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Rätselhaftes um die Axiener Kirche Rätselhaftes um die Axiener Kirche: Pulver aus Kirchensteinen?

Von Detlef Mayer 29.12.2017, 18:12
Die Axiener Kirche, sie soll 1171 erbaut worden sein, steht an der Nahtstelle der beiden Ortsteile Axien und Kähnitzsch, dem so genannten Seegraben.
Die Axiener Kirche, sie soll 1171 erbaut worden sein, steht an der Nahtstelle der beiden Ortsteile Axien und Kähnitzsch, dem so genannten Seegraben. Mayer

Axien - Die romanische Dorfkirche von Axien, das bereits in Urkunden von 965 und 1004 Erwähnung findet, soll 1171 erbaut worden sein. Der nicht zuletzt wegen seines Turms imposante Backsteinkomplex liegt an der Nahtstelle der beiden früheren Ortsteile Axien und Kähnitzsch, die durch den so genannten See- graben getrennt waren.

„Axiens Kirche hat verschiedene Besonderheiten im Vergleich zu anderen Gotteshäusern der Region“, sagt Pfarrer Hans-Jörg Heinze. Er lebt seit 2003 in Axien unweit der Elbe und wohnt mit Ehefrau Almuth im Pfarrhaus, gleich neben der Kirche.

Kostbare Fresken

Zuerst denkt der 53-Jährige beim Thema Besonderheiten natürlich an die beeindruckenden Decken- und Wandbilder, die sich im Chor und der Apsis befinden. Die Fresken u.a. mit Christus, biblischen Gestalten und Symbolen sowie Darstellungen von Himmel und Hölle sollen um 1230/1235 entstanden sein.

1795 verschwanden sie unter einer Kalktünche, die sie schützte, bis man sie 1913 wieder freilegte und im Zuge der Restaurierung um die letzte Jahrtausendwende noch einmal aufwändig sicherte.

Der Pfarrer spricht vor allem dem Chorraum mit seiner Gewölbekuppel und den Bildwerken eine byzantinische Anmutung zu und nennt das Ganze „bemerkenswert für einen kleinen Ort wie Axien. Das ist eine richtig kostbare Malerei, von Künstlern ihrer Zeit angefertigt.“ Er bezeichnet das im 13. Jahrhundert Geschaffene als „sehr selten nördlich der Alpen“ und sieht darin durchaus Stoff für Spekulationen über die historische Bedeutung von Axien.

Noch ein Mysterium

Rätselhaftes ist auch außen an den Wänden der Kirche zu entdecken. Hans-Jörg Heinze deutet auf kreisrunde, gut daumennagelgroße Vertiefungen in den Ziegelsteinen des Sockelbereichs. Die flachen Löcher fallen einem nicht sofort auf, aber einmal darauf aufmerksam gemacht, erblickt man nach und nach viele Dutzend davon. Der Pfarrer sieht in ihnen Ausschabungen. An der Wand der Apsis, hinter der sich das Heiligste, der Altar, verbirgt, sind diese Vertiefungen am häufigsten festzustellen.

Eine wissenschaftliche Erklärung für das Phänomen ist ihm bis dato nicht bekannt. Doch der Geistliche hat dazu eine Vermutung: Seine These von den durch Menschenhand vorgenommenen Ausschabungen sieht er dadurch erhärtet, dass die Vertiefungen nur im leicht - also ohne Hilfsmittel wie Leitern oder Gerüste - zugänglichen Bereich der Wände zu finden sind. „Mit dem ausgeschabten Material wurden vielleicht irgendwelche Pülverchen angefertigt gegen Krankheiten von Mensch und Tier oder zum Schutz vor bösen Einflüssen“, treibt der 53-Jährige sein Gedankenspiel voran.

Da hat man sofort mittelalterliche Gestalten vor Augen, die - womöglich nachts (bei Vollmond?) - über den Axiener Kirchhof schleichen und eventuell mit Hartholzstöckchen Ziegelpulver aus den Steinen drehen und reiben. Das erbeutete - vermeintlich wundertätige - Pulver wandert dann womöglich ins Futter erkrankter Tiere oder sogar ins menschliche Essen. Oder man befüllt damit kleine Amulette, die zum Schutz gegen jedwedes Ungemach getragen werden. Der Fantasie sind da nahezu keine Grenzen gesetzt.

Hans-Jörg Heinze jedenfalls kennt kein Gotteshaus in der näheren Umgebung, das - wenn überhaupt - in solch einem Maße derartige Ausschabungen aufzuweisen hat. Weshalb sich für ihn die Frage stellt, ob Axiens Kirche einst vielleicht eine besondere Bedeutung zukam.

Ein Fluchtturm?

Wenig Zweifel hat der 53-Jährige, dass dem Axiener Kirchturm vor Jahrhunderten eine besondere Bedeutung zukam. Der misst heute „18 Meter bis zur Traufe, 27 Meter bis zum First und mit dem Dachreiter insgesamt etwa 35 Meter“, zählt der Pfarrer auf. Doch das war nicht immer so.

„In seiner frühen Geschichte diente er vermutlich als Fluchtturm“, stellt der Geistliche eine weitere These in den Raum. Eine Wehrkirche war das Gebäude wohl nicht, aber „bei Angriffen zog sich die Bevölkerung in den Turm zurück oder konnte das zumindest tun“.

Der jetzige Eingang in den mit dicken Wänden versehenen Turm ist nämlich nicht der originale. Der war kleiner, ließ sich, wie Aussparungen im Mauerwerk nahelegen, neben einer Tür mit Balken sichern und lag deutlich höher. Man konnte ihn also nur mit einer Leiter erreichen, die sich bei Überfällen leicht einziehen ließ.

Der Vorbau, der diesen Höhenunterschied mit einer hölzernen Treppe ausgleicht, ist wesentlich jüngeren Datums. Eine weitere Veränderung betrifft die Turmhöhe. Im 17. Jahrhundert, konkret um 1675, wurde er aufgestockt. Dabei zog der Glockenboden eine Etage höher.

Das lasse sich, wie Hans-Jörg Heinze aufmerksam macht, gut an den Schallluken für den Glockenklang erkennen. Die alten, tiefer liegenden nämlich wurden damals zugemauert und ein Stockwerk höher neue angelegt.

Große Glocke schweigt

Vier Glocken - eine große, zwei mittlere und eine kleine - hängen heute in dem Turm. „Nur drei davon dürfen aber geläutet werden, zur Zeit jedenfalls“, weist der Pfarrer auf eine bedauerliche Einschränkung hin. „Die große Glocke würde den Turm in zu starke Schwingungen versetzen“ und die Statik des Bauwerks gefährden, beschreibt er den Grund für deren Schweigen.

Um das zu ändern, müsste man den Glockenstuhl um 90 Grad drehen oder ein zusätzliches Gewicht einbauen, das die Schwingungen der großen Glocke ausgleicht, also praktisch gegenschwingt (Resonanzausgleich). Beide Varianten sind einigermaßen aufwändig, entsprechend teuer und deshalb Zukunftsmusik.

Die älteste Glocke, zu erkennen an der Zuckerhut-Form, stammt aus dem 14. oder 15. Jahrhundert. Die beiden jüngsten kamen bei der Kirchenrestaurierung 1999 und 2004 nach der Elbe-Jahrhundertflut von 2002 in den Axiener Turm. Beide sind übrigens spendenfinanziert. (mz)

Diese kreisrunden Vertiefungen außen an der Kirchenwand geben Rätsel auf. Wurde hier einst Material ausgeschabt, um sich damit zu heilen oder vor Krankheiten und bösen Einflüssen zu schützen?
Diese kreisrunden Vertiefungen außen an der Kirchenwand geben Rätsel auf. Wurde hier einst Material ausgeschabt, um sich damit zu heilen oder vor Krankheiten und bösen Einflüssen zu schützen?
D. Mayer
Pfarrer Hans-Jörg Heinze, seit 2003 in Axien, zeigt den ursprünglichen, erhöht liegenden Eingang zum Turm.
Pfarrer Hans-Jörg Heinze, seit 2003 in Axien, zeigt den ursprünglichen, erhöht liegenden Eingang zum Turm.
Mayer