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Polizeichef verlässt Wittenberg Polizeichef verlässt Wittenberg: Abgang in Friedenszeiten

Von Julius Jasper Topp und Alexander Baumbach 11.01.2019, 12:59
Marcus Benedix an seinem Schreibtisch im Wittenberger Revier.
Marcus Benedix an seinem Schreibtisch im Wittenberger Revier. Baumbach

Wittenberg - Am 15. Januar gibt Marcus Benedix die Leitung der Polizeistelle in Wittenberg an seine Nachfolgerin, Nadine Gößling ab. Er selbst wechselt nach Dessau. Der 43-Jährige war vor seinen sechseinhalb Jahren in Wittenberg Leiter der Dienststelle in Bitterfeld. Nun zieht er Bilanz. Das Gespräch führten Julius Jasper Topp und Alexander Baumbach.

Worauf blicken Sie zurück, wenn Sie in wenigen Tagen ihren Schreibtisch räumen?
Marcus Benedix: Das große Highlight war natürlich das Reformationsjubiläum 2017. Die Vorbereitungen dafür sind bereits drei bis vier Jahre vorher losgegangen. Da haben wir wirklich viel Zeit und Energie reingesteckt. Der Reformationssommer mit Weltausstellung in Wittenberg selbst, der lief dann relativ entspannt für uns. Aber das Gottesdienstwochen-ende und die hochrangigen Gäste waren richtige Highlights. Könige, Bundespräsidenten, Prominenz. Aber jetzt können wir das alles.

Damals war auch ein Besuch von Ex-US-Präsident Barack Obama im Gespräch.
Er ist dann aber doch nach Berlin. Für den Kirchentag wäre das wahrscheinlich ein noch größeres Highlight gewesen – wir waren nicht böse. Es hat gereicht, was wir hatten. Man muss sagen: Wittenberg ist eine 40 000-Einwohner-Stadt mit einer dementsprechenden Infrastruktur. Wir haben eine Planung für 200 000 Menschen gemacht. Das muss mit den hiesigen Straßen und Wegen, Krankenhäusern und der Elbe als Begrenzung erst einmal auf die Beine gestellt werden. Auf jeden Fall ist unsere Motorradstaffel jetzt in Sachen Staatsbesuch absolut fit. Wir sind protokollfähig.

Apropos fit – wie steht es denn um die Ausstattung Ihrer Polizisten? Hat sich hier in Wittenberg daran etwas getan?
Deutlich. Wir sind jetzt besser aufgestellt, insbesondere, was die Schutzausrüstung betrifft. Es gibt nun persönliche Schutzwesten für jeden Kollegen. Selbst ich habe eine, auch wenn ich sie selten brauche. Aber man weiß ja nie. Auch die Ausstattung der Streifenwagen – inzwischen sind wir allerdings so weit, dass ein Umtausch langsam aber ansteht, weil die sieben Tage die Woche 24 Stunden rollen. Was vom Ministerium schon angekündigt wurde, sind neue Dienstwaffen – unsere sind schon etwas älter. Auch die Ausstattung mit spezieller Munition ist da. Und unsere Maschinenpistolen sollen umgerüstet werden. Langsam aber stetig tritt also eine Besserung ein.

Und wie sieht es mit dem Personal aus?
Wir sind in einem Bereich, wo wir sagen: Es ist sehr knapp.

Im Oktober haben Sie noch von 50 Kollegen gesprochen, die Ihnen fehlen.
Jetzt ist das Tal der Tränen. Die großen Einstellungszahlen kommen 2020. Da geht es dann los.

Wie haben Sie die Situation um die Flüchtlingskrise um 2015 erlebt?
Es war wirklich in den ersten Monaten sehr sehr schwierig. Nachdem die Regularien klar waren und sich eine gewisse Routine eingestellt hatte und das Personal vom Landkreis und die großen Vermieter sich so langsam daran gewöhnt hatten, wie es zu laufen hat, wurde es ruhiger. Trotzdem kamen teilweise 150 bis 200 Asylbewerber an, die untergebracht werden mussten. Für uns war es wichtig, zusammen mit dem Landkreis danach zu schauen, dass die Unterbringung möglichst konfliktfrei geschah. Sprich: Wir haben Ethnien und Glaubensrichtungen berücksichtigt. Viele waren auch traumatisiert durch ihre Flucht oder die Zustände in der Heimat – allein deswegen gab es in den Flüchtlingsheimen in Coswig und Vockerode viele Auseinandersetzungen.

Wo haben Sie noch besondere Herausforderungen gesehen?
2013 war zwar nicht das erste Hochwasser, aber in vieler Hinsicht schon ein besonderes. Das Jahr stand bei uns im Zeichen des Katastrophenschutzes. Hinzu kam noch eine Übung in Ferropolis. Die war für uns extrem wichtig, weil danach eine extreme Professionalisierung eingetreten ist. Das hat die verschiedenen Behörden im Landkreis zusammengeschweißt.

Gibt es Einsätze, die Sie in 30 Jahren noch bewegen?
Ich bin gerade dabei, bei den einzelnen Bereichen meine Verabschiedungsrunden zu drehen. Oft reden wir über alte Zeiten – das Thema, was immer wieder aufkommt, ist unser „König“, Peter Fitzek. Der hat mich von Anfang an begleitet und ab 2013 bis 2014 ging es in die heiße Phase. Der „König“ ist bundesweit bekannt und dementsprechend war die Publicity. Hinzu kamen die vielen Phantasieanstalten, die er gegründete hatte, Banken, Geschäfte – das hat uns stark gefordert.

Ist Ihnen ein Stein im Gedächtnis geblieben, den Ihnen Herr Fitzek in den Weg gelegt hat?
In der Coswiger Straße wollten wir ein Klavier abtransportieren. Das war schon beschlagnahmt, wir sollten es bloß abholen. Wir haben vorsorglich ein paar Kräfte angefordert, darunter unsere technische Einsatzeinheit. Ich habe gesagt: „Da ist hundertprozentig irgendwas.“ Und so war es auch: Wir räumen die kleinere Barrikade an der Tür weg. Dahinter stand Herr Fitzek mit seinen Leuten und hatte einen großen Betonklotz mit Armierung in den Flur gegossen, so dass nur ein winziger Durchgang blieb, durch den der Flügel niemals gepasst hätte. Aber wir hatten die technische Einsatzeinheit dabei – die haben eine halbe Stunde gebraucht, dann war der Block weg.

Sie geben Ihren Posten in Wittenberg gewissermaßen in einer Friedenslage ab. Die Kriminalitätszahlen sind gering. Was wartet jetzt auf Ihre Nachfolgerin, Nadine Gößling?
Die erste Herausforderung ist es, die Zeit zu überbrücken, bis das Personal nachkommt. Das kostet auch die Vorgesetzten jeden Tag Kraft, weil Lücken zu stopfen sind und versucht werden muss, mit weniger Personal das gleiche zu erreichen beziehungsweise den Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten. In einigen Abteilungen haben wir zudem ein hohes Durchschnittsalter. Das hat Konsequenzen hinsichtlich der Krankheitsausfälle. Insgesamt fehlen uns zwischen 18 und 20 Prozent des Personals.

Und haben Sie schon über Ihre neue Stelle in Dessau hinausgedacht? Im klassischen Karriereweg folgt ja irgendwann der Sprung ins Ministerium.
Die Arbeit als Dienststellenleiter ist das, was mir am meisten Spaß macht. Weitere Pläne gibt es vorerst nicht. Und ich gehe jetzt mit einem lachenden und einem weinenden Auge, weil wir hier ein gutes Team waren und jeder immer voll dabei war und nicht auf den Feierabend geschaut hat. Das lachende Auge ist: Mein Arbeitsweg verkürzt sich auf wenige Minuten. Das ist viel Lebenszeit, die dadurch gewonnen wird. (mz)