Wörlitzer Park Wörlitzer Park: Traumjob Gondelmeister

Wörlitz - Ein Irrglaube wird schnell aus der Welt geschafft: Wer zu den Rudern einer Gondel greift, von denen aus die Besucher den Wörlitzer Park aus ganz spezieller Perspektive erleben können, muss nicht von extremer muskelbepackter Statur sein. „Technik ist alles! Eine Gondel sicher über den See und die Kanäle zu steuern, hat etwas mit Geschick zu tun. Zu unserem Team gehören ja auch schmale Damen“, sagt Tobias Degner.
Degner ist der Gondel-Meister des 112,5 Hektar großen Wörlitzer Landschaftsgartens, 22 Hektar davon sind Gewässerfläche. Neben seinem Stellvertreter Josef Ritter ist er der einzige fest angestellte Gondelfahrer, die in der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz (KsDW) zur Abteilung Schlösser und Sammlungen gehören.
Sieben Saisonkräfte stehen dem Führungsduo zwischen dem 1. März und 31. Oktober zur Verfügung, sechs weitere von Mitte März bis Mitte November. Aushilfen an den Rudern gibt es 2017 insgesamt 25: Schüler, Studenten und Rentner, der jüngste ist 14, der erfahrenste Gondoliere 67 Jahre alt. Die meisten wohnen in Oranienbaum-Wörlitz.
Unter 70 durchgesetzt
„Kommandeur“ der Gondel-Flotte ist Degner seit dem Frühjahr 2000. Für den 49-Jährigen ist es der Traum-Job schlechthin. „Beim Aufstehen freue ich mich an jedem Morgen, dass ich zur Arbeit kann.“ Damals kam es ihm vor, als wäre das Anforderungsprofil direkt für ihn zugeschnitten gewesen: Verlässlich und akkurat sein, organisatorisches Geschick beweisen, dass immer genügend Gondolieri am Steg zur Verfügung stehen.
Die Gondeln im Wörlitzer Park sind acht Meter lang und zwei Meter breit und wiegen zwischen 800 und 1.000 Kilogramm.
Maximal 15 Personen passen auf eine Gondel, 20 Stück gibt es insgesamt. Die älteste Gondel namens „Johann Caspar Lavater“ stammt aus dem Jahr 1936. Drei Jahre jünger ist die „Jean-Jacques Rousseau“.
Die Kanäle im Wörlitzer Park sind maximal einen Meter tief, der See ist zwischen drei und vier Meter tief, an den Walllöchern geht es wegen Ausspülungen nach früheren Deichbrüchen bis zu sechs Meter hinab. ab
„Das passte genau. Bei der Armee war ich Stabsschreiber. Da muss ich die Belegungspläne für die Ausbildungsstätten ausarbeiten und mich um Urlaubspläne kümmern.“ Und dass am Wochenende und an Feiertagen die meiste Arbeit anfallen kann? „Da verwies ich im Vorstellungsgespräch auf meine Zeit in einer Eisdiele.“ Degner setzte sich unter 70 Bewerbern durch.
Ganz sicher ist der Oranienbaumer kein Verächter moderner Bürotechnik, obgleich sein wichtigstes Arbeitsmittel aus der analogen Welt stammt. Im Büro oberhalb der Steganlage liegt eine dicke Schwarte stets griffbereit. In den voluminösen Folianten trägt Degner sämtliche Gondelfahrten ein. „Das Buch habe ich eingeführt. Ohne dass ich einen Blick hineinwerfen kann, erhält niemand von mir eine Auskunft, ob eine Gondel zur gewünschten Zeit frei ist.“
Wie groß das Interesse an Gondelfahrten ist, dabei spielt natürlich das Wetter eine große Rolle. Trocken müsse es sein, Temperaturen zwischen 20 und 24 Grad seien perfekt zum Gondeln. Nicht nur für die Besucher, sondern auch angenehme Bedingungen für die Gondolieri. In deren „Anzugsordnung“ System zu bringen - nicht unwichtig, wenn Prominente aus Politik, Kultur und Sport zu transportieren sind - dafür hat sich Tobias Degner eingesetzt.
Der erste Versuch mit gelben T-Shirts ging schief. „Die bestanden zu 30 Prozent aus Polyester. Ins Schwitzen durfte man mit denen nicht kommen, außerdem zogen die die lästigen Rapsglanzkäfer an, die uns in Ohren und Nase krochen.“ Die Folge-Kollektion - die Farben weiß, rot und grün kombinierend - bleichte zu schnell aus. „Es war ein Lernprozess, an dessen Ende wir sagten: Weiß und reine Baumwolle sieht doch am besten aus.“
Nicht in Schale werfen sich die Gondolieri, die den Mindestlohn verdienen, wenn ein Gewitter droht. Dann bleiben die Boote am Steg festgezurrt. Degner will Risiko vermeiden. Dass ein Gondel-Passagier mal gesundheitliche Probleme bekommen kann, ist freilich nicht ausgeschlossen.
„Da sind wir ausreichend geschult, um Notfallhilfe zu leisten. Es können drei ausgebildete Ersthelfer reagieren.“ Auf einem der Boote habe sogar mal eine Reanimierung eingeleitet werden müssen. Zum Glück sei an dem Tag ein ausgebildeter Rettungssanitäter als Gast mit an Bord gewesen.
Die Boote selbst seien auf jeden Fall sicher. Ein Rettungsring liegt griffbereit in jeder Gondel. Genau wie eine Schöpfe, eine große Kelle, die Schlosser in der stiftungseigenen Werkstatt anfertigen. Die Tischler der KsDW kümmern sich hingegen um den Nachschub an Rudern. Die bestehen aus dem Kernholz der Esche, das keine Äste enthält. „Vier, fünf Ruder brechen in einer Saison. Ab und zu bleibt man doch mal in den Faschinen der Ufersicherung hängen“, weiß Degner.
Nachwuchssorgen treiben ihn im Moment nicht um. „Die aktuellen Aushilfen haben sich prima bewährt“, ist er zufrieden. Dass die Gäste während einer Tour die Basis-Daten zum Wörlitzer Park erhalten, sei jedoch selbstverständlich. „Und das soll hochwertig passieren, da achten wir auf Qualität. Wer als Neuling zu uns kommt, für den habe ich einen Überblickstext von zweieinhalb Seiten. Die meisten setzen jedoch aufs Selbststudium, damit die Fakten sitzen.“
Freundlichkeit ist gefragt
Vorwiegend stumm bleibt der kundige Ruderer nur, wenn die Besucher das Areal zuvor schon zu Fuß während einer zweistündigen Parkführung entdeckten. Wenn er vorab wisse, dass wieder ein Kreuzfahrtschiff am Kornhaus-Anleger festmache und eine größere Schar Engländer, Amerikaner oder Kanadier mit Bussen nach Wörlitz komme, setze er auf Kollegen mit Fremdsprachenkenntnissen. „Da ist die Jugend im Vorteil. Doch absolute Perfektion ist gar nicht gefragt. Freundlichkeit macht den einen oder anderen Fehler mehr als wett.“
Wie viele Touristen sich 2017 wohl insgesamt schippern lassen? Tobias Degner hält sich mit konkreten Zahlen zu seiner 18. Saison zurück. „Wir rechnen mit einem normalen Schnitt, 65.000 bis 75.000 Gondel-Nutzern.“
Klar, dass dies nicht spurlos an den Booten vorübergeht. Sie vollständig zu entkernen - Sitzbänke, Tische und die Geländer werden abgebaut -, ist nach jeder Saison oberstes Gebot. Nach gründlichem Auswischen kommen sie umgedreht auf die Wiese, wo per Hochdruckreiniger den Böden zu Leibe gerückt wird. Sind sie zu dünnwandig - mit Ultraschall wird regelmäßig die Dicke des Stahls geprüft - werden sie in einer Roßlauer Werft gewechselt.
(mz)
