"Mehr als ein Rassismus-Problem" "Mehr als ein Rassismus-Problem": Schlagerstar Howard Carpendale zurück im Showgeschäft

Halle (Saale)/Leipzjg - Sein bewegtes Leben schrieb ihm mehr Lach- als Sorgenfalten ins Gesicht. Doch angesprochen auf die politische Lage, wirkt Howard Carpendale interessiert - und nachdenklich: „Was in unserer Welt momentan los ist, ist haarsträubend!“
„Als ich letztens Nachrichten geschaut habe, ging es in den Berichten um private Hobbythemen und Haustiere. Das kann man im Boulevard-TV zeigen, aber es war ein bundesweiter Nachrichtensender. Das kann doch nicht sein: Unsere Welt explodiert und die reden über solche Dinge?“
Zum Gespräch im Leipziger Kupfersaal erscheint ein ganz in Schwarz gekleideter 73-jähriger Mann. Nicht nur Poloshirt und Sneakers verleihen seinem Auftritt im eleganten Anzug eine erfrischende Note: Wie immer kaut er Kaugummi. Er artikuliert und bewegt sich mit einer selbstverständlichen Professionalität, und trotzdem wirkt er ehrlich und emphatisch. Nie hat er sich gescheut, auf der Bühne über Politik zu reden, er tut es bis heute. „Ein Mensch in meinem Alter muss eine Haltung haben. Allerdings immer innerhalb eines glaubwürdigen Rahmens.“
Politische Carpendale-Titel gegen Rassismus, Grenzen, Krieg
Ob in den USA oder in Deutschland: Immer mehr Künstler beziehen Position zur gegenwärtigen Situation. Zuletzt rief Udo Lindenberg angesichts des hohen Wahlergebnisses der AfD bei der Landtagswahl in Thüringen zu „Kreativpower für die Zukunft“ auf. „Ich muss ganz anders agieren, als Konstantin Wecker oder Udo Lindenberg. Aber Kreativpower für die Zukunft finde ich toll. Künstler, die politisch nicht so interessiert sind, müssen sich aber auch nicht, nur weil sie in der Öffentlichkeit stehen, politisch äußern.“
Seine eigene Musik ist nicht vordergründig gesellschaftskritisch, dennoch gibt es im Rahmen seiner Glaubwürdigkeit auch Carpendale-Titel, die politisch sind, sich gegen den Rassismus in Südafrika richten oder gegen Grenzen und Kriege in der Welt, wie etwa „Astronaut“ von 1996.
Howard Carpendale wurde am 14. Januar 1946 in Durban, Südafrika, geboren und lebt heute in München. Seinen Durchbruch feierte der Sänger, Komponist und Entertainer 1969 mit dem Beatles-Cover „Ob-La-Di, Ob-La-Da“. 50 Jahre, 700 Songs und 25 Millionen verkaufte Tonträger später fand er sich selbst in den legendären Londoner Abbey Road Studios wieder.
Für die neue Platte „Symphonie meines Lebens“ spielte der Schlagerstar die zwölf größten Hits seiner Musikkarriere mit dem Royal Philharmonic Orchestra neu ein. Anlässlich seines 50. Bühnenjubiläums geht er mit der Konzertreihe „Die Show meines Lebens“ außerdem wieder auf Deutschlandtour und gastiert am 6. Mai 2020 in der Arena in Leipzig.
1946 wurde der Entertainer in Durban an der Ostküste Südafrikas mitten in die Hochphase der Apartheid hineingeboren. „Südafrika war ein Land am anderen Ende der Welt, ohne Fernsehen und ohne viel Kontakt nach Außen. Dadurch hatten wir keine Ahnung, was in anderen Ländern passiert und keinen Vergleich. Aber natürlich wussten wir, dass es Apartheid gibt und Rassismus der falsche Weg sein musste.“
Ausmaß der Rassentrennung in der Heimat erst spät erkannt
Aufgewachsen ist Howard Carpendale in einer englischen Gegend, wo es weitaus menschlicher zuging, als unter den Buren, den europäisch-stämmigen Einwohnern im Norden des Landes. „Das ist natürlich keine Entschuldigung. Als Kind hatte ich viele schwarze Freunde, mit denen ich den ganzen Tag gespielt habe.“ Abends haben sich ihre Wege aber getrennt und jeder ging zurück in sein Haus in seinem Viertel. „Ich will es auf keinen Fall verharmlosen. Das ganze Ausmaß der Rassentrennung in meiner Heimat habe ich aber eigentlich erst wahrgenommen, als ich mit 18 Jahren nach England ging und dort den Unterschied im Umgang der Menschen verschiedener Hautfarben untereinander vor Augen geführt bekam.“
1966 siedelte der junge Beat-Sänger und Elvis-Imitator nach Europa über, machte zuerst Station in England, lernte hier unter anderem die Beatles und die Bee Gees kennen und landete schließlich in Köln, wo er seinen ersten Plattenvertrag bei Electrola unterzeichnete. Zu dieser Zeit wurde die Weltöffentlichkeit nicht zuletzt durch Nelson Mandelas Inhaftierung aufmerksam auf die Situation in Südafrika: „Damals begannen auch die internationalen Protestboykotte, etwa im Sport bei den Olympischen Spielen. Da hat sich dann alles sehr schnell verändert“ - bis die Apartheid in Südafrika vor 25 Jahren endete.
Carpendale: Rechtsruck in allen Schichten der Gesellschaft ist Wahnsinn
Vor diesem Hintergrund bedeuten der wachsende Rechtsruck in allen Schichten der Gesellschaft einen gefährlichen Rückschritt. Mit seiner Haltung bezüglich der Entwicklungen ist Carpendale vorsichtig: „Ich rede gerne über Themen, für die ich eine Lösung habe. Für diesen Wahnsinn in unserer Welt habe ich aber keine. Und es ist alles ein Wahnsinn. Auf der anderen Seite bin ich der Meinung, dass einigen Menschen zu schnell Rassismus vorgeworfen wird, nur weil sie Angst haben. Wir sind mitten in der größten globalen Bewegung seit dem Zweiten Weltkrieg. Mehr als 60 Millionen Menschen sind am Wandern und suchen ein Zuhause. Es gibt Menschen, die mit diesen Veränderungen nicht klarkommen, und ich glaube, dass wir die Situation nicht besser gemacht haben, indem wir sie als Rassisten bezeichnet haben“, sagt der Sänger.
Er glaube aber auch, dass Regierungen in den vergangenen 20 Jahren ihrer Arbeit nicht vernünftig nachkamen. „Wir hatten kaum Vorbilder, und die, die wir hatten, haben uns enttäuscht, wie VW, Hoeneß oder Boeing. Es ist mehr als nur ein Rassismus-Problem, dem wir im Moment begegnen müssen, es ist ein Problem unserer ganzen Identifikation, die wir alle in Frage stellen.“
Howard Carpendale: 2007 Comeback mit Hilfe von Sohn Wayne
Persönliche Schicksalsschläge und eine berufliche Krise führten 2003 zum vorläufigen Ende von Carpendales Karriere. „In Amerika habe ich für eine kurze Zeit ein herrliches Leben genossen. Bald aber verfiel ich in eine Depression und war lebensmüde.“ Doch 2007 erklärte er sein Comeback und fand mit Hilfe seines Sohnes Wayne zurück auf die Bühne. „Neue Perspektiven waren die Lösung. Sie sind ein Heilmittel für alle Menschen, die nichts mit ihrem Leben anzufangen wissen.“
Zu den glanzvollsten Momenten der Show seines Lebens zählt unter vielen Auszeichnungen zweifelsohne die Verleihung des Echos für sein Lebenswerk. Und zu den schönsten? „Gestern um sieben Uhr hat meine Frau mich geweckt und hat mir gesagt: ,Du bist Nummer eins.’ Das war schon ganz weit oben.“ Sein neues Album mit dem großen Orchester live vor Publikum zu spielen, ist der nächste Traum von Howard Carpendale. „Aber bis dahin,“ ist er sich sicher, „wird sich noch viel ändern - in der Musikbranche und in der ganzen Welt.“ (mz)
