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Eltern verärgert Eltern verärgert: Warum muss dieser Erstklässler stundenlang auf den Bus warten?

Von Aline Gorldt 21.09.2019, 05:54
Theo Schlichting will nicht mehr als zwei Stunden auf den Bus warten.
Theo Schlichting will nicht mehr als zwei Stunden auf den Bus warten. Schlichting

Annaburg - Theo Schlichting ist stolzer Abc-Schütze und geht gern zur Schule. Was ihm hingegen keinen Spaß macht, ist der Weg von der Schule nach Hause. Oder besser gesagt die Uhrzeit. An drei Wochentagen müsste der Erstklässler mehr als eine Stunde, an zwei Tagen sogar fast zweieinhalb Stunden, auf seine Heimfahrt warten. Momentan wird er von seinem Vater abgeholt, denn „das ist absolut nicht zumutbar“ sagen seine Eltern, die sich in ihrer Not an die MZ wenden.

Theo geht in die Grundschule „Michael Stifel“ in Annaburg und wohnt in Bethau. Um 13.55 Uhr fährt sein Bus an der Schule los. Montags und dienstags hat er aber schon 11.35 Uhr Schulschluss. Zwei Stunden und zwanzig Minuten Wartezeit gehen Mark und Claudia Schlichting eindeutig zu weit.

Das Ehepaar hat sich auch schon an die Behörden gewandt, unter anderem an den Landrat, an den Bürgermeister der Stadt Annaburg und auch an den für den ÖPNV (Öffentlicher Personennahverkehr) und Schülerverkehr zuständigen Mitarbeiter im Landkreis. Der Landkreis ist für die Schülerbeförderung zuständig. Gar keine oder nicht zufriedenstellende Antworten erreichten die Familie, sagen sie. Sie fühlen sich von den Behörden im Stich gelassen.

Aus ihrer Sicht verstößt der Landkreis gegen seine Schülerbeförderungssatzung. „Es ist unangemessen für einen Erstklässler. Mein Kind kann mit seinen sechs Jahren nicht stundenlang auf den Bus warten“, sagt Claudia Schlichting.

Streit um die Satzung

Kann er doch und ein Verstoß liegt nicht vor, sagt der Kreis. Ronal Gauert, Pressesprecher des Landkreises, verweist auf die „Verordnung zur Gestaltung der verlässlichen Grundschule“ des Landes Sachsen-Anhalt. Diese Verordnung besagt, dass die Grundschulen „verlässlich“ eine gewisse Zeit vor und nach dem Unterricht geöffnet sind und ein Angebot zur Verfügung stellen müssen - Eingangs- und Ausgangsphase genannt.

Die Teilnahme an den Eingangs- und Ausgangsphasen ist zwar freiwillig, das Schulgesetz des Landes legt aber für die Schülerbeförderung fest, dass die Beförderungszeiten so zu bemessen sind, dass jedes Kind die Möglichkeit hat, an den Phasen teilzunehmen, sagt Udo Zeidler, Referatsleiter im Bereich Schulrecht des Landesschulamtes. Auch wenn er Theos Familie verstehe, der Landkreis handele rechtsgültig.

„Dass das im Einzelfall alles verbesserungswürdig ist, dürfte unstrittig sein“, erklärt er weiter. „Nach den rechtlichen Grundlagen haben wir keine andere Möglichkeit. Das ist keine Willkür“, beteuert Gauert.

Aber: Die Satzung des Landkreises sieht vor, dass die Schüler 30 Minuten nach „Unterrichtsende“ (Paragraf 6, Absatz 3 Schülerbeförderungssatzung) abgeholt werden müssen, sagt Claudia Schlichting und fordert, diese Vorgabe einzuhalten.

Gauert wiederum bezieht sich auf den Zusatz, „bezogen auf die gemäß Absatz 1 abgestimmten Abfahrtzeiten“. Diese Regelung besagt, dass die Verordnung zu Gestaltung der verlässlichen Grundschule und damit die Öffnungszeiten der Schule zu berücksichtigen wären.

Laut Auskunft der Schule sind die Öffnungszeiten von 7.50 Uhr bis 13.20 Uhr. Fährt der Bus erst um 13.55 Uhr, hält der Landkreis seine Beförderungspflicht, innerhalb von 30 Minuten nach Schulende damit trotzdem nicht ein. Nach Aussage des Landkreises habe man sich aber mit der Schule im August auf eine Endzeit von 13.35 Uhr geeinigt. Damit wäre man innerhalb der besagten 30 Minuten.

Letztendlich will sich das Ehepaar Schlichting nicht um wenige Minuten streiten. Ihm geht es schlicht und einfach darum, dass der sechsjährige Sohn viel zu lange in der Schule warten muss. Für die Schule, das sagen sie ganz deutlich, sei es ebenfalls eine Belastung, sich in der langen Wartezeit, bei eh schon herrschendem Personalmangel, noch um die Betreuung der Kinder zu kümmern. Die Schulleiterin Antje Berger wollte gegenüber der MZ keine Auskunft zur Situation geben. Schlichtings aber beteuern die tolle Unterstützung seitens der Schule.

Gestrichene Busse

Claudia Schlichting sieht nicht nur in einer Falschauslegung der Gesetzestexte Gründe für unnötig lange Wartezeiten, sondern auch in kürzlich weggestrichenen Bussen. Bis Februar sind nämlich zwischen 11.40 Uhr und 15.41 Uhr fünf von Annaburg nach Bethau gefahren. Jetzt ist es nur noch der besagte um 13.55 Uhr.

„Bisher sind ja die Busse nicht grundlos gefahren. Da hätte man ja jahrelang das Geld aus dem Fenster geworfen“, sagt Mark Schlichting. Er und seine Frau wollten deshalb vom zuständigen Landkreismitarbeiter Uwe Garbe wissen, warum und von wem diese Busse gestrichen worden sind, erhielten aber laut eigener Aussage dazu keine Stellungnahme.

„Wer die Eingangs- und Ausgangsphase allerdings nicht besucht, hat jeweils keinen Anspruch auf zusätzliche Schülerbeförderung“, erklärt Garbe in einem Schreiben, welches der MZ vorliegt. Eine Erläuterung zu den weggefallenen Bussen fehlt.

Ronald Gauert informierte die MZ auf Nachfrage, dass die Fahrplanänderung aufgrund eines Beschlusses des Kreistages geschehen sei. Im Rahmen dieses Beschlusses sollten die Beförderungszeiten an anderer Stelle, wo Kinder extrem lange unterwegs waren, optimiert werden. Dafür musste man anderswo Kürzungen vornehmen. So habe das Verkehrsunternehmen mitgeteilt, erklärt Gauert weiter, dass die fünf Fahrten nach Bethau nicht ausgelastet gewesen seien. Somit wurden vier gestrichen und nur der eine Bus, der sich an die Beförderungsrichtlinien halte, beibehalten.

Keine Lösung in Sicht

Die Schule hatte die Möglichkeit, sich bis zum Mai zu den aktuellen Fahrplänen zu äußern, informiert Gauert weiter. Dies sei nicht passiert. Von dem Problem habe man vor Schulbeginn nichts gewusst. Und trotzdem, im Hinblick auf die Satzung, die Vorschriften des Landes und die logistischen und finanziellen Kapazitäten des Landkreises sei keine andere Lösung in Sicht.

„Irgendwann stößt man an seine Grenzen“, erklärt der Pressesprecher im Hinblick darauf, dass der Landkreis schließlich alle Schüler des Landkreises bestmöglich befördern muss. Für die weggefallenen Busse beispielsweise Kleinbusse oder Großraumtaxen einzusetzen, wie Theos Eltern es vorschlagen, hält er aus besagten Gründen nicht für möglich.

Theo jeden Tag von der Schule zu holen, ist seinen Eltern auf Dauer nicht möglich. Auf kurz oder lang wird er wohl auf den Bus warten müssen. In der Hoffnung, dass die Schule eine Beaufsichtigung bis zum Schluss gewährleisten kann. Denn eine Aufsichtspflicht nach Ende der Ausgangsphase besteht nicht zwingend. (mz)