Szenische Lesung in KZ Lichtenburg Szenische Lesung in KZ Lichtenburg: Quellen der Erinnerung

Jessen/Prettin - Claudia Buchmann, Lehrerin für Geschichte und Sozialkunde am Jessener Gymnasium, betont: „Für unsere Erinnerungskultur, die es zu bewahren und zu pflegen gilt, ist es wichtig, mit Originalquellen zu arbeiten.“
Die 32-Jährige sagt dies mit Blick auf die szenische Lesung, die von ihrem Geschichtskurs 12/2 am Sonntag zum Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus in der KZ-Gedenkstätte Lichtenburg Prettin beigesteuert wird.
Ausgangsmaterial für die etwa halbstündige Aufführung, an der alle 19 Schülerinnen und Schüler des Kurses als Sprecher, Spieler oder Musikanten mitwirken, sind genau solche Quellen: Gestapo-Akten, Briefe, Tagebücher, Zeitzeugenberichte, Filme und Statistiken. „Eine sehr breit gefächerte Auswahl“, so Claudia Buchmann.
Selbst ein Bild gemacht
„Durch das Quellenstudium kann man sich selbst ein Bild von den Ereignissen machen“, hebt Benjamin Schüler aus Neuerstadt als wichtigen Gesichtspunkt hervor. Der 18-Jährige ist einer der Mitwirkenden. Besonders nah geht ihm, was die Zeitzeugnisse zur Behandlung der Homosexuellen im Columbia-Haus (ehemaliges KZ in Berlin Kreuzberg) belegen. „Sie wurden zum Beispiel gezwungen, ihre Fäkalien zu essen. Wenn man das liest, muss man schon kräftig schlucken.“
Auch seine Mitschüler Marie Bannert (17) aus Jessen und Marvin Bielack (17) aus Prettin sind vor allem von den Strafen schockiert, die den homosexuellen Häftlingen auferlegt wurden, unter anderem dass man sie nicht schlafen ließ, sondern immer wieder weckte. „Man konnte sich ja in dieser Hinsicht schon einiges vorstellen“, erklärt Marie Bannert, „aber wenn man dazu die Quellen liest, geht einem das noch mal viel näher.“
Die Erinnerungsstunde anlässlich des Gedenktags an die Opfer des Nationalsozialismus in der Gedenkstätte KZ Lichtenburg Prettin beginnt am Sonntag, 27. Januar, um 11 Uhr. Unter dem Titel „Man (...) schindet sie in der brutalsten Weise ...“ (anonymer Verfasser, 1930er Jahre, aus einem Brief an den Landesbischof) führt der Geschichtskurs 12/2 des Gymnasiums Jessen, geleitet von Lehrerin Claudia Buchmann, eine szenische Lesung auf. Sie ist den homosexuellen Häftlingen im KZ Lichtenburg gewidmet, die diesmal speziell im Fokus des Interesses stehen.
Melanie Engler, Leiterin der Prettiner KZ-Gedenkstätte, wird zur Eröffnung der Veranstaltung eine inhaltliche Einführung geben. Anschließend richtet Jürgen Dannenberg (Linke), Landrat des Kreises Wittenberg, ein Grußwort an die Teilnehmer. Nach der szenischen Lesung der Gymnasiasten findet dann eine Kranzniederlegung im ehemaligen „Bunker“ statt. Die etwa einstündige Veranstaltung ist öffentlich, der Eintritt frei. Um vorherige Anmeldung (unter Telefon 035386/609975) wird gebeten.
Mit der szenischen Lesung am Sonntag in Prettin wird eine bereits zur Tradition gewordene Zusammenarbeit zwischen dem Gymnasium Jessen und der Gedenkstätte KZ Lichtenburg fortgesetzt. „Schon in Vorjahren haben Geschichtskurse zum Gedenktag im Januar Lesungen übernommen“, erinnert Claudia Buchmann. „Und diesmal hat sich der Kurs 12/2 freiwillig dafür gemeldet.“ Marie Bannert gibt zu bedenken: „Eine Veranstaltung in dieser Form haben viele von uns noch nicht erlebt. Es ist etwas Besonderes, daran mitzuwirken. Bei solch einem Auftritt entsteht eine ganz eigene Stimmung.“
Den Zwölftklässlern das Herangehen erleichtert hat Melanie Engler, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Lichtenburg. „Von ihr wurde das Quellenmaterial gesichtet und vorsortiert“, schildert Claudia Buchmann. Für die Verarbeitung des auf diese Weise überschaubar gemachten Stoffs zur szenischen Lesung nutzten die Gymnasiasten zu großen Teilen den Geschichtsunterricht. „Bis Dezember wurde der Nationalsozialismus behandelt. Da hat das Projekt gut reingepasst. Und danach kamen die Proben“, berichtet die Pädagogin.
Zusätzlich investierten die jungen Frauen und Männer natürlich etliche Stunden Freizeit. Am 30. November hat Melanie Engler für sie einen Workshop in Jessen veranstaltet - zur Geschichte der Lichtenburg sowie zu Ausgrenzung und Verfolgung im Nationalsozialismus. Dabei übergab sie auch das Quellenmaterial an die Gymnasiasten. Unter den Schülern aufgeteilt, lief dessen Auswertung erst einmal im Selbststudium zu Hause. Die dabei ausgewählten Texte wurden dann im Unterricht zusammengetragen. Daraus entstand ein Konzept, das man nach und nach weiter verdichtete, bis die Akteure zufrieden waren.
Zwei gemeinsame Proben
Am 9. Januar besuchte der Geschichtskurs die Prettiner Gedenkstätte, die den Gymnasiasten allerdings schon seit der achten oder neunten Klasse bekannt ist. Die eigentlichen Proben für die Lesung begannen schließlich am 11. Januar. Es gab nur zwei gemeinsame Treffen aller Akteure - auch wegen des bald anstehenden Abiturs. Ansonsten übte jeder zu Hause. Der Zugang zum Thema Homosexualität fiel den Schülern nach eigenem Bekunden übrigens nicht schwer.
„Wir sind da aufgeschlossen, haben zum Teil homosexuelle Bekannte. Und wenn man sich mit dem Nationalsozialismus befasst, ist es doch interessant, auch diese Seite der Ausgrenzung und Verfolgung zu betrachten“, sagen Marie, Benjamin und Marvin. (mz)

