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Kreis Mansfeld-Südharz gilt als abgehängt Kreis Mansfeld-Südharz gilt als abgehängt: Dabei gibt es Gemeinden, in denen es brummt

Von Alexander Schierholz 16.09.2019, 08:00
Hier könnte der Dorfladen in Edersleben entstehen: Claudia Renner und Helmut Pastrik demonstrieren schon mal das Einkaufen.
Hier könnte der Dorfladen in Edersleben entstehen: Claudia Renner und Helmut Pastrik demonstrieren schon mal das Einkaufen. Andreas Stedtler

Die Statistik sagt: Mansfeld-Südharz ist das Schlusslicht in Sachsen-Anhalt, ob bei der Entwicklung der Bevölkerung, der Arbeitslosenquote oder dem Steueraufkommen.

Die Erfahrung von Claudia Renner sagt: Es ist nicht alles düster.

Die ehrenamtliche Bürgermeisterin von Edersleben, rund 1.000 Einwohner, im Süden des Landkreises, sitzt an ihrem Schreibtisch im Dorfgemeinschaftshaus. Vor ihr liegt ein Bewilligungsbescheid des Umweltministeriums: 22.500 Euro erhält die Gemeinde, um einen Dorfladen aufzubauen. Renner, 38, will damit nicht ihr Dorf retten. Sie will es noch attraktiver machen.

Edersleben in Mansfeld-Südharz: Nicht unbedingt ein strukturschwacher Ort

Man kommt in Edersleben nicht unbedingt auf die Idee, dass es sich hier um eine, wie Wirtschaftsforscher sagen, strukturschwache Region handelt. Die B 86 von Sangerhausen Richtung Thüringen führt mitten durch den Ort, die A38 ist nicht weit. Arbeit bieten unter anderem ein Autolackierer, ein Metallbauer, ein Baumaschinen-Verleih und ein Unternehmen, das die Außenhaut für die Münchner Allianz-Arena gefertigt hat. Es gibt fast zwei Hände voll Vereine, von den Anglern über die Feuerwehr bis zur Linedance-Gruppe. Im Sommer feiern sie Teichfest, in diesem Jahr haben sie erstmals zum Frühjahrsputz eingeladen und zum Picknick in den Park. 50 Leute sind gekommen.

Die Mutter aller Dorfläden befindet sich in Deersheim. Der lokale Tante-Emma-Laden in dem Harzort gilt als Vorzeigeprojekt und Vorbild für Initiativen in anderen Gemeinden. Den Laden, der auch Ortstreffpunkt ist, gibt es seit 2016. Betrieben wird er von einer Genossenschaft.

Das ist ein Modell, das auch für Orte wie Edersleben in Frage käme: „Eine Gemeinde kann gar nicht selber als Betreiber auftreten, das ist gesetzlich nicht möglich“, sagt Ederslebens Bürgermeisterin Claudia Renner. Der Grund: Mit einem Laden ist immer die Absicht verbunden, Gewinn zu erzielen. Das aber ist einer Gemeinde verboten.

So wie in Deersheim sollen auch in anderen Dörfern wieder Läden entstehen. Für Projektentwürfe oder die Erweiterung bestehender Geschäfte hat das Umweltministerium 300.000 Euro bereitgestellt.

13 Dörfer hatten sich beworben, sieben wurden mit Geld bedacht. Neben Edersleben sind dies Deersheim, Mosigkau (Dessau) und Lindenberg (Altmark) - jeweils Ausbau - sowie Neulingen, Pretzier (beide Altmark) und Schleberoda (Burgenlandkreis) - jeweils Konzepte.

Was noch fehlt? Ein Ort, an dem Jung und Alt ins Gespräch kommen können, jenseits von Festen und Veranstaltungen, wie es sie etwa im Dorfgemeinschaftshaus gibt. Dort trifft man sich beim Fasching, sonst bleibt man in der Regel unter sich: Die Alten gehen zum Rentnernachmittag, die Jungen in den Jugendklub, der mangels Betreuung bisher allerdings nur sporadisch geöffnet hat. „Das Gemeinsame fehlt“, sagt Renner.

Der Dorfladen, oder genauer: „Dorfgemeinschaftsladen“, soll diese Lücke schließen. Renner schwebt ein Haus vor, in dem auch regionale Erzeuger ihre Produkte anbieten können - Honig vom Imker, Kartoffeln von der Agrargenossenschaft, so etwas. Dazu vielleicht ein Café als Treffpunkt. So könnte auch Ersatz geschaffen werden für den kleinen Lebensmittelladen, der seit Ende Juli geschlossen ist.

Edersleben in Mansfeld-Südharz: Kindergarten muss erweitert werden

Der Plan könnte aufgehen. Denn Edersleben ist beliebt. Claudia Renner erzählt von Rückkehrern aus anderen Bundesländern, von den wöchentlichen Anfragen nach Bauplätzen, die sie von jungen Familien bekommt - und abweisen muss, weil die Gemeinde selbst kein Bauland hat. Sie wirbt dann dafür, stattdessen ein altes Haus im Dorfkern zu sanieren. Sie erzählt vom Kindergarten, 70 Plätze, den sie jetzt erweitern müssen.

Das ist die eine Seite von Edersleben. Die andere wird quasi verkörpert von Helmut Pastrik. Der freundliche Herr, kariertes Hemd, grauer Bart, war lange Schulleiter im benachbarten Oberröblingen. Jetzt ist er Rentner - und steht dafür, wie ein Dorf alt wird. Vor 25 Jahren, mit Anfang 40, haben er und seine Frau ein Haus gebaut in Edersleben. Sie waren viele junge Familien in der damals jungen Neubausiedlung. Nun sind sie alle ältere Ehepaare, deren Kinder aus dem Haus sind - und häufig weg aus der Region, mangels Lehrstellen und Jobs. Pastrik hat zwei Söhne, der eine arbeitet in Bayern, der andere im Nachbarort. „Zufall“, sagt Pastrik, „sonst wäre der auch weg.“

Edersleben in Mansfeld-Südharz: Die Jungen werden weniger, die Alten mehr

Die Jungen werden weniger, die Alten mehr. In nüchternen Zahlen ausgedrückt: 2015 war in Edersleben jeder fünfte Einwohner 67 oder älter, 2030 wird es nach einer Prognose des Statistischen Landesamtes fast jeder dritte sein. Einmal Pädagoge, immer Pädagoge: Um auch für die wenigen Jungen das Leben im Dorf lebenswerter zu machen, hat der Mathe- und Physiklehrer im Ruhestand eine Menge Ideen: Er kann sich einen Nachhilfe-Nachmittag vorstellen oder ein Projekt, in dem Alt und Jung gemeinsam die Schulchronik digitalisieren. Die setzt irgendwann vor 1945 ein und endet in den 90er Jahren, als in Edersleben die Grundschule dicht gemacht wurde. Und sonst? Pastrik, der auch stellvertretender Bürgermeister ist, grinst: „Ich hab noch eine Idee, aber die behalte ich erstmal für mich.“ Er möchte nicht zu viele Erwartungen wecken.

Wo der Laden angesiedelt werden soll? Auch da haben Renner und Pastrik schon eine Idee: Etwas zurückgesetzt von der Bundesstraße steht mitten im Dorf ein heruntergekommenes einstöckiges Haus, einst eine Gaststätte. Die Rollläden sind geschlossen, das Gebäude verfällt, es müsste wohl abgerissen werden. Der Vorteil: Es gehört der Gemeinde. Mit dem Geld vom Land soll jetzt zunächst eine Machbarkeitsstudie finanziert werden.

Bis dahin wollen Claudia Renner und Helmut Pastrik ihre Ederslebener befragen. Denn wer weiß: Vielleicht gibt es noch ganz andere Ideen für den Dorfladen. Deshalb wollen die Bürgermeisterin und ihr Vize Fragebögen entwerfen und im Dorf verteilen. Sie wollen wissen, was die Leute von einem solchen Projekt erwarten, was sie sich wünschen, was ihnen fehlt. „In der großen Politik wird immer so viel von Bürgerbeteiligung geredet“, sagt Renner. „Wir machen das jetzt.“