Berufung am Ende des Lebens Berufung am Ende des Lebens: Gebriele Pax begleitet Sterbende

Bülzig - Als die MZ Gabriele Pax zu Hause in Bülzig trifft, ist sie gerade zurück von der Insel Rügen. Sie hat dort einen Bekannten in den letzten Tagen und Stunden seines Lebens und in den Tod hinüber begleitet und stand dessen Freunden und Angehörigen in ihrer Trauer zur Seite. Die 58-Jährige gelernte OP-Schwester widmet sich im Rahmen ihrer schamanischen Heilpraxis der Sterbe- und Trauerbegleitung.
In diesem Zusammenhang veranstaltet sie alljährlich Ende November ein einwöchiges Seminar zum Thema Sterben und Trauer. 2020 musste sie den angemeldeten Interessenten kurzfristig absagen, aber nicht wegen der Pandemie. Das Sterben ihres Bekannten brauchte seine Zeit, fast drei Wochen. „Da muss man Geduld haben“, sagt Gabriele Pax.
Innerer Reifeprozess
„Es ist schwer und schön, einen Weg miteinander zu Ende zu gehen“, sagt sie. „Was für ein Wunder das eigentlich ist“, habe sie für sich selbst festgestellt. „Ich habe mich gefühlt wie eine Hebamme - ruhig, und gelassen. Man weiß, was kommt.“ Viele meinten, das sie das nicht könnten. Zwar ist Gabriele Pax von Berufswegen der Tod nicht fremd.
Aber es sei nicht in erster Linie das, was sie dafür prädestiniert. „Ich hätte das vor 20 Jahren auch noch nicht machen können“, sagt sie. „Es braucht eine innere Reife. Und man lernt das auch nicht einfach aus Büchern“, sagt sie, „sondern nur, wenn man sich traut, wenn man den Mut hat, da mitzugehen“. Wer sich dazu in der Lage und berufen sieht, kann sich von Hospizdiensten und Vereinen als Ehrenamtlicher ausbilden und einsetzen lassen.
62 Jahre alt sei ihr Bekannter geworden. Seit 28 Jahren vom Hals abwärts gelähmt, habe er schon lange mit dem Leben gehadert und zuletzt einen Schweizer Verein um Sterbehilfe ersucht. Die habe es letztlich doch nicht gebraucht. Gabriele Pax ist froh darüber. „Ich finde es gut, dass es die Möglichkeit gibt“, sagt sie. Aber sich in eine wildfremde Umgebung zu begeben, um dort zu sterben, das könne sie sich nur schwer vorstellen.
Der Sterbende hat ein Recht darauf, dass sich in seinen letzten Tagen und Stunden alles um ihn dreht. Das schreibt Roland Schulz sinngemäß in seinem Buch „So sterben wir“. Es geht im Grunde darum, ihm seine Wünsche von den Augen abzulesen: Etwas vorgelesen zu bekommen, Fotoalben anschauen, Musik zu hören, Pizza oder Erdbeereis zum Frühstück - was auch immer.
Sich um diese Wünsche zu kümmern, die Angehörigen zu entlasten und ihnen zu helfen, mit der besonderen Situation umzugehen, dafür gibt es Menschen wie Gabriele Pax.
Wer einen Menschen beim Sterben begleite, erlebe, wie er sich Stück für Stück zurück zieht. „Jeder hat sein individuelles Sterben, so wie er ein individuelles Leben gehabt hat. So werden auch die Angehörigen vorbereitet auf das, was kommt. Dass für sie der Tod ihres Angehörigen eher fassbar wird als der „überrumpelnde Tod“, ist sich Gabriele Pax sicher, aber: „Ich wage trotzdem nicht zu sagen, was besser oder schlechter ist.“
Sich um die Hilflosigkeit der Menschen zu kümmern, darin sieht sie ihre erste Aufgabe als Trauerbegleiterin. - Ist es ein Glück, wenn jemand plötzlich stirbt, weil es den Hinterbliebenen erspart geblieben ist, seinem Leiden zuzusehen? Müssen andererseits Angehörige, die einem Menschen bis zu seinem Tod aufopferungsvoll gepflegt haben, ein schlechtes Gewissen haben, weil sie nun erleichtert sind?
Mit jemandem über solche Fragen sprechen zu können, „auch dafür sind Leute wie ich wichtig“, so die Trauerbegleiterin. „Da fällt es mir als neutrale Person leichter, zu sagen: Es ist wichtig, dass man für sich sorgt.“
Trost aus der Ferne
„Die Dinge brauchen eine Reifeprozess“, das gelte auch für die Trauer. „Wer zu schnell wieder zum Alltag übergeht, den kann sie noch Jahre später um so härter überfallen.“ 2020 war ein schweres Jahr für Trauernde. Beisetzungen durften nur im kleinsten Kreis stattfinden. Manchem fehlte der Zuspruch, der Händedruck von jenen Menschen, denen der Verstorbene Freund oder Kollege war.
Während der harten Lockdowns konnte nicht einmal alle Familienangehörigen zusammen kommen, sich gegenseitig zu umarmen und Trost zu spenden. In der Weihnachtszeit drängt sich naturgemäß der im zurückliegenden Jahr erlittene Verlust noch einmal ins Bewusstsein. Das erste Fest ohne ..... „Briefe schreiben, telefonieren, über Erinnerungen sprechen, sich Geschichten aus der Zeit mit dem Verstorbenen erzählen“, das kann laut Gabriele Pax in dieser Zeit zumindest erleichternd sein.
Viele Klienten kämen erst zu ihr, wenn die Trauer so ihr Leben verstellt, dass sie nicht mehr heraus finden. „Ich bin nicht der Zauberer“, stellt Gabriele Pax klar. Trauerbegleitung heiße: „Ich halte das aus mit dir, aber die Arbeit muss du selbst leisten.“
Kurz vor unserem Gespräch, erzählt sie, habe sie eine SMS erhalten. Eine Klientin hat ihren Termin abgesagt, weil sie ihn nicht mehr braucht. „Sie hat es aus eigener Kraft geschafft“, freut sich die Bülzigerin. „Es ist schön, wenn ich den Leuten helfen kann. Aber das Beste ist, nichts tun zu müssen.“
›› Buchtipp: Wie geht das Sterben vor sich und wann ist man wirklich tot? Von den letzten Tagen und Stunden an bis zum Ende der Ruhezeit in der Grabstätte beschreibt Roland Schulz schonungslos und doch einfühlsam den Werdegang. Roland Schulz: „So sterben wir - Unser Ende und was wir darüber wissen sollten“, Piper-Verlag (mz)