1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Leipzig: Leipzig: Die Testfahrer von Belantis

Leipzig Leipzig: Die Testfahrer von Belantis

Von IRIS STEIN 18.06.2010, 15:09

"Huracan" wird geprüft, auf Herz und Nieren.

Signalrot leuchtet die spektakuläre Achterbahnkonstruktion in den blauen Himmel - diese Farbe kann kein Zufall sein. In einer Woche werden sich hier die Fahrgäste drängeln, um zu erfahren, wie sich das anfühlt, was die Bahn an technischen Superlativen zu bieten hat: freier Fall aus 32 Metern Höhe, dabei eine Neigung von 95 Prozent - was steiler ist als senkrecht -, zweimal Schwerelosigkeit, fünf Überschläge des Wagens um die Schiene! Der Puls kommt auf Touren allein bei der Vorstellung der etwa 90 Sekunden langen Fahrt.

Damit es beim lustvollen Nervenkitzel bleibt, wenn Fahrgäste die fantasievollen Wagen entern, leisten die drei Männer Präzisionsarbeit. Gerade schickt Guido Aschwanden den 24. Wagen dieses Nachmittags auf seine kurvenreiche Reise. Auf dem Zählwerk des Steuerstandes ist abzulesen: Es ist die 274. Fahrt, seit die erste Tour startete. Und da waren die drei Männer selbst an Bord. "Das lassen wir uns nicht nehmen", sagt Montageleiter Maier, "das gehört dazu, dass wir auch ausprobieren, was wir gebaut haben." Dabei geht es jedoch nicht etwa um Spaß: "Wir sind immer gespannt, was hören wir, was spüren wir, wie gleiten die Wagen, wo sollten wir im Fahrablauf etwas verändern - da können wir einfach nicht abschalten", sagt Maier. Gespür, Gehör, Erfahrung - alle Sinne sind im Einsatz.

Wenn die Prüfphase abgeschlossen ist, werden die sechs Wagen rund 1 000 Mal über den 560 Meter langen Schienenweg gerauscht sein. Anders kann man das Geräusch nicht beschreiben, denn vom üblichen polternden Geschepper ist nichts zu hören. "Wir fahren weiche Rollen", verrät Franz Maier das Geheimnis, "die Stahlrohre der Bahn sind zudem mit Sand gefüllt." Die Entzückensschreie der wagemutigen Fahrgäste dürften dadurch nur umso besser zu hören sein.

"Da war wieder was", ruft der Projektleiter jetzt dem Elektronikspezialisten Aschwanden zu und verschwindet erneut im Untergrund, um den nächsten Wagen genauer anzuschauen. Seit rund 30 Jahren gehört der 56-jährige Maier zur Gerstlauer Amusement Rides GmbH aus dem bayerischen Münsterhausen, ein Spezialist für den Bau von Achterbahnen und andere Fahrgeschäfte in der ganzen Welt. Vier bis fünf sind es pro Jahr, bei denen Maier mit Hand anlegt. Eine Achterbahn auf dem Münchner Oktoberfest war sein erster Einsatz, daran erinnert er sich bis heute.

"Die Bremse", schallt es vom Bildschirmarbeitsplatz oben, "sehe ich hier." Aus Franz Maiers Richtung ist nun doch einmal ein metallisches Klopfen zu hören, ansonsten bleibt es beim Klacken der Laptop-Tasten. Eine Viertelstunde später tönt ein "Schau mer mal", durch den "Bahnhof", dann setzt sich wieder einer der 1,8 Tonnen schweren Wagen in Bewegung.

Auf seiner Fahrt passiert er mit maximal 85 Kilometern pro Stunde den Lift, Zero-G, Kobra-Rolle, Kamelhöcker, Korkenzieher - so heißen die Figuren, die immerhin von 800 Fahrgästen in jeder Stunde genommen werden können. Damit diese auch gut sehen, worauf sie sich eingelassen haben, sind die sechs Sitze leicht V-förmig und ansteigend im Wagen angeordnet. Somit haben auch die, die hinten sitzen, beste Chancen, dem Grauen ins Auge zu sehen - wenn sie diese nicht zukneifen vor Wonne oder Entsetzen.

Jetzt kann im Wagen niemand die Augen zukneifen, denn dort sitzen Dummys, große Plastikbehälter, mal leer, mal mehr und mal weniger mit Wasser gefüllt. "Wir simulieren alle denkbaren Situationen", erklärt Projektleiter Maier, "schließlich ist es ein Unterschied, ob drei Kinder oder sechs 90-Kilo-Männer im Wagen sitzen." Huracan, benannt nach dem Gott des Windes, des Sturmes und des Feuers in der Mythologie der Maya, lässt Beschleunigungskräfte bis zum fünffachen des eigenen Körpergewichts erleben. Und immer muss das Fahrgefühl stimmen, die Bremseinstellung, die Geschwindigkeit.

Guido Aschwanden beobachtet genau, wo die einzelnen Gefährte sich befinden. Die Bahn ist in Blöcke eingeteilt, pro Block darf nur ein Wagen unterwegs sein. Der Spezialist kannte die Strecke schon vor der Testphase in- und auswendig und lernt dieser Tage die Operators an. Die sind verantwortlich für das Öffnen und Schließen der Türen, für die Kontrolle der Sicherheitsbügel und für den Start - "der Rest läuft automatisch", sagt der 41-Jährige. Mal um Mal kreisen die Wagen über die Schienen. Rollen, Bremsen, Weichen - alles muss perfekt eingestellt sein, egal, ob leer oder voll besetzte Gefährte. Dazu kommen Bremsproben, Feineinstellungen.

Nicht weniger akribisch ist der Tüv bei der Sache. "Der versucht zu finden, was wir vergessen haben", witzelt Franz Maier. Der Elektroingenieur Roman Hauer und der Maschinenbauspezialist Klaus Schindler messen, prüfen, kontrollieren. Bremsen, Antrieb, Rückhaltesysteme, Sicherheitsbügel. Nichts bleibt dem Zufall überlassen, wenn die Experten vom Tüv Süd aus München - ein Dienstleister, der weltweit für "fliegende Bauten" die Erstabnahme und wiederkehrende Kontrollen ausführt - in der Praxis drei Tage lang in Augenschein nehmen, was sie Wochen zuvor auf dem Papier schon nachgerechnet haben. Es geht um Statik, Beschleunigungswerte - kurz, um höchste Sicherheitsstandards. Und auch die Vertreter des Tüv steigen ein, wenn sie alles für korrekt befunden haben. Ehrensache!

Noch eine Woche, dann erfolgt am 26. Juni der scharfe Start für "Huracan". Bis dahin wird es noch jede Menge Testfahrten geben, auch wenn der Tüv sein letztes Wort schon gesprochen hat. "Die Bahn soll ja perfekt sein", sagt Montageleiter Maier. "Und je öfter wir fahren können, umso besser." Wenn es bei Belantis losgeht, ist für die Männer von Gerstlauer Feierabend. Bis zum nächsten Projekt. Wo? "Ich glaube, irgendwo in Japan", sagt Franz Maier.