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Karneval im Landkreis Wittenberg Karneval im Landkreis Wittenberg: Narren übernehmen das Kommando

Von Andreas Benedix 11.11.2016, 09:11
Das Kinderprinzenpaar erhält die „Insignien der Macht“.
Das Kinderprinzenpaar erhält die „Insignien der Macht“. Benedix

Wittenberg - „Pretzsch Alaaf“ hallt es 11.11 Uhr vom Rathaus her lautstark durch die Straßen und Gassen der kleinen Ortschaft am Ufer der Elbe. Kurz zuvor hatte Torsten Seelig, Präsident des Pretzscher Karnevalsvereins (PKV), die Sekunden heruntergezählt und somit die Erwartungen des Elferrates, der Funkengarde sowie der zahlreich erschienenen Besucher auf die Eröffnung der Faschingssaison noch gesteigert.

Mit launigen Worten kommt Seelig alsbald auf den Schwerpunkt der diesjährigen Session zu sprechen. Der PKV feiert sein 70-jähriges Bestehen. „Eigentlich heißt das, dass wir alle schon 70 sind und seit fünf Jahren Rente bekommen müssten“, verkündet der Präsident. Sein besonderer Dank gilt den Musikern aus Prag, die über all die Jahre hinweg die Höhepunkte des Pretzscher Karnevals bereichert haben. Stimmungsmusik ertönt.

Alle schunkeln kräftig mit. Dabei gerät sogar, laut knarrend, die Tribüne auf Rädern in Bewegung. Der Elferrat auf ihr erhält dadurch noch mehr Schwung.
Nachdem Benjamin I. und Anna I. als Kinderprinzenpaar die Zeichen ihres hohen Amtes entgegen genommen haben, betritt Ortsbürgermeisterin Diana Skowronek mit grün-weißen Vereinsschal der Kälte trotzend die Bühne.

„Ich hoffe, die Kasse ist gut gefüllt“, blickt Torsten Seelig auf die „Machtübernahme“ durch die Närrinnen und Narren. Bedeutungsvoll zeigt Skowronek auf die Stadtkasse. Auf dem symbolischen Stadtsäckel prangt ein ernüchternder Spruch: „Wir sind hier nicht bei ,Wünsch dir was’, sondern bei ,So ist es!’“. Zuvor hatte sie verraten, dass sich lediglich vier Euro und 89 Cent im Säckel befinden. „Ich werde etwas drauflegen, damit wenigstens 11 Euro und 11 Cent zusammenkommen“, verspricht die Bürgermeisterin.

Seines hohen Amtes waltend, stellt der Präsident allen Anwesenden die Frage nach einer Anwartschaft auf die Rolle des Prinzenpaares. - Schweigen im Publikum. Plötzlich löst sich aus den Umstehenden ein merkwürdiges Paar. Auf Rollator und Krückstock gestützt, betreten zwei als steinalte Leute verkleidete Gestalten die Szene. Ein Raunen geht durch die fröhliche Gästeschar. So richtig anfreunden kann sich mit diesen künftigen Repräsentanten des PKV keiner. „Wenn ihr uns nicht wollt, dann gehen wir halt jetzt“, mault der gebrechliche Greis.

Echte Faschingslaune kommt mit den jüngsten Funkenmariechen auf, bevor das echte Prinzenpaar der Bühne entgegenschreitet. Prächtig gekleidet nehmen ihre Hoheiten Carolin I., alias Carolin Niemann, sowie Rocco I., alias Rocco Skowronek, den golden schimmernden Rathausschlüssel aus den Händen der Ortsbürgermeisterin entgegen. Jubel und Applaus begleitet das Zeremoniell. Von allen Seiten stürmen Gratulanten heran, nachdem das Paar mit einem Tanz seine Fähigkeiten unter Beweis gestellt hat. Vor dem als Zollbeamten beschäftigten Rocco und der als Physiotherapeutin tätigen Carolin stehen tolle Tage, bevor der Prinz am 28. Februar 2017 traditionsgemäß zu Grabe getragen wird.

Wittenberg

Mit dem großen Schlüssel gaben sich die Wittenberger Karnevalisten am Freitag im Wittenberger Rathaus zufrieden. Punkt 11.11 Uhr übernahmen Präsident Michael Fredersdorf und das Prinzenpaar Lothar I. und Gabriele I. (von links) die Regentschaft. Die Funktionsfähigkeit der Verwaltung und der Inhalt der Kasse liegen fortan in ihrer Gewalt. „Wir haben in der Regel immer mehr zurückgegeben, als wir bekommen haben“, so Fredersdorf. Wittenbergs Oberbürgermeister Torsten Zugehör (parteilos) versprach, den Schlüssel für die kommende Saison erstmals zu füllen, „damit er noch schwerer wird“.

Gräfenhainichen

Die Heide ist wieder fest in Narrenhand. Punkt 11.11 Uhr forderten die Jecken des Gräfenhainichener Carneval Clubs (GCC) ihr Recht ein. Macht in Gräfenhainichen: Nicht mehr und auch nicht weniger beanspruchen sie für sich. Auf dem Wasserturm hatten sie bereits Stunden vorher die Deutschland- gegen die Hänicher Flagge getauscht. „Hänichen Ojeh. Was für ein Zirkus.“

Die Narren des GCC wollen es krachen lassen in ihrer 43. Session. Sie werden in der Manege stehen, jonglieren, tanzen, jubilieren. Deshalb das Motto, dessen Doppeldeutigkeit alles andere als Zufall ist. Das Leben in der Heide wird auf die Schippe genommen. Das steht fest. „Macht ruhig. Nur lasst das Rathaus stehen“, hielt Bürgermeister Enrico Schilling (CDU) der bunten Schar entgegen. Der Amtmann hat nichts gegen den Klamauk. Er spannt sich mit vor den Karren, reimt und scherzt. Den Schlüssel fürs Rathaus wird er dennoch los. Die Narren sind die wahren Regenten Gräfenhainichens.

Patrick I. geleitet Carolin I. von der Kutsche auf die Bühne. Kurzes Hallo und schnell noch ordentlich gewinkt. Dann stemmt der Prinz den goldenen Schlüssel in die Höhe. Die Jecken sind obenauf. Sie toben. „Hänichen Ojeh.“ Die Menge jubelt, der Rathauschef feiert fleißig mit. Das Karnevalvirus hat die Leute angesteckt. „Ich trage es im Blut“, tönt Patrick I. aus der Bütt. Er kann es sagen. „Meine Eltern haben sich vor 20 Jahren zum Narren gemacht.“ Jetzt ist die Zeit dafür, dass der Nachwuchs selbst zum großen Wurf ansetzt. Der Prinzengardist wird Prinz. Die Tänzerin der Funkengarde wird Prinzessin. Fast ist es wie im Märchen. „Es hat gefunkt bei ihnen“, stellt Michael Walther fest.
Noch ist er ganz normales Elferratsmitglied. Doch bald wird er die Robe tauschen. Walther ist dann Claus Feldstein, die Diva des GCC-TV. Er wird präsentieren, was Vor-Ort-Reporter Reiner Schund aus dem Dunkel ins Licht zu holen verspricht. Stoff findet sich immer und überall.

Steilvorlagen kommen in steter Regelmäßigkeit aus dem Rathaus. Das hat Ex-Bürgermeister Harry Rußbült (Linke) erlebt. Das ging Enrico Schilling in seinem ersten Jahr als Rathauschef nicht anders. „Vorbei ist es mit der Alkohol-Test-Mess-Strecke. Nur stand sie nicht zu diesem Zwecke.“ Gräfenhainichen hatte den Vogel abgeschossen und einen Radweg mitten durchs Verkehrsschild gebaut. Amtlich war alles korrekt. „Radfahrer absteigen.“ Sicherheit sollte sein. Das kleine Hinweisschild dürfen die Jecken behalten.
Die Mitglieder des GCC jubilieren. Sie schunkeln und tanzen. Auch am Sonnabend dieses Wochenendes sind sie in Feierlaune. Die erste und einzige Gala vor dem Jahreswechsel steht an. Ihren echten Höhepunkt erlebt die 43. Session im Februar. Bis dahin gehen die Jecken mit offenen Augen durch ihr Hänichen.

Am 11.11. hat die Jugend übrigens einen Frühstart hingelegt. Die Kutsche mit Patrick I. und Carolin I. musste dann tatsächlich warten. „Zu zeitig?“ Natürlich. Erst um 11.11 Uhr beginnt das närrische Treiben, auch wenn die Fahne auf dem Wasserturm schon lange vorher anderes vermuten ließ. (mz)