Staatliches Saatgut Staatliches Saatgut: In diesem Schuppen entsteht Sachsen-Anhalts Wald

Annaburg - Durch den Trockenschuppen weht ein frisches Lüftchen. Douglasienzapfen, wohin das Auge blickt. Draußen staunt man, denkt an einen alten Film, auch innen sieht es aus wie im Museum. Seit mehr als hundert Jahren wird hier der Nachwuchs für den Wald gesichert.
Links ein Gebäude aus Holz, rechts ein aus Backstein gemauertes, aus beiden ragt so etwas wie ein Schornstein heraus. Eine Art Fahrstuhl, wie sich später herausstellen wird. Im östlichsten Winkel Sachsen-Anhalts, in Annaburg, steht dieses Gebäudeensemble, das sich Samendarre nennt.
Zapfen werden getrocknet
Samen? Nachwuchs? Also so etwas wie eine Samenbank? „Darre“ kommt von Dörren, Trocknen, klärt Heike Borchardt auf. Aus Zapfen von Nadelbäumen wird durch Trocknen Saatgut gewonnen. Herkunftsgesichertes.
Das in Tüten verpackte Endprodukt, der Samen, geht in die Region zurück, aus der die Zapfen gekommen sind. Manchmal wird auch der Begriff „Klenge“ verwendet, der sich von Klingen ableitet, dem Geräusch, wenn sich Zapfenschuppen öffnen, sagt die studierte Försterin.
Schon im 16. Jahrhundert begannen die Menschen durch Trocknen von Zapfen Samen zu gewinnen - sie legten sie einfach in die Sonne. Dann entwickelten sich Bodendarren mit offenem Feuer. Als die Ausbeute im 19. Jahrhundert nicht mehr reichte, setzten Forstwissenschaftler auf zirkulierende Warmluft, den geschlossenen Ablauf von der Zapfenannahme bis zur Saatgutreinigung.
Im freien Fall eine Etage tiefer
Mit einem Becherhebewerk, dem Elevator, und über ein Rohr sind die Zapfen von der Annahme unten hoch in die dritte Etage des Trockenschuppens gelangt. Hier sollen die frisch geernteten Zapfen, über deren Herkunft genau Buch geführt wird, nachreifen und Feuchtigkeit verlieren. Damit sich kein Schimmel bildet, werden sie mehrmals von Hand gewendet. Im freien Fall geht es dann immer eine Etage tiefer, dafür muss man nur ein Brett aus dem Dielenboden herausnehmen.
1897 begann im damals preußischen Annaburg der Bau einer Samendarre. Der Ort, von Kiefern umgeben, lag zentral an großen Straßen, eine Eisenbahnstrecke mit Gleis zur Fabrik würde bald eröffnet werden. Forstmeister Stubenrauchs Konzept sah die Verarbeitung von jährlich etwa 200 Tonnen Kiefernzapfen vor. Drei Tonnen reines Saatgut würden dabei herauskommen.
Die modern ausgestattete Fabrik, 1903 eröffnet, wurde bald zu einer Hauptdarre Deutschlands und bekam Zapfen von Breslau bis Lüneburg und Schleswig-Holstein, aus dem mittel- und süddeutschen Raum geliefert. Heute ist sie die Landesdarre Sachsen-Anhalts, eine von neun in ganz Deutschland, und produziert aus 30 bis 40 Tonnen Rohsaatgut zirka 500 Kilogramm reinen Samen. Ausreichend für die Aufforstung und die Aussaat direkt in den Wäldern sei das.
Jetzt beginnt das Darren
Unterirdisch über ein Förderband sind die getrockneten Zapfen im DarrHauptgebäude angekommen und über das Becherwerk wieder nach oben gefahren. Jetzt beginnt das Darren. In der Vordarre, bei 36 Grad, springen Douglasien-Zapfen auf, jede Baumart hat ihre Temperatur. Und ab in die Trommeldarre in der mittleren Etage, wo sich schließlich Samen vom Zapfen trennt. Ein Lieblingsort der Mitarbeiter: Es „klengt“ und es riecht gut, besonders wenn sich Tannenzapfen in den Trommeln drehen. Die leeren Zapfen kommen in den Keller und werden, je nach Baumart, kompostiert, verheizt oder zu Schmuckzapfen.
Computer wird man im Produktionsprozess der Samendarre kaum finden. Sie sind nicht nötig, das Technische Denkmal funktioniert so einfach und durchdacht wie schon vor hundert Jahren. Nur die 1999 im Keller eingebaute Holzvergaserheizung läuft computergesteuert und macht die Produktion umweltfreundlicher.
Mit kaum veränderten Maschinen - dem Elevator wurden vor zwei Jahren neue Metallbecher spendiert und er läuft jetzt auf Bändern - bewahrt man die alte Technologie und sichert den Wald der Zukunft. Nicht mehr nur Kiefern, sondern auch Douglasien, Fichten, Lärchen, Weiß- und Küstentannen werden heute in Annaburg bearbeitet. Groß ist das Einzugsgebiet nach wie vor, Zapfen kommen aus Sachsen-Anhalt, Brandenburg, dem nördlichen Sachsen, Niedersachsen und sogar aus Richtung Hamburg und Schleswig-Holstein.
Durch die Schlitze in den Trommelwänden fällt das Saatgut in die unterste Etage, wird in einem kühlen Raum aufgefangen und gelangt zur Entflügelungsmaschine. Hölzerne Nockenwellen reiben den Körnern die Flügelchen ab. Letzte Produktionsstation ist die Endreinigung. Aber ist der Samen wirklich rein und ausreichend keimfähig? Das wird in einem Labor überprüft. Dann wird das Saatgut verpackt und bis zur Auslieferung an Landesforsten, Baumschulen und Privatwaldbesitzer in Kühlzellen gelagert. Bei bis zu minus fünf Grad liegen die Tüten streng nach Baumart und Herkunft getrennt, manche halten sich 25 Jahre lang.
Nicht jedes Jahr ist gut
Einen Computer gibt es noch im Büro von Heike Borchardt, die auch Leiterin der Forstsaatgutberatungsstelle ist. Zu ihren Aufgaben gehört die jährliche Bedarfs- und Ernteprognose, sie schließt Verträge mit Waldbesitzern und berät sie, koordiniert den Einsatz der Zapfenpflücker. „Nicht jedes Jahr ist ein gutes Samenjahr, Kiefer und Lärche haben nur alle vier bis fünf Jahre einen guten Zapfenbehang, Douglasien aller fünf bis sieben Jahre, bei der Fichte können sogar zehn Jahre vergehen.“ Nur wenn es ausreichend Zapfen gibt, werden die Pflücker losgeschickt.
Im Computer hat Heike Borchardt festgehalten, woher eine Partie stammt und wohin sie geht, so wie im „Forstvermehrungsgutgesetz“ vorgeschrieben. Aber warum ist das so wichtig, warum kann ein Waldbesitzer nicht aussäen, was er will? „Um wirtschaftliche Nachteile auszuschließen“, sagt sie. Die Bäume sind dort, wo sie wachsen, an das Klima gewöhnt.
Wird nun Samen aus einem fremden Herkunftsgebiet ausgebracht, besteht die Gefahr krummer, schiefer Bäume, die nicht richtig wachsen und „wenig Holzwerte“ aufweisen. Einem Waldbesitzer aus der Nähe ging es so, nachdem er in Frankreich billiges Kiefersaatgut gekauft hatte. In der Samendarre Annaburg zahlt der Kunde rund 650 Euro pro Kilo reinen Kiefernsamen, für ein Kilogramm Douglasiensamen sogar bis 1.000 Euro.
Führungen durch die Samendarre sind nach Anmeldung möglich (Tel. 035385 31370).