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Leipzig Leipzig: Bunte Bilder gegen braune Parolen

13.11.2008, 10:26
Graffiti aus der Spraydose (FOTO: DDP)
Graffiti aus der Spraydose (FOTO: DDP) ddp

Leipzig/ddp. - Doch in der Mitte des Pausenhofes stört eine bunte Wand das tristeNovemberbild. Ein giftgrünes Comic-Männchen zeigt auf die lärmendenKinder herunter. Daneben prangen die Namen der jungen Künstler ausder Graffiti-Klasse von Sebastian Drechsel. Einmal wöchentlich zeigtder Kunstpädagoge vom Graffitiverein Leipzig, dass man mit Sprühdosenmehr anstellen kann, als mutwillig Häuser zu beschmieren.

Der Nachmittagsunterricht ist nur ein Projekt des Vereins, der dieJugendlichen mit seinen Aktionen in ihrer Lebenswelt abholen will,also «da, wo es sie wirklich beschäftigt», wie Drechsel sagt.

Vor zehn Jahren ist der Verein aus der Suche nach legalen Flächenfür Graffiti in Leipzig entstanden. Heute beschäftigt er dreiAngestellte und fünf Ehrenamtliche. Die legale Graffiti-Kultur zufördern sei das Ziel des Vereins, erklärt Drechsel. Dabei gehörensowohl Auftragsarbeiten als auch soziale Projekte undGraffitiforschung zum Anliegen des Vereins. Im Dezember organisiertder 29-Jährige eine Aktion gegen Rechtsextremismus, um «mit buntenBildern auf braune Parolen» zu antworten.

Immer wieder waren zuletzt in zwei Leipziger StadtteilenNazi-Parolen an Wände geschmiert worden. Jetzt wollen sich diegeschädigten Hausbesitzer mit buntem Graffiti wehren: Zusammen mitSprühern und Jugendlichen aus den Vierteln wird Drechsel die Wändeverzieren. «Wir wünschen uns, so in einen Dialog mit den jungenMenschen zu kommen», sagt der Kunstpädagoge.

Die Siebt- und Achtklässler der Mittelschule Markkleeberg sindjedenfalls von ihrem Graffiti-Unterricht begeistert. «Eine legaleWand in unserer Stadt wäre toll, damit wir das anwenden können, waswir hier lernen», wünschen sich Max und Tim. Die beiden sindleidenschaftliche Skateboard-Fahrer und finden es deswegen «cool»,dass sie jetzt auch wie ihre Vorbilder Graffitis malen. Das Konzeptdes Ganztagesbetreuers der Mittelschule, Ronny Ullmann, scheint alsoaufgegangen zu sein. «Wir dachten uns, es muss etwasaltersspezifisches für die siebten und achten Klassen her», erklärtUllmann. Die Graffiti-Stunden seien projektorientiert gedacht, sodass am Ende die ganze Schulgemeinschaft davon profitiere.

Doch nicht immer funktioniert die Arbeit mit den Jugendlichen soreibungslos. Dann rufen Sozialarbeiter in Jugendzentren schon mal dieSprüher des Vereins zu Hilfe. Das Graffiti kann Drechsel zufolge denDialog zwischen den Sozialarbeitern und den Problemkindernerleichtern. «Wir sind die Plattform, die pädagogische Arbeitübernehmen dann die Streetworker», beschreibt der 29-Jährige.

Dieses Potenzial des Graffitis hat auch das Kultusministeriumerkannt. Im Oktober startete das Ministerium den sachsenweitenGraffiti-Wettbewerb «Demokratie versprühen», unter anderem inZusammenarbeit mit dem Graffitiverein Leipzig. Dabei sind die Schüleraufgerufen, ihre Gedanken zur friedlichen Revolution 1989 malerischumzusetzen. Kultusminister Roland Wöller (CDU) erklärte es damals zumZiel, die heutigen Schüler für die damals friedlich erkämpftendemokratischen Werte zu gewinnen.

Die Chancen des Graffitis in der Jugendarbeit sieht SebastianDrechsel auch in der Verbindung mit den regulären Schulfächern.Denkbar sei beispielsweise, griechische Sagen aus demDeutschunterricht künstlerisch umzusetzen. Oder über das Verbot vonGraffiti und die Überwachung von Sprühern in der DDR die Kinder fürdie jüngste deutsche Geschichte zu sensibilisieren. Deswegenveranstaltet der Graffiti-Verein bundesweite Lehrerfortbildungen.«Graffiti ist in der Gesellschaft angekommen», findet Drechsel undfügt hinzu: «Kein Kunstlehrer kommt heute noch am Thema Graffitivorbei.»