Schäferei in Listerfehrda Schäferei in Listerfehrda: Der Wolf ändert die Taktik

Listerfehrda - Grit Friedemann läuft über die Weidefläche und stößt einen Pfiff aus. „Ralf“ und „Betty“ erhöhen im Bruchteil einer Sekunde das Tempo und warten auf weitere Kommandos. Die 48-jährige Schäferin hebt den rechten Arm und ruft: „Geh vor!“
Der Altdeutsche Schäferhund „Ralf“ saust im rechten Bogen um die Herde und treibt die Schafe zusammen. Gefährtin „Betty“, ein Schafpudel, bekommt die linke Seite zugewiesen und ist ebenso eifrig bei der Sache. „Ich bin erstaunt“, sagt Ehemann Werner, der seine Frau bei der Arbeit beobachtet, „wie ruhig die Tiere nach dem Wolfsangriff sind.“
Umsichtiger Jäger
Das Ehepaar aus Süptitz bei Torgau bedankt sich bei Jäger Dietmar Meisner aus Jessen, der mit einem Schuss in die Luft Schlimmeres verhindert. Dieser habe laut Grit und Werner Friedemann die Wölfe in der Nacht beim Angriff auf die Herde (Schwarzköpfige Fleischschafe und Merino-Schafe) beobachtet und gedankenschnell gehandelt.
Dann geht alles ganz fix. Meisner informiert den Prettiner Hobbyschäfer Frank Seide über die soeben erfolgte Attacke, dieser wiederum reißt seine Berufskollegen aus dem Schlaf. „Es ist unser erster Wolfsangriff“, sagen beide unisono, die insgesamt 13 Lämmer verloren haben. Trotz Elektrozaun, trotz Unterwühlschutz. Die Wölfe, meint der 78-Jährige, haben die Herde in eine Ecke des Zauns getrieben und dann im Sprung zugeschlagen. Die Bilanz des Schreckens: Ein Lamm aufgefressen, den Rest totgebissen.
„Als Frank Seide uns informiert hat, sind wir im ersten Moment geschockt gewesen“, meint das Ehepaar, das nach der Schadensaufnahme seitens des Wolfskompetenzzentrums Iden (bei Stendal) sofort Nägel mit Köpfen macht und die Herde von Gentha auf eine Weidefläche bei Listerfehrda umsiedelt. „Dafür haben wir ungefähr fünf Stunden gebraucht. Das war schon harte Arbeit“, sagt Werner Friedemann, der seinen Schäferhut vor der Seydaland Vereinigte Agrarbetriebe zieht, die ihm im Expresstempo eine neue Fläche zur Verfügung stellte.
Beide betonen, dass der Wolfsangriff nicht wie der Blitz aus heiterem Himmel kommt. Sie wissen, dass sich die Raubtiere in der Glücksburger Heide aufhalten. Doch bisher sind sie immer davon ausgegangen, dass der Wolf ein Buddler ist - deshalb der Unterwühlschutz - und nicht über den Koppelzaun springt. Deshalb sei es nach der Attacke dringend notwendig gewesen, den Standort zu wechseln. Wenn der Wolf merkt, die neue Taktik führt zum Erfolg, schlägt er an der gleichen Stelle wieder zu.
Dies sieht Kreisjägermeister Klaus Seibicke ebenso. Der Wolf geht dahin, wo er leichte Beute findet und ist bekanntlich kein Grasfresser. Da diese Raubtiere nicht gejagt werden dürfen, verlieren sie langsam ihre natürliche Scheu. Die Menschen sollten sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass es sich nicht um wildernde Hunde handelt.
Lehrling wird Ehefrau
Trotz des Rückschlags bleiben Grit und Werner Friedemann der Schäferei treu. Beide haben den Beruf von der Pike auf gelernt, lieben ihre Tiere und den Aufenthalt an die frischen Luft. „Sie ist übrigens mein Lehrling gewesen“, verrät der 78-Jährige, der bereits 1949 den endgültigen Entschluss in Sachen Berufswahl gefasst hat. Als Kind habe er per pedes einen Schäfer von Döbeln nach Erfurt begleitet, von diesem Abenteuer spricht er heute noch.
Seine Frau erzählt, dass es zu DDR-Zeiten nicht einfach gewesen sei, eine Lehre als Schäferin zu machen. „Die wollten mich in den Kuhstall stecken“, sagt sie und schüttelt dabei den Kopf. Die Hütehunde „Betty“ und „Ralf“ liegen Frauchen zu Füßen. Nach 30 Minuten Arbeit haben sie sich eine Verschnaufpause verdient. (mz)