Kunst im Gartenreich Kunst im Gartenreich: Die Lady kommt ins Luisium

Dessau/Wörlitz - „Ich war schon etwas überrascht“, erinnert sich Ilka Sieler. Überrascht, als eines Tages das Telefon klingelt und Uwe Quilitzsch von der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz fragt, ob sie denn nicht Attitüden der Lady Hamilton nachstellen wolle - im Schloss Luisium bei einer Veranstaltung, die ins Rom der Goethezeit entführen wird. Die Expertin für historische Tänze und weithin bekannte Schneiderin von Gewändern des 18. Jahrhunderts zögert nur kurz und sagt zu.
Vorfreude ist groß
Inzwischen sind die ersten Absprachen und Proben bereits Geschichte. Ilka Sieler, die im Leipziger Kolonnadenviertel das Atelier „Lieblingsstücke“ betreibt, freut sich schon auf ihre Auftritte. Sie feilt an der Dramaturgie, am Ausdruck und weiß, dass besonders pantomimische Darstellungen viel Energie erfordern. „Jetzt lasse ich mir noch die Haare wachsen und versuche, schön beweglich zu bleiben“, sagt die 44-Jährige mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht.
Die Kleidung für ihren Auftritt fertigt sie selbst an. „Ein einfaches Kleid im Stil der Zeit.“ Und natürlich darf der Schal nicht fehlen, den Lady Hamilton zu ihrer schlichten weißen Tunika trägt, als sie nach antiken Vorbildern, die Ausgrabungen von Herculaneum und Pompeji bringen sie ans Tageslicht, ihre „lebenden Bilder“ präsentiert. Dafür wird sie gefeiert oder belächelt, dafür liegen ihr die Herzen der Zuschauer zu Füßen oder trifft sie deren beißender Spott.
Die Präsentation der Attitüden im Schloss Luisium gehört zum Rahmenprogramm der Ausstellung „Lady Hamilton - Eros und Attitüde“. Vom 5. Juni bis 18. September ist sie im Schloss Wörlitz zu sehen. In einer Mitteilung der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz heißt es dazu: „Emma Lady Hamilton war eine der berühmtesten und umstrittensten Frauengestalten der Goethezeit. Ihre Bedeutung für Kunst, Literatur und Antikenrezeption der deutschen Klassik um 1800 ist Thema der Ausstellung im Schloss Wörlitz. Emmas Aufstieg von der Tochter eines englischen Hufschmieds zur Frau des 35 Jahre älteren britischen Botschafters in Neapel, Sir William Hamilton, die Freizügigkeit ihrer Attitüden und ihr Liebesverhältnis mit Admiral Horatio Nelson galten in Europa unter den Zeitgenossen als Skandal. Berühmt wurden die Abendgesellschaften der Hamiltons, bei denen die schöne Emma entweder als Sängerin oder, griechisch gewandet, in so genannten Attitüden, gemimten Präsentationen weiblicher Rollen aus der antiken Mythologie, auftrat. Auch im Fürstentum Anhalt-Dessau war sie keine Unbekannte. Im Auftrag des Fürsten und späteren Herzogs Franz von Anhalt-Dessau war der Architekt Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff 1790 nach Neapel geschickt worden, um frische Eindrücke für die in Wörlitz geplante Insel Stein zu sammeln. Entstanden ist eine verkleinerte Nachbildung der Golfküste, zu deren Höhepunkten seither ein künstlicher Vulkan und die klassizistisch ausgestattete Villa Hamilton zählen. Letztere ist eine Nachbildung der Villa Emma am Posillipo, wo sie ihre berühmten Attitüden aufführte. Zugleich ist sie ein Symbol für die Freundschaft zwischen dem Fürsten Franz und dem britischen Diplomaten. Die Ausstellung wird darauf zurückkommen und auch an die Reise der Fürstin Louise 1796 nach Neapel erinnern. Sie besuchte den britischen Botschafter Sir William Hamilton in dessen Residenz, traf aber nicht die Lady an. Stattdessen bewunderte sie zahlreiche ihrer Porträts. Diese und weitere Exponate aus öffentlichen und privaten Sammlungen werden erstmals in Deutschland zu sehen sein. Bereichert wird die Ausstellung durch zeitgenössische Werke des Hallenser Künstlerehepaares Grita und Moritz Götze sowie des Berliner Aktionskünstlers Kain Karawahn.“
Kreativ und voller Ideen
Dass Ilka Sieler genau die Richtige ist, um heute ein Gefühl für die Darstellungen der Lady zu vermitteln, bekräftigt Sven Schreiber. „Sie kniet sich rein, ist kreativ und voller Ideen“, sagt der 49-jährige Musiker, der Lehrer für Violoncello in Leipzig ist. Besonders ihre Liebe zum 18. Jahrhundert, ihr Wissen über diese Zeit und ihre Detailversessenheit überzeugen ihn.
Und auch er will seinen Part zu einer gelungenen Veranstaltung beitragen. Mit dem Projekt-Ensemble „Concert de Soleil“, das ins Luisium als Trio in der Kammermusikvariante (zwei Geigen, ein Cello) kommt, wird er Ilka Sieler bei ihrem Auftritt begleiten. „Wir spielen Stücke von Luigi Boccherini, Joseph Haydn und Giovanni Battista Pergolesi. Musik, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts populär ist“, sagt er.
Der „Sonnenball“, ein Barockfest, bei dem historische Kleidung Pflicht ist und das über Jahre hinweg im Schloss Nischwitz bei Wurzen und zuletzt auf Schloss Burgscheidungen nahe Laucha begeistert, bringt Schreiber und Sieler um die Jahrtausendwende zusammen. Er tritt mit dem Ensemble „Concert de Soleil“ dort auf, sie trainiert das „Sonnenballett“, wird bald Ballettmeisterin. Tänze des Barock müssen damals wiederentdeckt und einstudiert werden. Erste diesbezügliche Erfahrungen hat sie zuvor an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig gesammelt.
Dann gilt es, die entsprechende originale Kleidung zu finden. Das ist nicht einfach, so beschließt Ilka Sieler, mit dem Schneidern zu beginnen. 2009 macht sich die Frau, die Germanistik, Kommunikations- und Medienwissenschaft studiert hat und im Marketing tätig war, selbständig. Mit Enthusiasmus betreibt sie seither das Atelier „Lieblingsstücke“, leben kann sie davon nicht. Und so jobbt sie noch nebenbei bei einigen Leipziger Firmen. Doch ihre Liebe gilt weiterhin dem Tanz und dem Schneidern. Und wenn es um historische Kleidung geht, dann hat die Nähmaschine zumeist Pause. „Ich mache alles mit der Hand, wenn der Kunde es wünscht. Bei Verzierungen bestehe ich darauf“, erzählt die Autodidaktin, die sich etliche Techniken bei Experten ihrer Zunft abgeschaut hat. In diesen Tagen ist gerade eine Schnürbrust (später wird dafür der Begriff Korsett verwendet) fertig geworden, ein stilbildendes Element der Damengarderobe des 18. Jahrhunderts. Ihr letztes Kleid, das sie für sich selbst angefertigt hat, war eine Anglaise. Ein Kleid im englischen Stil von 1785.
Freunden des Gartenreichs dürfte Ilka Sieler - vor ihrer Heirat Ilka Trotte - indes keine gänzlich Unbekannte sein. Erinnert sei an ihren Auftritt im Jahr 2012 anlässlich der Ausstellung „Dutch Design“ in Oranienbaum. In einem Kleid, wie es Marie Leopoldine zu Lippe-Detmold, eine geborene Prinzessin von Anhalt-Dessau und Schwester von Fürst Franz trug, tritt sie dort auf. Die Vorlage hat ein Gemälde von Reinhold Lisiewsky geliefert. An der Seite ihr heute zwölfjähriger Sohn Till, natürlich ebenso historisch gewandet. Im Jahr darauf bringt sie in Samt und Seide Interessierten die Sprache der Fächer näher, als es heißt „Frischer Wind in Oranienbaum“.
Auch in diesem Jahr greift die Kulturstiftung - neben der Präsentation der Attitüden - auf das Können der Leipzigerin zurück. So wird am 24. September vorgeführt und erklärt, was Louise von Anhalt-Dessau trug. Zwei Wochen zuvor, am 9. September, geht es im Schloss Mosigkau um die Geheimnisse aus der Garderobenkammer der Prinzessin Anna Wilhelmine von Anhalt-Dessau. „Die Zusammenarbeit mit der Kulturstiftung klappt hervorragend“, sagt Sieler.
Infos aus der Götterwelt
Uwe Quilitzsch und Kristina Schlansky geben das Kompliment gern zurück. Sie werden im Schloss Luisium kurzweilige und erklärende Texte zu Sielers Auftritten vortragen. Schließlich beschäftigt sich in diesen Tagen nicht jeder mit der Götterwelt der Antike und kennt die Bedeutung der „lebenden Bilder“.
Auch lassen die beiden Wissenschaftler einige Prominente des 18. Jahrhunderts zu Wort kommen - Johann Wolfgang Goethe etwa, auch Wilhelm Tischbein wird zitiert. „Und natürlich darf der Archäologe Aloys Hirt im Luisium, dem Refugium der Fürstin Louise, nicht fehlen“, sagt Uwe Quilitzsch. Schließlich habe der die Fürstin durch Rom geführt und bei ihr mehr als nur freundschaftliche Gefühle hervorgerufen. Über Emma Lady Hamilton schreibt Hirt voller Begeisterung: „Gross und schlank von Gestalt, und mit einem Gesicht, das nahe an das Ideal der Antike grenzt, besitzt diese Frau das seltene Talent der Pantomieme in einem nie gesehenen Grade der Vollkommenheit; jede Stellung, jede Nüance des Ausdrucks gelingt ihr bis zur Täuschung.“
Lady Hamiltons Attitüden sind am 18. Juni und 17. September (19 Uhr) im Schloss Luisium zu sehen. Eine Anmeldung ist aufgrund der Platzkapazität unter 0340/21 83 70 erforderlich. Die Teilnahme kostet 16 Euro pro Person. (mz)
