxis einkaufen wollen“, sagt Fröbe. Zwei Stellen sind zu besetzen, ideal vielleicht für ein Ehepaar. Aber nicht einmal ein Allgemeinmediziner lässt sich blicken, obwohl das Angebot seit Jahren in diversen Börsen kursiert. Vor diesem Hintergrund ist es ein Glücksfall, dass Kluges Sohn bereits seit 1996 in der Praxis mitarbeitet. „Allein kann er die Versorgung der Patienten aber beim besten Willen nicht leisten“, sagt Joachim Kluge. Also machen auch die beiden Senioren weiter.
Möglich sei das, so Fröbe, weil der Gesetzgeber schon vor geraumer Zeit auf die gesetzliche Schranke für das Höchstalter als niedergelassener Arzt verzichtet habe. Seither können die Mediziner, auch wenn sie längst über 68 Jahre alt sind, unbegrenzt weiter praktizieren.
Mit 85 Jahren in die Rente
So feiern einige Ärzte, die keinen geeigneten Nachfolger gefunden haben, bald ihren 80. Kürzlich erst, so Kluge, habe in Jessen eine Praxis geschlossen. Die Kollegin ist 85 Jahre alt. Auch ihre Praxis wollte keiner übernehmen.
Aber irgendwann muss einmal Schluss sein, so Kluge, der seinen 75. Geburtstag „nicht in der Praxis feiern will“ - auch wenn ihm um die Folgen bange sei. Patienten könnten nicht mehr wie gewohnt betreut werden. Vor allem die Wartezeiten würden deutlich länger. Doch die Hilfesuchenden hätten in Jessen keine große Wahl. Schon jetzt würden die Patienten aus der Stadt und einem guten Dutzend Dörfer aus dem Umland kommen.
Vertrauen ist wichtige Basis
„Vielleicht werden die Wege künftig noch weiter.“ Laut Fröbe tragen sich mindestens noch vier weitere Ärzte der Elbe-Elster-Region mit dem Gedanken, über kurz oder lang die Praxistüren für immer hinter sich zu schließen. Dann würde, vermutet Kluge, auch der Druck auf die Kommunen wachsen. Aus seiner Sicht müssten die Gemeinden mehr tun, um den medizinischen Nachwuchs rechtzeitig über die Möglichkeiten zu informieren. „Ich würde, wenn ich noch einmal die Wahl hätte, wieder Hausarzt werden.“ Viele seiner Patienten kenne er über Jahrzehnte, oftmals sogar die Familien. „Dieses Vertrauen der Patienten ist ganz wichtig, weil Beschwerden oft auch eine psychologische Komponente haben“, ergänzt Fröbe.
Kleine Stadt mit Vorzügen
Obwohl Kluge selbst in Cottbus aufgewachsen ist, hat er in Jessen „nie wirklich etwas vermisst“. Im Gegenteil: „Die kleine Stadt besitzt viele Vorzüge, die Bildungs- und Betreuungsangebote von Null bis 100 sind intakt.“ Zugereiste staunten über die günstigen Preise für Bauland. So seien auch die Gärten rund um die Häuser größer als gewöhnlich. Handwerker, die auch ein Arzt ab und zu mal brauche, wohnen meist gleich um die Ecke. Jessen verfüge zudem über eine rege Vereinskultur. „Von Bowling bis Tennis ist eigentlich alles möglich.“ Es komme auf jeden selbst an, was er aus den Umständen mache. Ein Konzerthaus oder ein Theater suche man zwar vergeblich, doch ein Abstecher nach Wittenberg, Halle oder Leipzig sei keine Weltreise. Kluge fährt zum Beispiel auch gern nach Berlin, zum Fußball. Und damit sei er in Jessen nicht allein, sagt der bekennende Hertha-Fan.