Johanna Dannenberg in Nicaragua Johanna Dannenberg in Nicaragua: Lernziel: glücklich sein

Mühlanger - Ach, du bist wieder da? So begann fast jedes Gespräch für mich, nachdem ich Mitte Mai nach über neun Monaten wieder aus Nicaragua zurückgekommen war. So rhetorisch diese Frage auch klingt, da ich ja offensichtlich vor meinem Gegenüber stand, so schwierig war sie für mich persönlich zu beantworten. Natürlich stand ich körperlich dort, aber ich selbst, mit meinen Gedanken, meinem Gefühl und meinem Sinn, war irgendwo ganz woanders.
Ich hätte nicht gedacht, dass es für mich nicht nur verrückt sein würde, auf einmal wieder so viele weiße Leute zu sehen, kurze Sachen tragen zu können und wieder satt zu sein nach dem Essen, sondern dass ich mich einfach nur unwohl fühlte, obwohl ich doch eigentlich wieder zu Hause war. Ich fühlte mich fremd. Als ob ich nicht aus dieser Welt kam.
Johanna Dannenberg aus Mühlanger hat mit 19 Jahren nach dem Abitur in Nicaragua ein freiwilliges soziales Jahr angetreten. In der MZ berichtete sie in mehreren Folgen über über ihre Erwartungen und ihre Erlbenisse, über ihr Leben in der Großfamilie, über ihren Einsatz in der Kinderbibliothek Ocotal im Norden des Landes, über ihre Reisen durch das Land.
Johanna würde sich über jegliche Art von Anregungen, Gedanken und Fragen zu ihren Berichten und Erfahrungen mit dem Freiwilligendienst in Nicaragua, freuen, die per E-Mail gesendet werden: [email protected]
Unser Haus kam mir vor wie ein Hotel, Wasserhahn und Dusche verachtete ich anfangs, weil es mir für den Sommer überflüssig erschien, dass man damit warmes Wasser bekommen konnte. Der volle Kühlschrank, wo wegen der Unübersichtlichkeit schon einiges schlecht war, machte mich unbeschreiblich unglücklich. Generell war mir einfach alles zu viel - zu viel Schnickschnack, zu viel, was ich auf einmal wieder hatte und doch gar nicht mehr wollte.
Menschlichkeit vermisst
Was mich eigentlich noch viel schlimmer traf, war, dass mir etwas fehlte: die Menschlichkeit. In meinen ersten Tagen sollte mir das wohl ganz besonders bewusst werden durch Begegnungen mit Leuten, die vor mir wegfuhren, weil sie gerade keine Zeit hatten, mit einer Verkäuferin, die ich nervös machte, weil ich mir in Ruhe einen Prospekt ansah, der neben ihrer Kasse lag, oder mit Menschen, die meinten, meine Situation gut zu verstehen, weil es ja dort so schlimm gewesen sein muss und ich ja jetzt nur froh sein müsste, wieder hier zu sein.
Allerdings habe ich mich auch über jede nette Begegnung auf einmal viel mehr als früher gefreut. Umso mehr, wenn die Leute Interesse an dem hatten, was ich erlebt und gelernt habe.
Wie war es denn eigentlich in …? - Nicaragua. Es war sehr intensiv - war die Antwort, die es für mich am meisten zu treffen schien. Dabei betonte ich weder die Höhen noch die Tiefen meiner neun Monate in Mittelamerika. Ich habe meist versucht zu erklären, was das größte Geschenk dieser Zeit für mich war und ist.
Anfangs war ich tief beeindruckt, dass die Menschen dort trotz ihrer Lebensumstände, oder gerade deshalb (?) so glücklich schienen. Davor hatte ich von Anfang an großen Respekt und bewunderte die Menschen. An meinem ersten Tag fasste ich wohl meinen wichtigsten Beschluss: Das will ich von ihnen lernen.
Wertvolles aufgenommen
Das macht alles nun so wertvoll für mich, neben all den unbegreiflichen Naturspektakeln, neben den unterschiedlichsten Persönlichkeiten, die alle auf ihre Art und Weise liebenswert sind, neben Freunden, die zu meiner Nica-Familie geworden sind und mir in ihrer Armut das für mich Größte geben konnten: Verständnis für ihre Lebensweise, Schutz und Geborgenheit genauso wie die verrücktesten Späße und den Humor über alle Missgeschicke (was man hier vielleicht als Pech ansieht) zu lachen, neben dem Genuss von richtigen (!) Mangos, Bananen, Papayas, Melonen, Ananas, Mamones.
Denn ich habe gelernt, wie es ist, glücklich zu sein, ohne etwas. Ohne ersichtlichen Grund, oft sogar trotz Hunger, fehlender Unterstützung in meinem Projekt und dem permanenten machohaften Angequatsche auf der Straße, war ich in meinen letzten Monaten sehr glücklich. Es war einfach ein Gefühl ganz tief in mir.
Was bleibt? Meine Wahrnehmung hat sich in vielen Bereichen verändert. Ich weiß einiges mehr zu schätzen. Momente kann ich oft noch mehr mit allen Sinnen wahrnehmen, intensiver erleben und genießen.
Neben Sehnsucht und Fernweh wird wohl auch immer das Bestreben am Teilen meines Erfahrungsschatzes bleiben und der Wunsch, mich weiter zu engagieren in der Welt. „Bei den Kindern muss angefangen werden, wenn es im Staate besser werden soll.“ Mir ist erst bei meiner Tätigkeit in Nicaragua richtig klar geworden, in welchem Ausmaß Luther damit Recht hat.
Bildung ist der Schlüssel zum Leben und wer diesen besitzt, kann sich Wege und Chancen eröffnen, von denen andere ihr ganzes Leben lang träumen. Ich glaube, das hat wesentlich dazu beigetragen, dass ich mich gegen mein duales Studium und für Grundschullehramt entschieden habe. Ich freue mich schon sehr darauf.
Freund kommt nach Pratau
Genauso freut sich mein bester Freund aus Nicaragua, dass er ab September ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) in Pratau anfangen und in diesem Jahr bei uns ein Zuhause finden darf. Jedes Mal, wenn er mir sagt: „Weißt du wie cool es wäre, wenn ich dann richtig Deutsch sprechen könnte oder einen deutschen Abschluss hätte? Dann hätte ich solche Chancen, aus meinem Leben etwas zu machen!“, freute ich mich auf der einen Seite mit ihm. Auf der anderen wünschte ich mir, diesen Satz auch nur von einem Deutschen mit dieser Euphorie zu hören.
Genau deshalb ist es mir besonders wichtig geworden, Erfahrungen auszutauschen.
(mz)
