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Küssen verboten Küssen verboten: Leipzigerin verdient ihr Geld mit Kuscheln - und ohne Sex

Von Alexander Schierholz 09.03.2019, 17:00
Elisa Meyer nimmt Menschen in den Arm, hält mit ihnen Händchen, streichelt sie. Und verlangt dafür Geld.
Elisa Meyer nimmt Menschen in den Arm, hält mit ihnen Händchen, streichelt sie. Und verlangt dafür Geld. Elisa Meyer

Elisa Meyer vergleicht ihre Arbeit gerne mit der eines Bäckers. „Zum Berühren braucht man Talent“, sagt sie, „ähnlich wie ein Bäcker, der nicht nur Rezepte braucht, sondern auch Talent zum Backen.“

Beides ist, um im Bild zu bleiben, Handwerk. Der Bäcker backt Brot. Und verlangt dafür Geld. Elisa Meyer nimmt Menschen in den Arm, hält mit ihnen Händchen, streichelt sie. Und verlangt dafür Geld.

Meyer, 32, zierlich, lange braune Haare, Brille, nennt sich eine professionelle Kuschlerin. Kuschelpartys, bei denen wildfremde Menschen in Kissenlandschaften miteinander schmusen, gibt es immer öfter in deutschen Großstädten. Kuschler gibt es bisher nur wenige. Meyer ist eine der ersten.

Eine Stunde Kuscheln für 70 Euro

Ihre Kunden empfängt sie in einer Dachgeschosswohnung im Leipziger Stadtteil Schleußig. Offene Balken, eine Galerie, Bücherstapel auf dem Fußboden. Und ein geräumiges Sofa mit großen Kissen. Dort sitzt sie mit ihren „Klienten“, wie sie sagt, nebeneinander, hält sie an der Hand oder legt sich mit ihnen engumschlungen hin. Eine Stunde kostet 70 Euro.

Manchen tut das so gut, dass sie immer wieder kommen. Andere probieren es einmal aus und merken: Das ist nichts für mich. Eine Handvoll Stammkunden stehen in ihrer Kartei, dazu kommen zwei bis drei neue Interessenten pro Monat. Es sind Menschen, die bei Elisa Meyer suchen, was sie anderswo nicht bekommen: körperliche Nähe. Ohne Sex.

Zu ihr kommen Singles. Menschen, die in einer schwierigen Lebenslage Halt suchen. Alte Menschen, die nach dem Tod des Partners alleine sind. Menschen, die in langjährigen Beziehungen leben, aber keinen Sex mehr mit ihrem Partner haben. „Meistens fällt mit dem Sex auch das Kuscheln weg“, sagt Meyer.

Internet-Plattform vermittelt Kuschler

Elisa Meyer kuschelt nicht nur selbst, sie bildet auch andere darin aus und hat eine Internet-Vermittlungsplattform gegründet. Mehr als 20 Kuschlerinnen und Kuschler bieten auf cuddlers.net ihre Dienste an. In Deutschland, Österreich und Luxemburg, Meyers Heimatland. Per Mausklick lassen sie sich buchen.

Es ist eine Dienstleistung, für die es offenbar einen Bedarf gibt. Was sagt das aus über unsere Gesellschaft? „Wir rutschen zunehmend in eine Vereinzelung“, meint Elisa Meyer. Sie und ihre Kollegen wollten dem etwas entgegensetzen, nämlich: Gemeinschaft. Oder, um genauer zu sein: vorübergehende Zweisamkeit auf dem Sofa.

Kuscheln hilft gegen Demenz

Mittlerweile beschäftigen sich zahllose Studien mit der Einsamkeit und ihren Folgen. So kam eine Untersuchung der Ruhr-Universität in Bochum zu dem Ergebnis: Unter alten Menschen ab 85 fühlt jeder fünfte sich einsam. In der Altersgruppe zwischen 46 und 55 ist es jeder siebte.

Manchen Studien zufolge ist Einsamkeit ähnlich gesundheitsgefährdend wie Rauchen oder Übergewicht. Einsame alte Menschen haben demnach ein doppelt so hohes Risiko, an Altersdemenz zu erkranken.

Kann Kuscheln dagegen helfen? Unbedingt, meint Elisa Meyer. Wir Menschen, sagt sie, seien „soziale Säugetiere“. Für Neugeborene sei eine Berührung das allererste Signal: Da ist jemand, der sich um mich kümmert. Sie kann viel erzählen über den Tastsinn, darüber, was bei Berührungen im Körper passiert.

Dass Oxytocin ausgeschüttet wird, ein Hormon, das den Blutdruck sinken lässt und Selbstheilungskräfte im Körper aktivieren kann. Sie nennt es den „Wellness-Effekt“. Oxytocin gilt auch als „Kuschelhormon“.

Sie hat viel gelesen über biologische und psychologische Zusammenhänge, hat zwei Fernausbildungen absolviert, in Großbritannien und den USA. Dort, wo professionelles Kuscheln schon lange ein Trend ist.

Als Elisa Meyer vor ein paar Jahren einen Artikel darüber las, dachte sie: Das will ich auch machen! Eigentlich ist sie Germanistin, doch sie will, so schreibt sie es auf ihrer Webseite, „fühlen UND denken“. Mit Berührungen, mit Körperlichkeit hatte sie sich schon in ihrer Doktorarbeit in Wien beschäftigt. Titel: „Leibliche Identität“.

Ausbildung in Körpertherapie

Jetzt setzt sie noch Ausbildungen in Körpertherapie drauf. Was das ist? Therapeutische Massagen zum Beispiel oder Berührungs- und Bewegungsübungen. Die Grundannahme dahinter erklärt sie so: Alles Negative, das der Körper in sich aufnehme, schlechte Erfahrungen etwa, könne man mit Hilfe von Massagen und Bewegung wieder loswerden. „Die Idee ist, dass man über den Körper die Seele heilen kann.“

Man kann das für Hokuspokus halten. Man kann sich aber auch überlegen, wie gut man sich fühlt nach dem Sport, wenn man einen schlechten Tag hinter sich hat.

Oder man kann versuchen sich vorzustellen, wie es ist, wenn da niemand ist. Der einen mal in den Arm nimmt, einem mal Streicheleinheiten verpasst. Zu Elisa Meyer kommen Menschen, die manchmal seit Jahren keine körperliche Nähe mehr erfahren haben.

Oder die gar nicht wissen, wie das geht: sich nah zu sein. Weil sie schon als Kind diese Nähe nicht erfahren haben. Es sind Menschen, so beschreibt Meyer es, die einen Panzer um sich haben. Den muss sie knacken.

Oft, sagt sie, merken ihre Kunden erst nach einer Kuschel-Einheit, was ihnen gefehlt hat. Und oft kommen sie ins Reden: „Manche erzählen mir ihre ganze Lebensgeschichte.“ Wenn Elisa Meyer über ihre Arbeit erzählt, spricht sie immer wieder von „Kuscheltherapie“.

Natürlich sei Kuscheln kein Ersatz für Psychotherapie, betont sie. Es sei aber auch keine normale Massage. Meyer will nicht in die „Wellness-Ecke“ geschoben werden. Aber auch nicht in die „Prostitutions-Ecke“, so nennt sie das. Was sie bietet, sind Berührungen. Mehr nicht.

Kuscheln für Geld: Kein Sex, kein Küssen

Jeder Kunde bekommt zu Beginn einen Vertrag vorgelegt, zwei A-4-Seiten, voll mit Regeln. Unter anderem: „Die Bikinizone ist berührungsfreie Zone. Alle Teilnehmer bleiben während der Kuschelsession völlig angezogen.“ Und: Küssen ist verboten.

Meyer hat zum Vertrag auch ein Bild gemalt, es wirkt wie eine Kinderzeichnung: eine stilisierte Frau in einem Bikini, von vorne und von hinten. Der Bikini und ihre Lippen sind rot, der Rest ist weiß. Rot heißt tabu. 80 Prozent ihrer Kunden sind Männer. Hat schon mal jemand die Grenzen überschritten? Das komme vor, sagt sie, aus Unachtsamkeit. Abbrechen müssen hat sie noch keine Kuschelstunde.

So viel wird klar: Wer eine Dienstleistung anbietet, wie Elisa Meyer es tut, muss sich auf andere einlassen können. Auf Fremde. Und: Der Partner muss damit klarkommen. Für ihren Freund sei das kein Problem, sagt sie: „Ich habe ihn auf einer Kuschelparty kennengelernt.“