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Landgericht  Landgericht : Ein Schlag ins Gesicht

Von Ilka Hillger 09.06.2017, 14:28

Dessau/Luko - Richterin Siegrun Baumgarten ist sich sicher, dass diese Hauptverhandlung schnell beendet sein wird. Nur die Berufung zu einer Geldstrafe sei es, sagt sie noch vor Prozessbeginn am Mittwochnachmittag vor dem Dessauer Landgericht.

Am Ende aber zieht sich die Sache mit dem Schlag ins Gesicht weit über zwei Stunden hin, und das liegt nicht am Fall, sondern an den Prozessbeteiligten.

Die Vorgeschichte führt nach Luko. Dort soll es am 9. Januar 2015 einen Raubüberfall auf einen Lukoer gegeben haben. Stefan S., der Bruder des Angegriffenen, erfährt davon, macht sich in Roßlau auf den Weg in sein Heimatdorf. Dort trifft er den Bruder des Angreifers, will mit ihm reden, der Angreifer kommt hinzu, hält ein Plastikrohr in der Hand.

Stefan S. fühlt sich bedroht und schlägt dem anderen ins Gesicht. Mit der Hand oder der Faust, das weiß der 27-Jährige nicht mehr, als er vor dem Landgericht noch einmal den Vorgang schildert.

Das Amtsgericht Zerbst verurteilte S. im vergangenen November wegen dieser Körperverletzung zu einer Geldstraße von 150 Tagessätzen á zwölf Euro. Stefan S. geht dagegen in Berufung, sein Anwalt fordert eine geringere Zahl der Tagessätze.

In Zerbst hatte das Gericht zudem einen Adhäsionsantrag des Geschädigten abgewiesen. Mit solchen Anträgen können Geschädigte während eines Strafverfahrens Schadensersatz oder Schmerzensgeld geltend machen und müssen dafür nicht vors Zivilgericht ziehen.

Die Abweisung resultiert wohl auch daraus, weil der Mann keinen Arzt aufsuchte – er hat keine Krankenversicherung. Eine Freundin dokumentierte mit Fotos die Verletzungen: blaue Flecke, eine Beule, eine Platzwunde auf dem Kopf.

Das sind eindeutig zu viele Verletzungen für einen Schlag ins Gesicht. Zumal S. mit einer Körpergröße von 1,54 Meter wohl doch nicht die Maße hat, um das mehr als 30 Zentimeter größere Opfer auf dem Kopf zu treffen.

Stefan S. bezweifelt deshalb auch, dass die Verletzungen aus seiner Tat herrühren. Vielmehr meint er, der Mann habe die Schäden davongetragen, als es beim vorangegangenen Überfall auf seinen Bruder auch zu einer Schlägerei gekommen sein soll.

„Vielleicht wäre es angebracht gewesen, die Straftat, die zuerst gewesen war, auch zuerst zu behandeln“, meint er. Doch die Ermittlungen zu diesem Fall wurden zunächst eingestellt und erst vor wenigen Wochen wieder aufgenommen.

Rechtsanwalt Jan-Robert Funck sieht trotzdem noch einmal die Stunde gekommen, um für seinen Nebenkläger erneut einen Adhäsionsantrag zu stellen. Er will Schmerzensgeld.

Richterin Baumgarten rät dazu, dies vor einem Zivilgericht zu verhandeln. Rechtsanwalt Funck geht darauf nicht ein. Nicht unter 750 Euro will er für seinen Mandanten auf diesem Weg erstreiten. Neben Hämatomen, Beule und Platzwunde habe dieser auch zwei Wochen Kopfschmerzen gehabt.

So ganz ohne die Zeugenaussage des Opfers will die Richterin freilich nicht über den Antrag entscheiden. Es bahnt sich ein neuer Verhandlungstermin an, denn das Opfer selbst müsste nun geladen werden und aussagen. Vorgeführt werden müsste der Lukoer dafür aus der Haft.

Richterin, Schöffen, Anwälte suchen nach einem Folgetermin. Anwalt Funck hat den Kalender im Auto, will ihn holen. „Na los!“, sagt da der Verteidiger von Stefan S.. Dann wird es laut und unschön im Landgericht. „Herr Kollege, so können Sie Ihre Knechte losschicken, aber ganz sicher nicht mich“, braust Funck auf.

Die Richterin findet das „alles nicht zielführend, aber wenn es der Wunsch der Nebenklage ist, auf Tour zu gehen“, dann solle dies so sein. Die Nebenklage schätzt diesen „leicht ironischen Unterton unannehmbar“ ein.

Aber auch mit Kalender findet sich nicht so schnell ein Termin. Nach Momenten der Ratlosigkeit schlägt die Richterin einen Vergleich vor. Der nunmehr dritten Unterbrechung dieser Verhandlung folgt das Feilschen wie auf einem Basar. 300 Euro Schmerzensgeld fordert die Nebenklage nun, 50 Euro will der Anwalt von Stefan S. geben.

Man nähert sich in 50er-Schritten an und trifft sich bei 150 Euro, die Stefan S. in Raten an den Geschädigten zahlen soll. Damit ist die Kuh des Adhäsionsantrags vom Eis. Nach fast zwei Stunden kann es wieder um die eigentliche Sache gehen.

In den Plädoyers hält der Anwalt von Stefan S. 30 Tagessätze á zwölf Euro als Geldstrafe für angemessen. Oberstaatsanwalt Brause, der nun erstmals auch etwas länger in dieser Verhandlung zu Wort kommen darf, fordert, die Berufung zu verwerfen, die Nebenklage schließt sich dem an.

Das Landgericht ändert das Urteil aus Zerbst. Stefan S. wird zu 80 Tagessätzen verurteilt und zahlt damit eine Geldstrafe von 960 Euro. (mz)