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Diskussionsveranstaltung In Wittenberg findet eine besondere Sprechstunde statt

Kooperationspartner setzen interessante Veranstaltungsreihe fort. Thema ist diesmal der assistierte Suizid.

Von Corinna Nitz 21.01.2022, 16:59
Bereiten sich auf eine besondere Sprechstunde vor: Marianne Schröter, Paul Martin (Mitte) und Dirk Rademacher, hier in einem Seminarraum der Stiftung Leucorea in Wittenberg. Im Hintergrund zu sehen ist  das Gemälde „Tischgespräch mit Luther“ des Hallenser Künstlers Uwe Pfeifer.
Bereiten sich auf eine besondere Sprechstunde vor: Marianne Schröter, Paul Martin (Mitte) und Dirk Rademacher, hier in einem Seminarraum der Stiftung Leucorea in Wittenberg. Im Hintergrund zu sehen ist das Gemälde „Tischgespräch mit Luther“ des Hallenser Künstlers Uwe Pfeifer. Foto: Thomas Klitzsch

Wittenberg/MZ - „Assistierter Suizid - Mein Leben, meine Entscheidung...“ ist das Thema der nächsten „Sprechstunde“, zu der am 9. Februar die Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt, die Stiftung Leucorea und die Diakonie Akademie Gesundheit und Soziales (DAGS) in Wittenberg einladen. Hintergrund ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: Das hatte 2020 festgestellt, das Verbot der, wie es dort hieß, geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung sei verfassungswidrig. Betont wurde das Recht auf selbstbestimmtes Sterben, es dürfe auch Beihilfe in Anspruch genommen werden.

Komplexes Thema

Zwei Wochen vor Sprechstundenbeginn sitzen an diesem Donnerstag in einem Seminarraum der Leucorea deren Geschäftsführerin Marianne Schröter, DAGS-Leiter Dirk Rademacher und der Akademiestudienleiter Paul Martin. Schnell wird im Gespräch die Komplexität des Themas deutlich und auch, dass es trotz der Entscheidung der Richter viele offene Fragen gibt. „Man muss“, bringt es Schröter auf den Punkt, „zwischen dem Rechtsrahmen und der Rechtspraxis unterscheiden.“ Da ist die Rede von offenen Flanken und noch nicht klar definierten Ausführungsbestimmungen. Rademacher spricht beim assistierten Suizid von einem Beziehungsgeschehen, was ja klar ist, wenn ein Mensch die Hilfe eines anderen beansprucht, um seinem Leben ein Ende zu setzen. Dass das Urteil von Karlsruhe tiefgreifend ist, betont Martin und fragt zugleich: „Wie gehen wir als Gesellschaft mit Leid um?“ Auch: Wie gehen Einrichtungen mit dem Thema um, zumal diakonische, die ein ganz anderes Selbstverständnis haben? Ist das Urteil mit dem christlichen Wertekanon vereinbar? Eine interessante Frage zielt auf jene ab, die da künftig um Hilfe gebeten werden: Was ist mit deren Persönlichkeitsrechten? Und gibt es nun einen Rechtsanspruch, begleitet zu werden? Welche Kontrollinstanzen wird es geben? Was ist, wenn ein Teenager wegen eines überwältigenden Liebeskummers keinen Sinn mehr in seinem Leben sieht?

Verschiedene Perspektiven

Die Liste der Fragen ließe sich verlängern und auf der Hand liegt, dass, wenn es um den mit fremder Hilfe herbeigeführten eigenen Tod geht, viele Bereiche des Lebens berührt werden und es viele Perspektiven gibt. Unter anderem auch die der Angehörigen und Freunde: Was bedeutet für sie eine „selbstbestimmte“ Entscheidung zum Suizid? Bei allem werde es wichtig sein, nicht um Falldebatten zu kreisen, sondern, so Rademacher, das Anliegen von Menschen ernst zu nehmen.

Zur „Sprechstunde“ am 9. Februar wollen sich die Veranstalter mit ihren Gästen dem Thema aus vielen Richtungen nähern. Dazu eingeladen sind: Michael Germann, Professor an der Juristischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Richter des Landesverfassungsgerichts. Bettina Kühn, Palliativmedizinerin und Oberärztin am Evangelischen Krankenhaus Paul Gerhardt Stift in Wittenberg. Theresa Pabst-Clemens, leitende Krankenhausseelsorgerin und Bistumsbeauftragte für katholische Krankenhausseelsorge. Werner Weinholt, evangelischer Pastor und Leitender Theologe der Johannesstift Diakonie Berlin, zu der auch das Wittenberger Krankenhaus gehört. Nach Auskunft von Marianne Schröter wird Germann einen gut 20-minütigen Impuls geben, es folgen kurze Repliken der weiteren Teilnehmer und eine Podiumsrunde, bevor die Besucher dieser „Sprechstunde“ selbst sich einbringen können.

Übrigens: Beim Nachdenken über das Thema kann man durchaus auch zur Frage von Freiheit und Verantwortung gelangen. Und die, so heißt es im Vorgespräch in der Leucorea, stellt sich auch jetzt gerade in der Corona-Debatte. In dieser Hinsicht, daran erinnert Schröter, waren sie im September ihrer Zeit voraus: Damals ging es im Rahmen der „Sprechstunde“ unter dem Motto „Eine Verpflichtung?“ nämlich um Impfen zwischen Selbstbestimmung und Verantwortung.

Was wäre tragfähig?

Um aber noch einmal auf das Thema der nächsten „Sprechstunde“ zu kommen: Die Gerichtsentscheidung zum assistierten Suizid in Deutschland beschäftigt zahlreiche Einrichtungen und Institutionen, unter anderem die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina. In einem Diskussionspapier plädiert man für eine „breite gesellschaftliche Debatte“.

Ähnlich formuliert es beim MZ-Termin Dirk Rademacher von der DAGS: Es sei wichtig, eine Position zu finden, „die gesamtgesellschaftlich tragfähig wäre“.

Anmeldung erforderlich

Die Reihe „Sprechstunde“ besteht bereits seit etlichen Jahren. Im Diskurs zwischen Medizin, Ethik und Theologie - und demnächst mit der Rechtswissenschaft - werden Fragen um Gesundheit und Krankheit, Leben und Sterben und die Verantwortung für sich und andere diskutiert. In der nächsten Sprechstunde am 9. Februar geht es um den assistierten Suizid. Beginn in der Stiftung Leucorea in Wittenberg ist um 18 Uhr, Ende 20.30 Uhr. Um die pandemiebedingten Abstands- und Hygienevorgaben einhalten zu können, ist die Anzahl der Plätze im Audimax auf 60 begrenzt, es gilt die 2G-Regel. Interessierte müssen sich anmelden, per E-Mail an [email protected]