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Leipziger Eisenbahnstraße Eisenbahnstraße Leipzig: Gewalt, Drogen und Lammkeule

Von Alexander Schierholz 03.11.2018, 16:28
Sie halten die Waffenverbotszone für wirkungslos: Daniel Schade vom Ost-Passage-Theater (li.) und Stefan Kausch vom Pöge-Haus.
Sie halten die Waffenverbotszone für wirkungslos: Daniel Schade vom Ost-Passage-Theater (li.) und Stefan Kausch vom Pöge-Haus. Andreas Stedtler

Leipzig - Robert Baier ist Versicherungsmakler, kein Gastro-Kritiker. Aber einen Tipp muss der Vorsitzende der Händler-Vereinigung in der Leipziger Eisenbahnstraße doch mal loswerden: Es gebe hier eine hervorragende Lammkeule.

Leipziger Eisenbahnstraße: Nicht bloß Dönerläden

Die könne man in einem der zahlreichen Restaurants ja mal probieren. „Es sind ja nicht alles bloß Dönerläden hier.“

Die Leipziger Eisenbahnstraße. Auf zwei Kilometern östlich des Hauptbahnhofs russische und arabische Lebensmittelläden, koreanische, syrische und andere Restaurants - und sicher auch gutes Lamm.

Die Friseure nennen sich hier gerne Barbiere und die Shisha-Bars „Wunderlampe“. Mehr als jeder Dritte hier hat ausländische Wurzeln, ein Spitzenwert in Leipzig.

Bioladen neben Bauzaun und Paletten voller Wochenmarkt-Reste

Die Eisenbahnstraße, das sind auch Parallelwelten: Hier der schicke Bioladen, da eine Brache mit ein paar kümmerlichen Bäumen, davor ein Bauzaun und stapelweise Paletten.

Dort werden sonnabends die Reste von den Leipziger Wochenmärkten verscherbelt. Obst und Gemüse für ein paar Euro. Für die, die sich nicht mehr leisten können.

Die Eisenbahnstraße, das sind aber auch Gewalt und Drogen. Die Polizei nennt die Viertel rund um die Meile in den Stadtteilen Neustadt-Neuschönefeld und Volkmarsdorf einen „Kriminalitätsschwerpunkt“.

Kriminalitätsstatistik für die Leipziger Eisenbahnstraße

Für 2016 verzeichnet die Statistik rund um die Eisenbahnstraße und den benachbarten Stadtteilpark Rabet  sechs „Straften gegen das Leben“, 55 mal Raub, 199 Körperverletzungen, 44 Bedrohungen, 13 Sexual- und 149 Drogendelikte.

Die 2017er Zahlen seien ähnlich hoch, sagt ein Polizeisprecher, mit Ausnahme der Sexualtaten. Wenn hier kein heißes Pflaster ist, wo dann? Nur in der Innenstadt geht es noch krimineller zu, sagt die Statistik.

Nun reicht es der sächsischen Staatsregierung und der Leipziger Stadtverwaltung. Ein Jahr vorbereitet, wird rund um die Eisenbahnstraße vom kommenden Montag an eine so genannte Waffenverbotszone eingerichtet, die erste in Ostdeutschland.

Verbot für Schusswaffen, Messer und andere Waffen

Dort sind rund um die Uhr dann nicht nur sowieso verbotene Schusswaffen untersagt, sondern auch Messer und vieles, was sich als Waffe zweckentfremden lässt: Schraubendreher etwa, oder Äxte.

Für Anwohner und Gewerbetreibende lässt eine Verordnung des sächsischen Innenministeriums Ausnahmen zu. Die Landesregierung erhofft sich davon mehr Sicherheit und weniger Straftaten.

Ein Jahr vor der Landtagswahl in Sachsen greift der Staat damit durch. Ein Signal, das nicht bei allen gut ankommt.

Theaterleiter Daniel Schade plant Stück mit syrischen Flüchtlingen

Daniel Schade zieht einen Schlüssel aus der Tasche, er schließt eine Gittertür auf und eine schwere Holztür. Es geht eine hölzerne Treppe hinauf in einen alten Kinosaal, bekrönt von einer Kuppel.

Das Holz riecht noch frisch, die Treppe ist noch nicht lange eingebaut. Das hier ist eines der ältesten Kinos Leipzig, von 1912. Unten verkauft Aldi heute Kekse und Kartoffeln, oben unter der Kuppel zeigen sie Filme und machen Theater.

Sie haben syrische Flüchtlinge auf die Bühne geholt und planen ein Stück mit jungen Kickern. Das „Ost-Passage-Theater“ hat Kultur ins Viertel gebracht, die es so bisher nur im hippen Leipziger Westen gibt.

„Wir brauchen mehr von solchen Orten“, sagt Schade. Der 40-Jährige, von Beruf Kulturmanager und Dramaturg, ist der künstlerische Leiter des Theaters.

Waffenverbotszonen gibt es bisher unter anderem in Kiel und Hamburg, dort beispielsweise rund um das Vergnügungsviertel Reeperbahn. Die örtlichen Behörden haben nach eigenen Angaben bisher gute Erfahrungen mit den Verboten gemacht.

So ist in Kiel rund um die Ausgehmeile Bergstraße die Zahl der einfachen und gefährlichen Körperverletzungen von 189 (2015) auf 70 (2017) zurückgegangen. Die Waffenverbotszone gilt seit 2013 nur nachts. Schon einige Wochen nach der Einführung, so die Kieler Polizei, sei kaum noch gegen das Waffenverbot verstoßen worden. Auch in Hamburg, so die dortige Polizei, trage das Verbot dazu bei, Straftaten zu verhüten.

Bei Verstößen gegen das Waffenverbot drohen hohe Bußgelder, in Hamburg bis zu 10 000 Euro. Auch in Leipzig soll dies die Maximalsumme sein. Bei Kontrollen entdeckte Waffen oder Werkzeuge, die als solche dienen, werden beschlagnahmt.

Waffenverbotszone als Rückschritt - für mehr Polizeikontrollen

Die Waffenverbotszone lehnt er ab. Er sieht sie als Vorwand, damit die Polizei künftig auch ohne konkreten Anlass kontrollieren könne. „Nur darum geht es“, sagt er. Tatsächlich lässt die Verbotszone genau solche „verdachtsunabhängigen“ Kontrollen zu.

Die Zone sei ein Rückschritt, schimpft Schade. Jahrelang hätten Initiativen wie seine gegen das schlechte Image der Straße gearbeitet; nun werde das alles kaputt gemacht. „Ich fühle mich in meiner Arbeit behindert.“

Dabei will Schade die Kriminalität nicht kleinreden. Das wäre auch schwierig angesichts der Zahlen und der Schlagzeilen, die die Eisenbahnstraße immer wieder liefert. So endete eine Schießerei zwischen Rockerbanden im Sommer vor zwei Jahren mit einem Toten und zwei Schwerverletzten.

Massenschlägereien, Schwarzarbeit und illegale Wettbüros

Ausländische Banden liefern sich immer wieder Massenschlägereien und Messerstechereien. Es gibt Schwarzarbeit und illegale Wettbüros. Schade weist auf eine vom Verkehrslärm umtoste Grünfläche entlang der Straße - der Otto-Runki-Platz, Treffpunkt der Drogenabhängigen.

Doch mit einer Waffenverbotszone, findet der Theatermann, bekomme man all das nicht in den Griff.

Stefan Kausch, 42, sieht das ähnlich. Er sitzt im Vorstand des Pöge-Haus-Vereins, eines der zahlreichen Hausprojekte im Leipziger Osten. Leben, Arbeiten und Kultur unter einem Dach, Öffnung nach außen, das ist die Idee.

Pöge-Haus: Vorträge und Lesungen inmitten von Drogenproblemen

Im Pöge-Haus organisieren sie Vorträge, Lesungen, Diskussionen. Sie betreiben ein Café, auf dessen Toiletten sie immer wieder ausgediente Spritzen von Junkies finden, so erzählt er es.

„Natürlich haben wir hier ein Drogenproblem“, sagt Kausch „aber dagegen helfen doch keine Waffenverbote“. Was es brauche, seien mehr legale Drogenkonsumräume. Und mehr Prävention.

Als die heutigen Betreiber das Pöge-Haus vor ein paar Jahren saniert haben, ist ihnen immer mal wieder Werkzeug von der Baustelle geklaut worden. Über die regelmäßig aufflammenden Bandenkriege, sagt Kausch, denke er schon mal öfter nach, seit er Kinder habe.

Verkehr in der Eisenbahnstraße bereitet mehr Sorgen

„Aber Angst habe ich nicht.“ Auf dem Weg zum Kindergarten muss er mit seinem Sohn jeden Tag die viel befahrene Eisenbahnstraße überqueren. Straßenbahnen, Autos, rücksichtslose Radler. „Der Verkehr hier ist schlimmer.“

Kausch und Schade sagen, ihnen sei noch nie etwas passiert. Robert Baier, der Sprecher der Händler und Gewerbetreibenden, beteuert: „Man kann abends sowohl als Mann auch als Frau allein durch die Eisenbahnstraße gehen und sich in ein Café oder ein Restaurant setzen.“ Um zum Beispiel eine Lammkeule zu essen.

Andere Anwohner fühlen sich dagegen verunsichert von Drogendealern, die auf der Suche nach Kundschaft Passanten bedrängen. „Diese Situation empfinden viele Leute als bedrohlich“, wird eine Anwohnerin in der Leipziger Volkszeitung zitiert.

Polizeiposten schließt abends und am Wochenende

Was die Frage aufwirft: Was macht eigentlich die Polizei in der Eisenbahnstraße? Antwort: Sie ist da. Im „Infocenter Eisenbahnstraße“, kurz „IC-E“, sitzt nicht nur das Quartiersmanagement, sondern auch ein Polizeiposten.

Wenn es dunkel wird, ist allerdings dicht - geöffnet ist zwischen zehn und 17 Uhr, und das auch bloß von Montag bis Donnerstag. Nach Angaben des Polizeipräsidiums versehen drei Bürgerpolizisten ihren Dienst auf der Eisenbahnstraße.

Stefan Kausch vom Pöge-Haus beklagt aber, zu Fuß, unter den Leuten, ließen sich Polizisten nur äußerst selten sehen. Dafür fahren regelmäßig Streifenwagen.

Demnächst kommt wohl auch noch Bereitschaftspolizei dazu. Sie soll, neben Beamten der Polizeidirektion, die Einhaltung des Waffenverbots kontrollieren, sagt ein Sprecher.

Personalmangel bei der Polizei macht Kontrollen schwierig

Es werde allerdings „kein permanentes Kontrollieren von Jedermann“ geben. Angesichts des Personalmangels bei der sächsischen Polizei wäre das wohl auch schwierig. Über Jahre wurden im Freistaat Polizeistellen abgebaut.

Nun sollen 1.000 neue Beamte eingestellt werden - aber erst bis 2024. Robert Baier, der Sprecher der Gewerbetreibenden, hält die Verbotszone denn auch für „blinden Aktionismus“.

Aber was soll Michael Kretschmer machen? Der CDU-Ministerpräsident muss liefern. Ihm sitzt die AfD im Nacken. Vielleicht kommt er ja mal auf eine Lammkeule vorbei, um sich ein Bild zu machen. (mz)