1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Landkreis Wittenberg
  6. >
  7. Schlosskomplex in Pretzsch: Schlosskomplex in Pretzsch: Alte Mauern, neue Mieter

Schlosskomplex in Pretzsch Schlosskomplex in Pretzsch: Alte Mauern, neue Mieter

Von Stefanie Hommers 09.03.2018, 17:58
Die Sanierung sei eine ingenieurtechnisch höchst interessante Aufgabe, findet Architekt Jens Reimann.
Die Sanierung sei eine ingenieurtechnisch höchst interessante Aufgabe, findet Architekt Jens Reimann. Th. Klitzsch

Pretzsch - Jeden Dienstag gibt es eine Baubesprechung auf dem Schlossgelände in Pretzsch. Normalerweise. Derzeit herrscht indes Ruhe. Von einem Bauzaun umgeben und hinter Plastikplanen versteckt, wartet ein altes Fachwerkhaus auf wärmere Witterung und neues Leben.

Zu Zeiten von Christiane Eberhardine, der Gattin von August dem Starken, diente es als Wirtschaftshof. In den vergangenen Jahren stand es leer, der Zahn der Zeit und nicht zuletzt immer wieder das Hochwasser hatten an dem historischen Gebäude Schäden hinterlassen. Nun wird es umfassend saniert und einer neuen Nutzung zugeführt.

Architekt Jens Reimann ist trotz der Baupause vor Ort, um über das Vorhaben zu informieren, das dank Fördermittelzuwendungen nach dem letzten Hochwasser 2013 in Angriff genommen werden konnte und den Einwohnern der Region zugutekommen wird. Denn wenn die Bauarbeiten beendet sind, wird eine Arztpraxis in die Räume mit einer Nutzfläche von 200 Quadratmetern einziehen.

Die grundlegende Sanierung des historischen Wirtschaftshofes konnte dank genehmigter Fördermittel zur Beseitigung von Hochwasserschäden in Angriff genommen werden. Für den gesamten Schlosskomplex beträgt die Fördersumme 3,5 Millionen Euro; auf das Fachwerkhaus entfallen dabei 1,75 Millionen Euro. Weitere 1,7 Millionen fließen in die Sanierung des ursprünglich barocken Schlossparkes. Hier werden Drainagen gelegt, um eine Aufweichung des Bodens durch steigendes Grundwasser in Folge von Hochwasser zu verhindern. Darüber hinaus werden Wege erneuert, eine Straßenbeleuchtung installiert sowie Baumpflegemaßnahmen durchgeführt und Alleebäume ergänzt. Vergleichsweise bescheidene 50.000 Euro stehen zudem für die Sanierung eines beschädigten Sandsteinpfeilers zur Verfügung.

Das Fundament ist bereits gelegt, und das ist ganz wörtlich zu nehmen. Denn begonnen haben die Arbeiten bereits im vergangenen Jahr, und sie haben sichergestellt, dass das Haus wieder auf festem Boden steht. Zuvor war es definitiv auf Sand gebaut. Der unsichere Grund hatte zum Absacken des denkmalgeschützten Gebäudes geführt, ganze 30 Zentimeter Höhenunterschied gab es über die gesamte Länge.

Um den Missstand der schiefen Ebene auszugleichen, wurde ein neues Fundament gegossen, das auf insgesamt 120 Bohrpfählen ruht. Sie reichen bis zu 12 Metern in die Tiefe, „denn erst dort gibt es einen tragfähigen Boden“, unterstreicht Jens Reimann. Er ist bei der Salus GmbH im Bereich Immobilienmanagement und Bauplanung tätig.

Als gemeinnützige Betreibergesellschaft für sozialorientierte Einrichtungen des Landes Sachsen-Anhalt hat die Salus Gmbh auch das Kinder- und Jugendheim Schloss Pretzsch unter ihre Fittiche genommen und in den letzten Jahren eine Öffnung des Schlosses zum Ort Pretzsch und seinen Einwohnern vorangetrieben.

Davon zeugen das Schloss-Café ebenso wie zahlreiche kulturelle Angebote wie jüngst die Erich-Viehweger-Ausstellung - und auch gesundheitliche und sozialrechtliche Fragen, die als Kulturmanagerin die Pretzscher mit derlei Events ins Schloss lockt. Mit der entstehenden Arztpraxis geht die Salus Gmbh einen weiteren Schritt hin zu einer stärkeren Vernetzung zwischen Schloss und Ort, zwischen Bewahrung historischen Erbes und moderner Daseinsfürsorge.

Darüber freut sich nicht zuletzt Uwe Spies. Mit seiner Praxis in Pretzsch versorgt der Allgemeinmediziner derzeit rund 1.300 Patienten pro Quartal. Doch Spies will sich zur Ruhe setzen und ist heilfroh, dass die Nachfolge nun gesichert ist. Nadine Pipors, die derzeit ihre Facharztausbildung in Spies’ Praxis absolviert, wird den Kassensitz übernehmen – als Angestellte der Salus im neuen Medizinischen Versorgungszentrum auf dem Schlossgelände.

„Ohne diese Regelung“, ist sich Uwe Spies sicher, „wäre es unmöglich gewesen, einen Nachfolger zu finden“. Die meisten Ärzte scheuten das Risiko, sich auf Jahre zu verschulden und an einen Ort im ländlichen Raum zu binden.

Dass es auf diesem Weg gelingt, den historischen Standort zu bewahren und weiter zu erschließen, passt auch nach Ansicht von Janine Schöne wunderbar ins Konzept. Jens Reimann ist ebenfalls von der Lösung überzeugt; er spricht von einer klassischen „win-win-Situation“. Dies gelte umso mehr, ergänzt Uwe Spies, als auch sein Kollege Rolf-Jürgen Weiße im benachbarten Trebitz seine Praxis 2018 aufgeben werde – ein Nachfolger sei bislang nicht in Sicht.

Geplant ist, dass die neue Praxis im alten Fachwerkhaus Anfang 2019 ihre Pforten öffnet. Dass der sanierte Bau den Anforderungen an eine Arztpraxis genügt, dafür ist ebenfalls gesorgt, denn Spies und Pipors waren in die Planungen einbezogen. „Wir durften unsere Ideen einbringen“, unterstreicht Uwe Spies und findet: „Es ist ein schönes Konzept entstanden“.

Vom Altholz des ursprünglichen Fachwerks werden bei der Inbetriebnahme maximal noch 30 Prozent erhalten sein. Der Rest sei so in Mitleidenschaft gezogen, dass er nicht mehr zu retten sei, beschreibt Jens Reimann den Zustand der Balken.

Das frische Holz, das augenblicklich zu sehen ist, wird indes nicht bleiben, es ist lediglich eine Hilfskonstruktion, um das Gebäude temporär zu tragen. Die Sanierung sei eine „ingenieurtechnisch höchst interessante und spannende Aufgabe, allerdings auch recht aufwändig“, sagt Jens Reimann. Dass sie den Anforderungen des Denkmalschutzes genügt, ist gewährleistet.

Darüber hinaus findet auch der Naturschutz Berücksichtigung. Während die Arztpraxis das Erdgeschoss belegt, wird im Dachgeschoss Platz für ganz besondere Mieter geschaffen – hier entstehen Bruthöhlen und Überwinterungsplätze für Fledermäuse. (mz)

Komplett verhüllt ist das „Skelett“, das vom denkmalgeschützten Fachwerkhaus auf dem Pretzscher Schlossgelände steht und Baustelle ist.
Komplett verhüllt ist das „Skelett“, das vom denkmalgeschützten Fachwerkhaus auf dem Pretzscher Schlossgelände steht und Baustelle ist.
Th. Klitzsch