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Bruder erstochen Bruder erstochen: Mörder kann auf Wohnrecht im Leipziger Haus der Familie pochen

Von Susanne Kupke 12.03.2016, 10:34
Lars Müller, der Halbbruder von Opfer und Täter in einem bizarren Wohnrechtsstreit, steht vor Prozessbeginn vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe.
Lars Müller, der Halbbruder von Opfer und Täter in einem bizarren Wohnrechtsstreit, steht vor Prozessbeginn vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe. dpa

Karlsruhe/Leipzig - Für die Angehörigen ist die Vorstellung schier unerträglich: Wenn der Sohn und Halbbruder in ein paar Jahren aus dem Gefängnis kommt, kann er auf sein Wohnrecht im Leipziger Haus der Familie pochen. Und das, obwohl er den früheren Hauseigentümer - den anderen Halbbruder - vor knapp vier Jahren erstochen hat. Versuche der Mutter von drei Söhnen, das Wohnrecht des hinter Gittern sitzenden Mannes per Gericht zu löschen, scheiterten. Nun zog die 80-Jährige vor den Bundesgerichtshof (BGH). Der fällte ein salomonisches Urteil (Az. V ZR 208/15) - in einem ebenso bizarren wie rechtlich schwierigen Fall.

Täter wurde rechtskräftig für erbunwürdig erklärt

Anfang 1997 muss die Welt zwischen den Männern noch in Ordnung gewesen sein: Der spätere Täter hatte dem Bruder seinen Anteil am gemeinsamen Haus in der Messestadt übertragen - unter der Bedingung, dass er das Wohnrecht im Obergeschoss bekommt. Der Bruder war wieder mit seiner Ex-Frau zusammengekommen und lebte unten. Einige Jahre ging das gut. Im Mai 2012 tötete der eine Bruder den anderen im Streit. „Es ging um Nebenkosten“, sagt der Halbbruder heute.

Der Täter wurde rechtskräftig für erbunwürdig erklärt. Das Haus ging auf die Mutter über, die frühere Ehefrau des Getöteten wohnt noch dort. Das Wohnrecht des Sohnes, der ihr den anderen Sohn nahm, wollte die Mutter per Gericht aberkennen lassen.

Weil das nach deutschem Recht schwierig ist, berief sie sich auf die Rechtsprechung des österreichischen Obersten Gerichtshofs: Der hält die Kündigung des Wohnungsrechts für möglich, wenn der Berechtigte den Grundstückseigentümer ermordet hat. Vor dem Landgericht Leipzig und vor dem Oberlandesgericht Dresden hatte die 80-Jährige damit ebenso wenig Erfolg wie nun vor dem BGH. „Ein Anspruch der Klägerin auf Aufgabe des Wohnungsrechts besteht nicht“, entschieden die höchsten deutschen Zivilrichter.

Halbbruder nach BGH-Urteil enttäuscht

„An die Opfer denkt keiner“, sagte der Halbbruder nach der BGH-Verhandlung sichtlich enttäuscht. Das Ergebnis hatte sich dabei schon abgezeichnet - aber auch, dass Justitia noch einen weiteren Weg kennt: „Es ist wirklich eine extreme Situation“, räumte die Vorsitzende BGH-Richterin Christina Stresemann angesichts der Familientragödie ein. Sie billigte der Familie ein weitgehendes Veto-Recht zu: Wenn die von der Tat betroffenen Bewohner nicht mehr mit dem Mann zusammenleben wollen, „muss der Berechtigte dem Rechnung tragen“ - indem er die Wohnung nicht mehr selbst nutzt, sondern zum Beispiel vermietet, heißt es im Urteil.

„Die Gerechtigkeit lässt nicht zu, dass die Frau mit dem Mann unter einem Dach lebt, der ihren Mann umgebracht hat“, hatte der Anwalt der Mutter zuvor eindringlich plädiert und gefordert: „Die Justiz hat solche Konflikte angemessen zu lösen.“ Er dürfte nun nicht unzufrieden sein.  (dpa)