Advent im Schuldensumpf Advent im Schuldensumpf: So lebt es sich mit Minusgraden in der Wohnung

Zahna - Kalte Luft weht in den Treppenaufgang. Die Tür steht offen, im Flur liegen Kabel. Der Zustand der Wohnung ist schockierend. Der Putz blättert von den Wänden, das Inventar hat seine besten Zeiten längst hinter sich. Selbst die Toilette auf halber Treppe ist ein Fall für die Abrissbirne. Strom und Heizung? Fehlanzeige!
Thomas Rink aus Zahna lebt seit Juli 2015 so. In der Wohnung sind neun Grad über Null. Der 55-Jährige nennt das „paradiesische Zustände“. Bei strengem Frost saust das Thermometer in den Minusbereich. „Ich gehe jeden Tag an die frische Luft und härte mich gegen die Kälte ab“, sagt er und plaudert anschließend aus seinem Leben.
Unbekannte Schuldenhöhe
Der gelernte Keramikfacharbeiter ist nach der Wende in den Strudel Arbeitslosigkeit plus sich häufende Schulden geraten und irgendwann bei Energieanbieter und Vermieter angeeckt. Die genaue Summe kann Rink nicht nennen. Er zuckt mit den Schultern und geht von ein paar Tausend Euro aus.
Gegen die regelmäßige Post vom Inkassounternehmen erhebt der 55-Jährige Widerspruch. Der Zahnaer lebt nach eigenen Angaben von 416 Euro Grundsicherung. Er kümmert sich um seine Mutter Marlene, die in der Nachbarwohnung lebt und ihrem Sohn unter die Arme greift. Dort kann er essen, duschen und Fernsehen gucken.
Ein Umzug über den Flur kommt für ihn nicht in Frage. „Die Wohnung meiner Mutter ist zu klein“, schätzt er die Lage ein. Ein Stück heile Welt hat sich Rink in seinen 45 Quadratmetern an der Bahnhofstraße trotzdem geschaffen. Insgesamt neun Nymphen- und Wellensittiche trällern in der Voliere, der Zahnaer bezeichnet die Vögel als „meine Familie“.
In Sachen Weihnachtswünsche hält sich der Zahnaer zurück. Eine funktionierende Toilette steht ganz oben auf der Liste, von einer warmen Wohnung mit Licht träumt er. Rink fühlt sich von Behörden „abgeblockt“ und als Person „nicht wahrgenommen“.
Deshalb geht er davon aus, dass weiter alles beim Alten bleibt. „Ich lebe wie ein Messi mit einem Dach über dem Kopf“, meint er. Der Zahnaer erzählt die Geschichte aus seiner Sicht und mit viel Emotionen. Doch jede Medaille hat eine Kehrseite.
„Herr Rink ist uns seit vielen Jahren bekannt“, sagt der Pressesprecher des Landkreises, Ronald Gauert, der den Umgang mit dem 55-Jährigen als kompliziert beschreibt. Es sei nicht so, dass sich keiner um das Problem kümmert.
Der Fachdienst Soziales, Vermieter Wittenberger Wohnungsgesellschaft und Energieanbieter statten dem Zahnaer regelmäßig Besuche ab und bieten Hilfestellungen an, damit sich seine Situation verbessert. Doch Rink erteilt jedem Angebot eine Absage. Die Miete wird seit 2009 vom Fachdienst Soziales bezahlt. So bleibt dem Zahnaer ein Stück Privatsphäre erhalten.
Sanierte Wohnung fertig
Der Geschäftsführer der Wittenberger Wohnungsgesellschaft (Wiwog), Rando Gießmann, stützt die Aussagen Gauerts. Die laufende Miete wird durch den Landkreis beglichen, es bestehen jedoch Mietdifferenzen.
In dem Schreiben heißt es weiter: „Eine Sanierung der Wohnung, insbesondere der Elektrik, ist im bewohnten Zustand nicht möglich. Wir haben dem Landkreis angeboten, dass Herr Rink zu gleichen Konditionen eine Etage höher ziehen kann. Da ist die Sanierung der elektrischen Anlage und Heizung bereits erfolgt. Darüber hinaus sind sämtliche Reparaturen nicht möglich, da er keine Handwerker in seine Wohnung lässt.“
Die Lösung des Problems präsentiert Gießmann dem 55-Jährigen sprichwörtlich auf dem silbernen Tablett. Der Umzug eine Etage höher ist jederzeit möglich. Doch auch dieses Angebot lehnt der Zahnaer auf Nachfrage ab. Er will nicht weg von seiner pflegebedürftigen Mutter. Selbst wenn die Entfernung zu ihr nur wenige Meter beträgt. (mz)