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Gedenkstätte in Prettin Gedenkstätte in Prettin: Gegen das Vergessen

Von Sven Gückel 11.05.2019, 16:12
Blick in eine Zelle des Bunkers der Lichtenburg
Blick in eine Zelle des Bunkers der Lichtenburg Sven Gückel

Prettin - Den Frauen, die von den Nazi-Machthabern in Konzentrationslager geworfen wurden, widmet sich eine mehrteilige Veranstaltungsreihe, die am Donnerstag in der KZ-Gedenkstätte Lichtenburg eröffnete wurde. Schwerpunktmäßig wird die Verbindung der Konzentrationslager Moringen im heutigen Niedersachsen, Prettin und Ravensbrück, untersucht.

Dr. Kai Langer, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt, Dr. Dietmar Sedlaczek, seit zwei Jahrzehnten Leiter der KZ-Gedenkstätte Moringen, Melanie Engler, seit 2012 Leiterin der Gedenkstätte in Prettin, sowie Prof. Dr. Sigrid Jacobeit von der Humbold-Universität Berlin befassten sich in separaten Beiträgen mit der Historie der Frauen-Konzentrationslager.

Eines der ersten Lager

Viel ist in den vergangenen Jahrzehnten über die Opfer des NS-Regimes auf deutschem Boden erforscht und berichtet worden. Zumeist standen bislang die Männer im Mittelpunkt des Interesses.

Dabei stellten sich nicht minder viele Frauen der Naziherrschaft offen entgegen oder wurden durch sie in einen Strudel aus Gewalt und Qual gezogen. Die Lichtenburg Prettin ist hierfür ein besonders eindrückliches Beispiel.

Sofort nach ihrer Machtergreifung im Januar 1933 suchten die Nazis Objekte, in denen sie politische Gefangene unterbringen konnten. Deklariert wurde diese Freiheitsberaubung als „Schutzhaft“. Ein Hohn, bedenkt man, welches Leid die Betroffenen fortan zu ertragen hatten. Politische Gefangene gehörten zu ihnen ebenso wie Kleinkriminelle, Homosexuelle, „Rasseschänder“ und „Asoziale“ oder Anhänger der Zeugen Jehovas.

Eines der ersten Konzentrationslager auf deutschem Boden wurde die Lichtenburg Prettin. Bereits im Juni 1933 saßen hier zahlreiche Männer ein, unter ihnen auch viele mit prominentem und bekanntem Namen. Doch bereits 1937 erhielt das KZ Lichtenburg eine andere Bestimmung. Zugeführt aus Moringen im heutigen Niedersachsen wurde Prettin zum ersten Frauen-KZ im gesamten Reichsgebiet, das direkt der Inspektion der Konzentrationslager und damit der SS unterstellt war.

Das Motto der nun eröffneten Veranstaltungsreihe lautet „Wo Vergangenheit auf Gegenwart trifft: Das Frauen-KZ Lichtenburg - 80 Jahre danach“. Die Frau des amtierenden Bundespräsidenten, Elke Büdenbender, hat die Patenschaft übernommen.

„Die Veranstaltungsreihe soll informieren, aber auch Orientierung bieten, die unsere Gesellschaft heute offensichtlich dringender denn je benötigt“, eröffnete Kai Langer den Gesprächsabend, dem etwa 40 Gäste beiwohnten. Dietmar Sedlaczek wiederum verwies zu Beginn seines Referates darauf, dass den Frauen teilweise noch immer nicht die Ehrung zuteil wird, die ihnen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus zusteht.

Insgesamt acht Veranstaltungen bietet die Vortragsreihe, die noch bis zum 18. Juni vornehmlich in Prettin, aber auch in Wittenberg ausgetragen wird. Höhepunkt dürfte eine Lesung am 6. Juni in Prettin sein, zu der auch Elke Büdenbender als Ehrengast erwartet wird. 

Mehr Infos finden sich unter www.gedenkstaette-lichtenburg.sachsen-anhalt.de.

Als Beispiel hierfür nannte er Centa Herker-Beimler (1909-2000), die zweite Ehefrau des Kommunisten Hans Beimler (1895-1936). Während dessen Leben und Tod im spanischen Bürgerkrieg bis heute von einigen glorifiziert wird, sind die Zeiten, in denen Centa Beimler in KZ und Schutzhaft saß, fast vergessen.

Der Reichstagsbrand in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 bot den Nazis einen willkommenen Anlass, politisch Andersdenkende und Unliebsame ohne Rechtsmittel in „Schutzhaft“ zu nehmen. Frauen wurden vielfach nach Moringen gebracht. 1350 Frauen waren dort zwischen 1933 und der späteren Überstellung nach Prettin inhaftiert. Zu ihnen zählten besonders viele Zeugen Jehovas. „Sie verweigerten den sogenannten deutschen Gruß, lehnten Kriegsdienst und Luftschutzübungen ab oder gingen nicht zur Wahl“, erläuterte Sedlaczek. Die Lage der Frauen verschlimmerte sich noch einmal, als man sie ab Dezember 1937 schrittweise nach Prettin überstelle.

In der Enge der Lichtenburg, den sadistischen Quälereien der Wärterinnen ausgesetzt und über das eigene Schicksal völlig im Unklaren gelassen, wurde diese Zeit für sie zur Hölle. „Prettin diente den Nationalsozialisten als Modellsystem für alle KZ, die in den folgenden Jahren am Reißbrett entstanden. Was sich in der Lichtenburg ihrer Ansicht nach ,bewährt‘ hatte, findet man auch andernorts wieder“, betonte Melanie Engler. Als Beispiel führte sie den Bunker, den Zellentrakt oder die vier Meter hohe Mauer der Lichtenburg an.

Während die anfangs in Prettin inhaftierten Männer nach Dachau und Buchenwald verlegt wurden, stieg die Zahl der weiblichen Häftlinge schrittweise auf über 1000. Im April 1939, wenige Wochen vor der am 15. Mai 1939 beginnenden Überstellung der Frauen in das neue KZ Ravensbrück, saßen laut einer Stärkemeldung in Prettin 985 Frauen ein. Darunter 232 „Asoziale“, 118 Kriminelle, wobei schon ein Schwangerschaftsabbruch diesen Tatbestand begründete, 387 Zeugen Jehovas, 125 Politische und 103 „Rasseschänderinnen“. Deren einziges Vergehen war die Partnerschaft mit einem „arischen“ Mann. 153 dieser Frauen waren Jüdinnen, die besonderer Drangsalierungen ausgesetzt waren.

Frauen aus ganz Europa

Die Tatsache, dass in Prettin aufgrund der räumlichen Begrenzung keine Erweiterung möglich war, wird als ein Grund für den Bau des KZ Ravensbrück angesehen. In dem waren, so Sigrid Jacobeit, bis zur Befreiung des Lagers durch die Rote Arme im April 1945 mehr als 123000 Frauen aus ganz Europa registriert. Viele von ihnen waren Polinnen. Nachgewiesen sind aber auch 880 Kinder aus 18 Nationen.

Dass Prettin ein Frauen-KZ beherbergte und dieses mit einer Musterfunktion besetzt war, ist keine neue Erkenntnis. Erstmalig jedoch, hob Kai Langer hervor, „gab es eine Veranstaltung, in der der Zusammenhang zwischen den Konzentrationslagern Moringen, Lichtenburg und Ravensbrück so detailliert besprochen wurde“. Ein gelungener Auftakt, der zweifelsfrei noch viel Material und Stoff für Fortsetzungen bietet.

(mz)

Dietmar Sedlaczek, Kai Langer, Melanie Engler und Sigrid Jacobeit (v. li.) führten mit ihren Referaten durch die Eröffnungsveranstaltung.
Dietmar Sedlaczek, Kai Langer, Melanie Engler und Sigrid Jacobeit (v. li.) führten mit ihren Referaten durch die Eröffnungsveranstaltung.
Sven Gückel